Krieg und Liebe
Vor 80 Jahren feierte „Casablanca“Premiere. Das Drama war mehr als nur gute Unterhaltung: Der Kinofilm mit Ingrid Bergman und Humphrey Bogart war vor allem Propaganda für die gute Sache.
Kaum ein anderer Kinofilm ist so sehr zur Legende geworden wie „Casablanca“. Doch es war nicht allein die anrührende Liebesgeschichte zwischen der schönen Antifaschistin Ilsa Lund und dem aufrechten Barbesitzer Rick Blaine, die dem Film zu seiner Popularität verhalf.
Nach seiner Premiere am 26. November 1942 in Manhattan wurde „Casablanca“erst einmal auf Eis gelegt. Aus gutem Grund kam der Film erst zwei Monate später in die US-Kinos. Nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten aufseiten der Alliierten im Dezember 1941 hatten Hollywoodfilme Konjunktur, die sich gegen NS-Deutschland richteten. Werbewirksam verlegte die Filmgesellschaft Warner Brothers den Kinostart auf den Beginn der Konferenz von Casablanca am 14. Januar 1943 – jener Konferenz, auf der sich Englands Premierminister Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt darauf verständigten, dass der Krieg nur mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, Italiens und Japans zu Ende gehen könne.
Die PR-Aktion gelang. „Casablanca“hatte beim Publikum einen Riesenerfolg und erhielt drei Oscars, darunter für den besten Film des Jahres 1943. 2002 wählte das American Film Institute „Casablanca“auf Platz eins der besten US-amerikanischen Liebesfilme. Vor „Vom Winde verweht“und „West Side Story“.
Erst der japanische Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 brachte die Wende in der US-Außenpolitik. Die politische Isolation vom europäisch-asiatischen Kriegsgeschehen war damit beendet. Noch in den 30er-Jahren, selbst nach Beginn des Kriegs hatte sich der USKongress durch rigorose Neutralitätsgesetze für eine Politik des „Sich-Raushaltens“entschieden – nicht zuletzt, um die wirtschaftlichen Beziehungen zum NS-Regime nicht zu gefährden. Für die Bevölkerung galt „America first“. Dem Gallup Institute zufolge antworteten noch im September 1939 auf die Frage, ob die USA sich militärisch gegen Deutschland wenden sollten, 84 Prozent der Befragten mit Nein.
Anders dagegen Roosevelt, ab 1933 Präsident der USA. Sein Ziel war es, das Land aus den Fesseln der selbstverordneten Neutralität zu befreien und seine politischen Gegner vor allen im Außen- und Kriegsministerium, die Befürworter eines Appeasement, eines Ausgleichs mit dem NS-Regime, in den Hintergrund zu drängen. Der Überfall der Japaner besaß daher eine überragende innen- und außenpolitische Bedeutung. Die USA befanden sich von nun an im Kriegszustand mit Japan. Hitler jubelte und erklärte wenig später den Vereinigten Staaten den Krieg.
Pearl Harbor zwang die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg. Das war am 7. Dezember 1941. Und auf den 8. Dezember datierte der Eingangsstempel bei Warner Brothers für das „Casablanca“-Drehbuch. Die Filmgesellschaft wusste sofort, was sie in Händen hielt: das Filmskript, das die USA in den Krieg begleiten würde.
Während die Vereinigten Staaten Krieg gegen Deutschland führten, lief die Traumfabrik Hollywood auf Hochtouren. Die Kämpfe im fernen
Europa und im Pazifik erlebten die US-Amerikaner auch auf der Leinwand mit: in Wochenschauen und Anti-Nazi-Filmen wie „Casablanca“. Im Januar 1940 hatte das New Yorker Autorenpaar Joan Alison und Murray Burnett ein Bühnenstück für den Broadway fertiggestellt – ein Flop, wie sich schon bald zeigen sollte, denn niemand wollte „Everybody Comes to Rick‘s“herausbringen. Das Stück basierte auf Erlebnissen während einer Europareise in den 1930er-Jahren. Schließlich gelangte das Manuskript auf Umwegen nach Hollywood zu Warner-Lektor Steven Karnot, und der war begeistert: „Exzellentes Melodrama. Farbiger, hochaktueller Hintergrund. Spannend. Eine Menge Suspense.“
Die Antwort von Hal B. Wallis, dem Produktionschef bei Warner: „I want it!“Anschließend wurden Alison und Burnett nach allen Regeln der Kunst über den Honorartisch gezogen: Lächerliche 20.000 Dollar zahlte ihnen Warner für das Manuskript. Als Alison und Burnett den
Vertrag unterschrieben, konnten sie gerade noch sicherstellen, dass sie später im Vorspann des Films genannt wurden.
