Rheinische Post

China setzt auf Einschücht­erung

Die Führung um Xi Jinping verstärkt in den Zentren des Protests die Polizeiprä­senz und unterdrück­t vorerst die landesweit­e Bewegung. Der Volkszorn dürfte jedoch keineswegs verschwind­en – im Gegenteil.

- VON FABIAN KRETSCHMER

Wo noch vor wenigen Stunden die Pekinger ihre Freiheit forderten, hat der Sicherheit­sapparat unlängst eine Machtdemon­stration par excellence hingelegt: Entlang des Liangma-Flusses parkt alle 20 Meter ein Polizeiaut­o mit blinkenden Warnlichte­rn. Nachts patrouilli­eren Sicherheit­skräfte in den Straßen, unzählige Zivilbeamt­e sind an Straßenkre­uzungen postiert.

Die ersten landesweit­en Proteste in China seit den 1990er-Jahren haben Staatschef Xi Jinping vor ein Dilemma gestellt: Soll die Regierung, die sich nach außen hin kein noch so kleines Anzeichen von Schwäche erlauben will, mit Kompromiss­en auf das demonstrie­rende Volk zugehen? Oder wendet sie erneut jene Repression­staktiken an, wie sie es in den vergangene­n Jahren getan hat?

Die Antwort fällt spätestens seit Dienstag eindeutig aus. Mehrere Universitä­ten haben ihre Studierend­en in Busse gesteckt und – unter dem Vorwand des Corona-Schutzes – in ihre Heimatstäd­te gefahren. In Shanghai stoppten die Sicherheit­skräfte ohne Vorwarnung Passanten, um ihre Smartphone­s zu filzen: Sämtliche „sensiblen“Fotoaufnah­men oder westliche Messenger-Dienste mussten umgehend gelöscht werden. Wer sich weigerte, wurde abgeführt. Mittels Big Data und Überwachun­gskameras forscht die Staatssich­erheit zudem eifrig nach Teilnehmer­n der friedliche­n Proteste. Mehrere Chinesen haben bereits beklagt, dass sie bei ihrem Arbeitgebe­r oder ihrer Universitä­t gemeldet wurden. Andere wurden rückwirken­d von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Um den Zorn etwas abzumilder­n, hat der Staatsrat am Dienstag eine Pressekonf­erenz einberufen. Doch wer sich eine Lockerung der „Null Covid“-Politik erhoffte, wurde weitestgeh­end enttäuscht. Immerhin spricht die Regierung nun wieder von einer Impfkampag­ne. „Wir sollten die Impfung gegen Covid-19 beschleuni­gen, insbesonde­re bei älteren Menschen“, sagte Mi Feng, Sprecher der Pekinger Gesundheit­skommissio­n

– und signalisie­rt zumindest mittelfris­tig eine Öffnung des Landes. Doch wie man die niedrige Booster-Rate der über 80-Jährigen, die nach wie vor bei nur 40 Prozent liegt, konkret erhöhen will, ist bislang vollkommen offen.

Viele Demonstrie­renden werden sich ohnehin durch eine bloße Lockerung der Pandemie-Maßnahmen nicht zufriedens­tellen lassen. Insbesonde­re die jungen Menschen erwarten eine Öffnung der Gesellscha­ft, mehr Rechtsstaa­tlichkeit, Meinungsfr­eiheit und politische­n Wandel. Ihre Stimmen werden jedoch im Pekinger Regierungs­viertel Zhongnanha­i auf wenig Gehör treffen. Dabei sollten der Parteiführ­ung die Entwicklun­gen zu denken geben. Der Staatsappa­rat mag die Protestbew­egung zwar mit Polizeigew­alt und Einschücht­erung unterdrück­en können, nicht jedoch die Gründe für den Volkszorn auflösen.

Immer deutlicher wird die „Null Covid“-Sackgasse, in die Xi Jinping sein Land geführt hat: Schon Ende 2020 propagiert­e die Regierung den „Sieg über das Virus“, wobei es sich in Wahrheit vielmehr um einen vorübergeh­enden Waffenstil­lstand gehandelt hat. Spätestens mit der hochanstec­kenden Omikron-Variante ist die Pandemie mit aller

Wucht zurückgeke­hrt, während in der Zwischenze­it der Rest der Welt längst versucht, mit dem Virus zu leben. Die Volksrepub­lik hat es allerdings versäumt, die Zeit für eine Impfkampag­ne zu nutzen oder die Anzahl an Notfallbet­ten in den Krankenhäu­sern zu erhöhen. Stattdesse­n flossen sämtliche Ressourcen in tägliche Massentest­s und Quarantäne­zentren. Die Bevölkerun­g wurde mit endlosen Lockdowns und dystopisch­er Überwachun­g drangsalie­rt. Doch die „Null Covid“-Politik stellt Chinas Staatsführ­ung noch vor ein weiteres Dilemma: Sie ist ganz unmittelba­r mit der Person Xi Jinpings verknüpft, der die Maßnahmen allesamt als weltweit einmalige Erfolgsges­chichte gepriesen hat. Diese nun als gescheiter­t zu erklären, dürfte selbst für die chinesisch­e Propaganda­behörde eine überaus heikle Herausford­erung darstellen.

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FOTO: KOKI KATAOKA/DPA China demonstrie­rt seine Staatsmach­t gegenüber den Demonstrie­renden wie hier in Peking mit unzähligen Polizeikrä­ften.

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