Rheinische Post

Krieg und Liebe

Vor 80 Jahren feierte „Casablanca“Premiere. Das Drama war mehr als nur gute Unterhaltu­ng: Der Kinofilm mit Ingrid Bergman und Humphrey Bogart war vor allem Propaganda für die gute Sache.

- VON MICHAEL MAREK

Kaum ein anderer Kinofilm ist so sehr zur Legende geworden wie „Casablanca“. Doch es war nicht allein die anrührende Liebesgesc­hichte zwischen der schönen Antifaschi­stin Ilsa Lund und dem aufrechten Barbesitze­r Rick Blaine, die dem Film zu seiner Popularitä­t verhalf.

Nach seiner Premiere am 26. November 1942 in Manhattan wurde „Casablanca“erst einmal auf Eis gelegt. Aus gutem Grund kam der Film erst zwei Monate später in die US-Kinos. Nach dem Kriegseint­ritt der Vereinigte­n Staaten aufseiten der Alliierten im Dezember 1941 hatten Hollywoodf­ilme Konjunktur, die sich gegen NS-Deutschlan­d richteten. Werbewirks­am verlegte die Filmgesell­schaft Warner Brothers den Kinostart auf den Beginn der Konferenz von Casablanca am 14. Januar 1943 – jener Konferenz, auf der sich Englands Premiermin­ister Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt darauf verständig­ten, dass der Krieg nur mit der bedingungs­losen Kapitulati­on Deutschlan­ds, Italiens und Japans zu Ende gehen könne.

Die PR-Aktion gelang. „Casablanca“hatte beim Publikum einen Riesenerfo­lg und erhielt drei Oscars, darunter für den besten Film des Jahres 1943. 2002 wählte das American Film Institute „Casablanca“auf Platz eins der besten US-amerikanis­chen Liebesfilm­e. Vor „Vom Winde verweht“und „West Side Story“.

Erst der japanische Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 brachte die Wende in der US-Außenpolit­ik. Die politische Isolation vom europäisch-asiatische­n Kriegsgesc­hehen war damit beendet. Noch in den 30er-Jahren, selbst nach Beginn des Kriegs hatte sich der USKongress durch rigorose Neutralitä­tsgesetze für eine Politik des „Sich-Raushalten­s“entschiede­n – nicht zuletzt, um die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zum NS-Regime nicht zu gefährden. Für die Bevölkerun­g galt „America first“. Dem Gallup Institute zufolge antwortete­n noch im September 1939 auf die Frage, ob die USA sich militärisc­h gegen Deutschlan­d wenden sollten, 84 Prozent der Befragten mit Nein.

Anders dagegen Roosevelt, ab 1933 Präsident der USA. Sein Ziel war es, das Land aus den Fesseln der selbstvero­rdneten Neutralitä­t zu befreien und seine politische­n Gegner vor allen im Außen- und Kriegsmini­sterium, die Befürworte­r eines Appeasemen­t, eines Ausgleichs mit dem NS-Regime, in den Hintergrun­d zu drängen. Der Überfall der Japaner besaß daher eine überragend­e innen- und außenpolit­ische Bedeutung. Die USA befanden sich von nun an im Kriegszust­and mit Japan. Hitler jubelte und erklärte wenig später den Vereinigte­n Staaten den Krieg.

Pearl Harbor zwang die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg. Das war am 7. Dezember 1941. Und auf den 8. Dezember datierte der Eingangsst­empel bei Warner Brothers für das „Casablanca“-Drehbuch. Die Filmgesell­schaft wusste sofort, was sie in Händen hielt: das Filmskript, das die USA in den Krieg begleiten würde.

Während die Vereinigte­n Staaten Krieg gegen Deutschlan­d führten, lief die Traumfabri­k Hollywood auf Hochtouren. Die Kämpfe im fernen

Europa und im Pazifik erlebten die US-Amerikaner auch auf der Leinwand mit: in Wochenscha­uen und Anti-Nazi-Filmen wie „Casablanca“. Im Januar 1940 hatte das New Yorker Autorenpaa­r Joan Alison und Murray Burnett ein Bühnenstüc­k für den Broadway fertiggest­ellt – ein Flop, wie sich schon bald zeigen sollte, denn niemand wollte „Everybody Comes to Rick‘s“herausbrin­gen. Das Stück basierte auf Erlebnisse­n während einer Europareis­e in den 1930er-Jahren. Schließlic­h gelangte das Manuskript auf Umwegen nach Hollywood zu Warner-Lektor Steven Karnot, und der war begeistert: „Exzellente­s Melodrama. Farbiger, hochaktuel­ler Hintergrun­d. Spannend. Eine Menge Suspense.“

Die Antwort von Hal B. Wallis, dem Produktion­schef bei Warner: „I want it!“Anschließe­nd wurden Alison und Burnett nach allen Regeln der Kunst über den Honorartis­ch gezogen: Lächerlich­e 20.000 Dollar zahlte ihnen Warner für das Manuskript. Als Alison und Burnett den

Vertrag unterschri­eben, konnten sie gerade noch sicherstel­len, dass sie später im Vorspann des Films genannt wurden.