In den Dialogszenen versteckte sich die Zeitkritik an der US-Politik des „Sich-Heraushaltens“, was bis Pearl Harbor galt. Etwa wenn der skrupellose Besitzer des örtlichen Konkurrenzunternehmens zu Rick’s Café, Signor Ferrari, gleich zu Anfang des Films mit Visa und Menschenleben spielt. Als Inhaber des „Blauen Papageien“würde er gern mit Bogart ins Geschäft kommen und ihm seinen Pianisten Sam abkaufen. Ferrari: „Was verlangen Sie für Sam?“Rick: „Ich betreibe keinen Menschenhandel!“Ferrari: „Schade, Menschen sind in Casablanca die beste Handelsware. An Flüchtlingen allein können wir beide ein Vermögen verdienen, wenn wir auf dem schwarzen Markt zusammenarbeiten.“Rick: „Wie wär’s, wenn Sie Ihre Geschäfte machen und ich mache meine?“Ferrari: „Mein lieber Rick, wann wird Ihnen endlich klar, dass in der Welt von heute der Isolationismus keine zweckmäßige Politik mehr ist?“
Aus der Lovestory wurde ein Propagandafilm: Es darf keine politische Neutralität im Schatten des Krieges geben. Das war die antipazifistische, anti-isolationistische Botschaft an das US-Kinopublikum. Die Liebesgeschichte hatte sich auf wunderbare Weise mit dem Kriegspatriotismus vermählt. Für Humphrey Bogart wurde „Casablanca“zum Höhepunkt seiner Karriere: der desillusionierte Abenteurer als Antiheld, zynisch abgeklärt, kein Intellektueller, kein Anführer des Widerstandes wie Victor Laszlo. Rick ist ein Mann der Tat, wie der französische Polizeipräfekt Louis Renault auf der Leinwand feststellt: Rick: „Louis, wieso sind Sie der Meinung, dass ich interessiert sein könnte, Laszlo zur Flucht zu verhelfen? Louis Renault: „Weil ich, mein lieber Rick, den Verdacht hege, dass unter dieser zynischen Schale ein recht sentimentales Herz schlägt. Sie können ruhig darüber lachen, aber ich bin genau erstens über Ihre Vergangenheit orientiert. Lassen Sie mich nur zwei Punkte herausgreifen: 1935 haben Sie Waffen nach Äthiopien geschmuggelt, 1936 kämpften Sie in Spanien gegen die Faschisten.“
Auch in dieser Szene wird eine Politik des Sich-Einmischens heraufbeschworen. Bogart spielt eine Figur, die souverän genug ist, in einer Welt voller Terror und politischer Ungerechtigkeit die Integrität zu bewahren und solidarisch gegenüber den Unterdrückten zu handeln. Einer, der sich einmischt, dessen Niederlagen aber einen moralischen Sieg bedeuten. Und zugleich stellt der Film über die Figur des Rick Blaine die patriotische Bestätigung des Hollywoodhelden dar. Denn der Film verbindet auf eigentümliche Weise den Kampf zwischen erotischer Leidenschaft und politischer Vernunft. Am Ende siegt die Feindschaft gegen die Diktatur. Schließlich verzichtet Bogart auf die Liebesbeziehung mit Ingrid Bergman und entscheidet sich für den Widerstand gegen das NS-Regime.
Gleichzeitig ist „Casablanca“ein Kinostreifen voller Klischees und Ungereimtheiten. Seine Aura hat das bis heute nicht beschädigen können. Zum Beispiel tragen die begehrten Transitvisa für die Ausreise nach Lissabon die Unterschrift Charles de Gaulles, also ausgerechnet des Mannes, der die französische Widerstandsbewegung gegen die mit dem NS-Regime kollaborierende Vichy-Regierung anführt. Und Victor Laszlo, der gerade aus einem Konzentrationslager fliehen konnte, läuft ständig in einem gut gebügelten Tropenanzug der Pariser Haute Couture herum. „Zwei Klischees empfinden wir als lächerlich, Hundert Klischees rühren uns“, schreibt der italienische Schriftsteller Umberto Eco über „Casablanca“.
1952 wurde „Casablanca“erstmals in deutschsprachigen Kinos gezeigt, allerdings von 102 auf 82 Minuten gekürzt und durch die Synchronisation bis zur Unkenntlichkeit
verfälscht. Alle Hinweise auf den Nationalsozialismus wurden getilgt. Die Figur des Widerstandskämpfers Laszlo hatte man in den norwegischen Atomphysiker Larsen verwandelt, der wegen seiner Erfindung von „Deltastrahlen“verfolgt wird. Erst 1975 wurde für das deutschsprachige Publikum eine neue und ungekürzte Synchronisation zugänglich. Der Kalte Krieg hatte sich auf seine Weise der NS-Vergangenheit ideologisch bemächtigt. Doch es war der US-Verleih selbst, der „Casablanca“dieser Mutation unterworfen hatte. Schließlich sollte der Film auch in der Nachkriegszeit Kasse machen.