Begraben unter Schlamm
Nach dem Erdrutsch auf der italienischen Insel Ischia ist am Montag das achte Todesopfer gefunden worden – ein 15 Jahre alter Junge. Der Zivilschutz-Chef warnt vor weiteren Katastrophen, das Land streitet über das Baurecht.
Nach dem Erdrutsch auf der italienischen Insel Ischia mit bislang acht Todesopfern hat die Staatsanwaltschaft Neapel ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ermittelt wird gegen unbekannt. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen der fortdauernden Bergungsarbeiten noch keinen Zugang zu der Unglücksstelle. Bei den Ermittlungen geht es um die menschliche Verantwortung für das Desaster im Hinblick auf den Bau von Wohnhäusern in gefährdeten Gebieten und die Erteilung entsprechender Genehmigungen.
Nach heftigen Regenfällen hatte am Samstag eine von den Hängen des Monte Epomeo bis in den Küstenort Casamicciola abgegangene Schlammlawine eine drei Kilometer lange Spur der Verwüstung hinterlassen. Der Erdrutsch riss mehrere am Waldrand liegende Wohnhäuser mit sich. Insgesamt wurden 30 Häuser beschädigt oder vollständig zerstört. Nach Behördenangaben haben 230 Menschen ihr Zuhause verloren. Am Montag entdeckten die Rettungskräfte das achte Todesopfer, einen 15-Jährigen. Vier Menschen wurden weiterhin vermisst.
Unter den Opfern sind zwei Familien mit Kindern. Tot geborgen wurden am Sonntag ein sechsjähriges Mädchen sowie ihr elfjähriger Bruder, die Geschwister des 15-Jährigen. Die Eltern gelten noch als vermisst. Das Haus der Familie in Casamicciola war am Samstagmorgen von der Schlammlawine erfasst worden. Die Feuerwehr barg außerdem ein junges Paar, dessen erstes Kind erst drei Wochen alt war. Alle drei Menschen kamen ums Leben. Das Paar hatte nach einem Erdbeben auf Ischia 2017 seine Wohnung verlassen müssen und war umgezogen. Das Haus der Familie wurde durch den Erdrutsch komplett zerstört. Geborgen wurden außerdem zwei Frauen im Alter von 31 und 58 Jahren.
„Ganz Italien ist in Gefahr“, warnte der Chef des italienischen Zivilschutzes, Fabrizio Curcio. In 94 Prozent der italienischen Gemeinden bestehe ein Risiko für Überschwemmungen, Erdrutsche oder Küstenerosionen. Curcio forderte mehr Prävention. „Ereignisse wie auf Ischia werden immer häufiger“, sagte er. Der italienische Architekt und Senator auf Lebenszeit, Renzo Piano, appellierte an die Regierung, unpopuläre Maßnahmen „zur hydrogeologischen und forstwirtschaftlichen Sanierung“Italiens zu ergreifen.
Der italienische Minister für Umwelt und Energiesicherheit, Gilberto Pichetto Fratin (Forza Italia), forderte ein hartes Durchgreifen gegen illegales Bauen. „Man müsste einfach den Bürgermeister oder diejenigen, die nicht kontrollieren, ins Gefängnis stecken“, sagte er am Montag dem Radiosender RTL 102,5. Fratin sagte, dass „nicht genehmigte Bauten, die Vernachlässigung des Territoriums, mangelhafte Instandhaltung der Infrastruktur und die unzureichende Verwendung der Mittel für den Schutz des Bodens“die Katastrophe mitverursacht hätten.
In Italien ist nun eine Debatte um den Umgang mit Immobilien im Gang, die ohne Baugenehmigung errichtet wurden. Auf Ischia gab es bis 2018 rund 27.000 Anträge für eine entsprechende Amnestie. Immer wieder hatten die Regierungen in Rom solche Amnestien im Wahlkampf versprochen und später realisiert. Infolge des Erdbebens 2017 hatte die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte (Fünf-Sterne-Bewegung) ein Jahr später die Amnestie-Prozeduren vereinfacht. Dafür wurde Conte nun in Italien heftig von einem seiner Vorgänger, Matteo Renzi, kritisiert.
Nach Angaben des Umweltverbandes Legambiente sind etwa 13.500 der insgesamt rund 90.000 Immobilieneinheiten auf der Insel ohne jede Art von Genehmigung gebaut worden. Im Fall von rund 10.000 Immobilien bestehen letztinstanzliche Strafgerichtsurteile gegen die Eigentümer. Dass es dann so gut wie nie zum Abriss kommt, liegt auch an bürokratischen Hindernissen. Liegt ein entsprechendes Verwaltungsgerichtsurteil vor, muss der Staatsanwalt den ersten Schritt machen. Er fordert die betreffende Gemeinde auf, das Geld für den Abriss vorzustrecken. Die Gemeinde wendet sich dazu an die staatliche Förderbank Cassa di Depositi e Prestiti. De facto passiert das aber selten. Die klammen Gemeinden wollen sich bei den Bürgern nicht unbeliebt machen und haben Schwierigkeiten, das Geld von den Immobilieneigentümern später wieder einzutreiben.