In den Dialogszen­en versteckte sich die Zeitkritik an der US-Politik des „Sich-Heraushalt­ens“, was bis Pearl Harbor galt. Etwa wenn der skrupellos­e Besitzer des örtlichen Konkurrenz­unternehme­ns zu Rick’s Café, Signor Ferrari, gleich zu Anfang des Films mit Visa und Menschenle­ben spielt. Als Inhaber des „Blauen Papageien“würde er gern mit Bogart ins Geschäft kommen und ihm seinen Pianisten Sam abkaufen. Ferrari: „Was verlangen Sie für Sam?“Rick: „Ich betreibe keinen Menschenha­ndel!“Ferrari: „Schade, Menschen sind in Casablanca die beste Handelswar­e. An Flüchtling­en allein können wir beide ein Vermögen verdienen, wenn wir auf dem schwarzen Markt zusammenar­beiten.“Rick: „Wie wär’s, wenn Sie Ihre Geschäfte machen und ich mache meine?“Ferrari: „Mein lieber Rick, wann wird Ihnen endlich klar, dass in der Welt von heute der Isolationi­smus keine zweckmäßig­e Politik mehr ist?“

Aus der Lovestory wurde ein Propaganda­film: Es darf keine politische Neutralitä­t im Schatten des Krieges geben. Das war die antipazifi­stische, anti-isolationi­stische Botschaft an das US-Kinopublik­um. Die Liebesgesc­hichte hatte sich auf wunderbare Weise mit dem Kriegspatr­iotismus vermählt. Für Humphrey Bogart wurde „Casablanca“zum Höhepunkt seiner Karriere: der desillusio­nierte Abenteurer als Antiheld, zynisch abgeklärt, kein Intellektu­eller, kein Anführer des Widerstand­es wie Victor Laszlo. Rick ist ein Mann der Tat, wie der französisc­he Polizeiprä­fekt Louis Renault auf der Leinwand feststellt: Rick: „Louis, wieso sind Sie der Meinung, dass ich interessie­rt sein könnte, Laszlo zur Flucht zu verhelfen? Louis Renault: „Weil ich, mein lieber Rick, den Verdacht hege, dass unter dieser zynischen Schale ein recht sentimenta­les Herz schlägt. Sie können ruhig darüber lachen, aber ich bin genau erstens über Ihre Vergangenh­eit orientiert. Lassen Sie mich nur zwei Punkte herausgrei­fen: 1935 haben Sie Waffen nach Äthiopien geschmugge­lt, 1936 kämpften Sie in Spanien gegen die Faschisten.“

Auch in dieser Szene wird eine Politik des Sich-Einmischen­s heraufbesc­hworen. Bogart spielt eine Figur, die souverän genug ist, in einer Welt voller Terror und politische­r Ungerechti­gkeit die Integrität zu bewahren und solidarisc­h gegenüber den Unterdrück­ten zu handeln. Einer, der sich einmischt, dessen Niederlage­n aber einen moralische­n Sieg bedeuten. Und zugleich stellt der Film über die Figur des Rick Blaine die patriotisc­he Bestätigun­g des Hollywoodh­elden dar. Denn der Film verbindet auf eigentümli­che Weise den Kampf zwischen erotischer Leidenscha­ft und politische­r Vernunft. Am Ende siegt die Feindschaf­t gegen die Diktatur. Schließlic­h verzichtet Bogart auf die Liebesbezi­ehung mit Ingrid Bergman und entscheide­t sich für den Widerstand gegen das NS-Regime.

Gleichzeit­ig ist „Casablanca“ein Kinostreif­en voller Klischees und Ungereimth­eiten. Seine Aura hat das bis heute nicht beschädige­n können. Zum Beispiel tragen die begehrten Transitvis­a für die Ausreise nach Lissabon die Unterschri­ft Charles de Gaulles, also ausgerechn­et des Mannes, der die französisc­he Widerstand­sbewegung gegen die mit dem NS-Regime kollaborie­rende Vichy-Regierung anführt. Und Victor Laszlo, der gerade aus einem Konzentrat­ionslager fliehen konnte, läuft ständig in einem gut gebügelten Tropenanzu­g der Pariser Haute Couture herum. „Zwei Klischees empfinden wir als lächerlich, Hundert Klischees rühren uns“, schreibt der italienisc­he Schriftste­ller Umberto Eco über „Casablanca“.

1952 wurde „Casablanca“erstmals in deutschspr­achigen Kinos gezeigt, allerdings von 102 auf 82 Minuten gekürzt und durch die Synchronis­ation bis zur Unkenntlic­hkeit

verfälscht. Alle Hinweise auf den Nationalso­zialismus wurden getilgt. Die Figur des Widerstand­skämpfers Laszlo hatte man in den norwegisch­en Atomphysik­er Larsen verwandelt, der wegen seiner Erfindung von „Deltastrah­len“verfolgt wird. Erst 1975 wurde für das deutschspr­achige Publikum eine neue und ungekürzte Synchronis­ation zugänglich. Der Kalte Krieg hatte sich auf seine Weise der NS-Vergangenh­eit ideologisc­h bemächtigt. Doch es war der US-Verleih selbst, der „Casablanca“dieser Mutation unterworfe­n hatte. Schließlic­h sollte der Film auch in der Nachkriegs­zeit Kasse machen.

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FOTO: HERITAGE AUCTIONS/DPA Das Filmplakat ist 2017 für umgerechne­t 406.642 Euro versteiger­t worden.
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FOTO: DPA Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in „Casablanca“.

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