Mit aller Härte
Bisher spielte der iranische Revolutionsführer Chamenei bei den Protesten gegen das theokratische System auf Zeit. Nun geht er brutal gegen die Demonstranten vor. Doch es gibt Widerstand in der Elite des Landes.
Ajatollah Ali Chamenei will keinen Dialog mit der Protestbewegung im Iran. Das machte er jetzt mehr als deutlich. Mit seiner harten Linie setzt sich der 83-jährige Chef der Islamischen Republik über Bedenken im Staatsapparat hinweg und legt das Regime auf eine harte Antwort auf die landesweiten Demonstrationen fest. Für ihn sind die Demonstranten willige oder unwissende Werkzeuge des feindlichen Auslands, die bekämpft werden müssen.
Am Wochenende lobte Chamenei, der mächtigste Mann im Land, erstmals ausdrücklich die Mitglieder der Basidsch-Miliz, die zur Revolutionsgarde gehört und vom Staat gegen die Proteste eingesetzt wird, als opferbereite Patrioten. Vereinzelte Forderungen aus der iranischen Elite nach Mäßigung weist er zurück. Im Gegenteil: Mehr Gewalt ist zu erwarten. Denn auch Präsident Ebrahim Raisi kündigte an, gegen die Unruhen werde „entschieden vorgegangen“. Teheran wirft dem Westen vor, in den Aufstand gegen die Islamische Republik verwickelt zu sein. Das iranische Außenamt bestellte sodann auch am Montag zum dritten Mal seit Beginn der Proteste den deutschen Botschafter ein, um sich über die Haltung der Bundesregierung zu beschweren.
Seit Beginn der Protestwelle nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei am 16. September sind nach Zählung der Menschenrechtsgruppe Iran Human Rights bei Straßenschlachten mindestens 416 Zivilisten im Iran getötet worden, mehr als 10.000 wurden festgenommen. Die Demonstranten fordern mehr Freiheit und die Abschaffung der Theokratie.
Doch Chameneis kompromisslose Linie ist innerhalb der iranischen Elite offenbar nicht unumstritten: Nach Berichten
von Oppositionsmedien hatte der frühere Präsident Mohammad Chatami in einem Brief an den Revolutionsführer für begrenzte politische Reformen geworben. Chamenei habe Chatamis Initiative aber ignoriert. Selbst eine Nichte des Revolutionsführers, Farideh Moradchani, kritisierte die Politik ihres Onkels in einem Video scharf und rief die internationale Gemeinschaft auf, alle Kontakte zum Regime abzubrechen. Nach Angaben ihres in Frankreich lebenden Bruders wurde Moradchani vorige Woche festgenommen.
Die Androhung von mehr Gewalt schreckt die Demonstranten nicht ab. Nach Berichten über Streiks und Kundgebungen am Wochenende wurden am Montag aus der Hauptstadt Teheran neue Proteste gemeldet. Mit besonderer Härte unterdrückt das Regime die Proteste im nordwest-iranischen Kurdengebiet, der Heimat von Mahsa Amini. Einheiten der Revolutionsgarde mit schweren Waffen wurden in den vergangenen Tagen in die Gegend verlegt. Zudem nahm der Iran erneut die Stellungen kurdischer Gruppen im benachbarten Irak unter Beschuss; Teheran wirft ihnen vor, die Unruhen im Iran zu organisieren.
Als feindseligen Schritt des Auslands wertet Chameneis Regierung auch die Entscheidung des UN-Menschenrechtsrates, den Gewalteinsatz des iranischen Staates gegen die Demonstranten zu untersuchen. Außenminister Hossein Amirabdollahian wies den Beschluss als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran zurück. Sein Ministerium erklärte am Montag, Teheran werde nicht mit der UN-Untersuchung zusammenarbeiten. Ministeriumssprecher Nasser Kanaani sagte, seine Regierung habe konkrete Beweise für eine Verwicklung westlicher Staaten in die Organisation der Unruhen. Welche Beweise das sein sollen, sagte er nicht.
Deutschland steht im Zentrum der
Kritik des Regimes am Ausland. Bei der Einbestellung von Botschafter HansUdo Muzel am Montag wurde der Diplomat nach Angaben des iranischen Außenministeriums mit „haltlosen“Äußerungen deutscher Regierungspolitiker zu den Protesten konfrontiert, die sich im Iran einmischten. Der Botschafter musste sich auch Kritik an der deutschen Initiative für die Sitzung des UN-Menschenrechtsrates anhören.
Doch trotz seiner harten Linie: Die Grundprobleme der Islamischen Republik wird Ajatollah Ali Chamenei damit nicht lösen können. Der absolute Herrschaftsanspruch der Mullahs verhindert einen Austausch mit einer jungen Bevölkerung, die anders als Chamenei nicht von der Erfahrung der islamischen Revolution von 1979 geprägt wurde. Der 83-Jährige kann jungen Iranerinnen und Iranern, die mehr persönliche Freiheit und Selbstbestimmung fordern, nichts anbieten.
Nun wird es darauf ankommen, wie weit andere mächtige Akteure im System dem greisen Revolutionsführer folgen werden und ob sich die Demonstranten mit Schlagstöcken, Tränengas und scharfer Munition von den Straßen vertreiben lassen. Die Protestbewegung hat eine breitere gesellschaftliche Basis als frühere Aufstände. Der Staatsapparat könnte wie schon in der Vergangenheit versuchen, bestimmte Bevölkerungsgruppen gegen andere auszuspielen, etwa die eher fromme Unterschicht gegen die urbane Mittelschicht. Doch auch konservative Iraner sind empört über die Korruption der Herrschenden.
Für Chamenei indes gibt es kein Zurück. Er hat die Islamische Republik 1989 von ihrem damals verstorbenen Gründer Chomeini übernommen und wird keine Zugeständnisse machen, die auf einen Machtverlust der Geistlichen hinauslaufen. Deshalb haben Reformvorschläge wie die von Ex-Präsident Chatami bei ihm keine Chance. Der Revolutionsführer wird sein Ziel dann als erreicht ansehen, wenn Grabesruhe im Land eingekehrt ist.
Chamenei wird sein Ziel dann als erreicht ansehen, wenn Grabesruhe im Land eingekehrt ist