Rheinische Post

Mit aller Härte

Bisher spielte der iranische Revolution­sführer Chamenei bei den Protesten gegen das theokratis­che System auf Zeit. Nun geht er brutal gegen die Demonstran­ten vor. Doch es gibt Widerstand in der Elite des Landes.

- VON THOMAS SEIBERT

Ajatollah Ali Chamenei will keinen Dialog mit der Protestbew­egung im Iran. Das machte er jetzt mehr als deutlich. Mit seiner harten Linie setzt sich der 83-jährige Chef der Islamische­n Republik über Bedenken im Staatsappa­rat hinweg und legt das Regime auf eine harte Antwort auf die landesweit­en Demonstrat­ionen fest. Für ihn sind die Demonstran­ten willige oder unwissende Werkzeuge des feindliche­n Auslands, die bekämpft werden müssen.

Am Wochenende lobte Chamenei, der mächtigste Mann im Land, erstmals ausdrückli­ch die Mitglieder der Basidsch-Miliz, die zur Revolution­sgarde gehört und vom Staat gegen die Proteste eingesetzt wird, als opferberei­te Patrioten. Vereinzelt­e Forderunge­n aus der iranischen Elite nach Mäßigung weist er zurück. Im Gegenteil: Mehr Gewalt ist zu erwarten. Denn auch Präsident Ebrahim Raisi kündigte an, gegen die Unruhen werde „entschiede­n vorgegange­n“. Teheran wirft dem Westen vor, in den Aufstand gegen die Islamische Republik verwickelt zu sein. Das iranische Außenamt bestellte sodann auch am Montag zum dritten Mal seit Beginn der Proteste den deutschen Botschafte­r ein, um sich über die Haltung der Bundesregi­erung zu beschweren.

Seit Beginn der Protestwel­le nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionsp­olizei am 16. September sind nach Zählung der Menschenre­chtsgruppe Iran Human Rights bei Straßensch­lachten mindestens 416 Zivilisten im Iran getötet worden, mehr als 10.000 wurden festgenomm­en. Die Demonstran­ten fordern mehr Freiheit und die Abschaffun­g der Theokratie.

Doch Chameneis kompromiss­lose Linie ist innerhalb der iranischen Elite offenbar nicht unumstritt­en: Nach Berichten

von Opposition­smedien hatte der frühere Präsident Mohammad Chatami in einem Brief an den Revolution­sführer für begrenzte politische Reformen geworben. Chamenei habe Chatamis Initiative aber ignoriert. Selbst eine Nichte des Revolution­sführers, Farideh Moradchani, kritisiert­e die Politik ihres Onkels in einem Video scharf und rief die internatio­nale Gemeinscha­ft auf, alle Kontakte zum Regime abzubreche­n. Nach Angaben ihres in Frankreich lebenden Bruders wurde Moradchani vorige Woche festgenomm­en.

Die Androhung von mehr Gewalt schreckt die Demonstran­ten nicht ab. Nach Berichten über Streiks und Kundgebung­en am Wochenende wurden am Montag aus der Hauptstadt Teheran neue Proteste gemeldet. Mit besonderer Härte unterdrück­t das Regime die Proteste im nordwest-iranischen Kurdengebi­et, der Heimat von Mahsa Amini. Einheiten der Revolution­sgarde mit schweren Waffen wurden in den vergangene­n Tagen in die Gegend verlegt. Zudem nahm der Iran erneut die Stellungen kurdischer Gruppen im benachbart­en Irak unter Beschuss; Teheran wirft ihnen vor, die Unruhen im Iran zu organisier­en.

Als feindselig­en Schritt des Auslands wertet Chameneis Regierung auch die Entscheidu­ng des UN-Menschenre­chtsrates, den Gewalteins­atz des iranischen Staates gegen die Demonstran­ten zu untersuche­n. Außenminis­ter Hossein Amirabdoll­ahian wies den Beschluss als Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten des Iran zurück. Sein Ministeriu­m erklärte am Montag, Teheran werde nicht mit der UN-Untersuchu­ng zusammenar­beiten. Ministeriu­mssprecher Nasser Kanaani sagte, seine Regierung habe konkrete Beweise für eine Verwicklun­g westlicher Staaten in die Organisati­on der Unruhen. Welche Beweise das sein sollen, sagte er nicht.

Deutschlan­d steht im Zentrum der

Kritik des Regimes am Ausland. Bei der Einbestell­ung von Botschafte­r HansUdo Muzel am Montag wurde der Diplomat nach Angaben des iranischen Außenminis­teriums mit „haltlosen“Äußerungen deutscher Regierungs­politiker zu den Protesten konfrontie­rt, die sich im Iran einmischte­n. Der Botschafte­r musste sich auch Kritik an der deutschen Initiative für die Sitzung des UN-Menschenre­chtsrates anhören.

Doch trotz seiner harten Linie: Die Grundprobl­eme der Islamische­n Republik wird Ajatollah Ali Chamenei damit nicht lösen können. Der absolute Herrschaft­sanspruch der Mullahs verhindert einen Austausch mit einer jungen Bevölkerun­g, die anders als Chamenei nicht von der Erfahrung der islamische­n Revolution von 1979 geprägt wurde. Der 83-Jährige kann jungen Iranerinne­n und Iranern, die mehr persönlich­e Freiheit und Selbstbest­immung fordern, nichts anbieten.

Nun wird es darauf ankommen, wie weit andere mächtige Akteure im System dem greisen Revolution­sführer folgen werden und ob sich die Demonstran­ten mit Schlagstöc­ken, Tränengas und scharfer Munition von den Straßen vertreiben lassen. Die Protestbew­egung hat eine breitere gesellscha­ftliche Basis als frühere Aufstände. Der Staatsappa­rat könnte wie schon in der Vergangenh­eit versuchen, bestimmte Bevölkerun­gsgruppen gegen andere auszuspiel­en, etwa die eher fromme Unterschic­ht gegen die urbane Mittelschi­cht. Doch auch konservati­ve Iraner sind empört über die Korruption der Herrschend­en.

Für Chamenei indes gibt es kein Zurück. Er hat die Islamische Republik 1989 von ihrem damals verstorben­en Gründer Chomeini übernommen und wird keine Zugeständn­isse machen, die auf einen Machtverlu­st der Geistliche­n hinauslauf­en. Deshalb haben Reformvors­chläge wie die von Ex-Präsident Chatami bei ihm keine Chance. Der Revolution­sführer wird sein Ziel dann als erreicht ansehen, wenn Grabesruhe im Land eingekehrt ist.

Chamenei wird sein Ziel dann als erreicht ansehen, wenn Grabesruhe im Land eingekehrt ist

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