China setzt auf Einschüchterung
Die Führung um Xi Jinping verstärkt in den Zentren des Protests die Polizeipräsenz und unterdrückt vorerst die landesweite Bewegung. Der Volkszorn dürfte jedoch keineswegs verschwinden – im Gegenteil.
Wo noch vor wenigen Stunden die Pekinger ihre Freiheit forderten, hat der Sicherheitsapparat unlängst eine Machtdemonstration par excellence hingelegt: Entlang des Liangma-Flusses parkt alle 20 Meter ein Polizeiauto mit blinkenden Warnlichtern. Nachts patrouillieren Sicherheitskräfte in den Straßen, unzählige Zivilbeamte sind an Straßenkreuzungen postiert.
Die ersten landesweiten Proteste in China seit den 1990er-Jahren haben Staatschef Xi Jinping vor ein Dilemma gestellt: Soll die Regierung, die sich nach außen hin kein noch so kleines Anzeichen von Schwäche erlauben will, mit Kompromissen auf das demonstrierende Volk zugehen? Oder wendet sie erneut jene Repressionstaktiken an, wie sie es in den vergangenen Jahren getan hat?
Die Antwort fällt spätestens seit Dienstag eindeutig aus. Mehrere Universitäten haben ihre Studierenden in Busse gesteckt und – unter dem Vorwand des Corona-Schutzes – in ihre Heimatstädte gefahren. In Shanghai stoppten die Sicherheitskräfte ohne Vorwarnung Passanten, um ihre Smartphones zu filzen: Sämtliche „sensiblen“Fotoaufnahmen oder westliche Messenger-Dienste mussten umgehend gelöscht werden. Wer sich weigerte, wurde abgeführt. Mittels Big Data und Überwachungskameras forscht die Staatssicherheit zudem eifrig nach Teilnehmern der friedlichen Proteste. Mehrere Chinesen haben bereits beklagt, dass sie bei ihrem Arbeitgeber oder ihrer Universität gemeldet wurden. Andere wurden rückwirkend von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Um den Zorn etwas abzumildern, hat der Staatsrat am Dienstag eine Pressekonferenz einberufen. Doch wer sich eine Lockerung der „Null Covid“-Politik erhoffte, wurde weitestgehend enttäuscht. Immerhin spricht die Regierung nun wieder von einer Impfkampagne. „Wir sollten die Impfung gegen Covid-19 beschleunigen, insbesondere bei älteren Menschen“, sagte Mi Feng, Sprecher der Pekinger Gesundheitskommission
– und signalisiert zumindest mittelfristig eine Öffnung des Landes. Doch wie man die niedrige Booster-Rate der über 80-Jährigen, die nach wie vor bei nur 40 Prozent liegt, konkret erhöhen will, ist bislang vollkommen offen.
Viele Demonstrierenden werden sich ohnehin durch eine bloße Lockerung der Pandemie-Maßnahmen nicht zufriedenstellen lassen. Insbesondere die jungen Menschen erwarten eine Öffnung der Gesellschaft, mehr Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und politischen Wandel. Ihre Stimmen werden jedoch im Pekinger Regierungsviertel Zhongnanhai auf wenig Gehör treffen. Dabei sollten der Parteiführung die Entwicklungen zu denken geben. Der Staatsapparat mag die Protestbewegung zwar mit Polizeigewalt und Einschüchterung unterdrücken können, nicht jedoch die Gründe für den Volkszorn auflösen.
Immer deutlicher wird die „Null Covid“-Sackgasse, in die Xi Jinping sein Land geführt hat: Schon Ende 2020 propagierte die Regierung den „Sieg über das Virus“, wobei es sich in Wahrheit vielmehr um einen vorübergehenden Waffenstillstand gehandelt hat. Spätestens mit der hochansteckenden Omikron-Variante ist die Pandemie mit aller
Wucht zurückgekehrt, während in der Zwischenzeit der Rest der Welt längst versucht, mit dem Virus zu leben. Die Volksrepublik hat es allerdings versäumt, die Zeit für eine Impfkampagne zu nutzen oder die Anzahl an Notfallbetten in den Krankenhäusern zu erhöhen. Stattdessen flossen sämtliche Ressourcen in tägliche Massentests und Quarantänezentren. Die Bevölkerung wurde mit endlosen Lockdowns und dystopischer Überwachung drangsaliert. Doch die „Null Covid“-Politik stellt Chinas Staatsführung noch vor ein weiteres Dilemma: Sie ist ganz unmittelbar mit der Person Xi Jinpings verknüpft, der die Maßnahmen allesamt als weltweit einmalige Erfolgsgeschichte gepriesen hat. Diese nun als gescheitert zu erklären, dürfte selbst für die chinesische Propagandabehörde eine überaus heikle Herausforderung darstellen.