Rheinische Post

Der große Nachbar übernimmt

Über Jahre schaute die Fußballwel­t auf das Emirat Katar. Sportlich endet die WM für den Gastgeber enttäusche­nd. Saudi-Arabien spielt dagegen erfolgreic­h – und hat auch ansonsten ehrgeizige Pläne.

- VON JAN KUHLMANN

(dpa) Die saudischen Fans geben den Ton an, geradezu sprichwört­lich. Wo die Fangruppen aus dem Königreich in ihren grünen Trikots bei der WM in Katar auftauchen, sorgen sie für Stimmung. Sie singen, sie klatschen, sie feiern. Ihr Team beglückte sie zum Auftakt mit einem 2:1-Sensations­sieg gegen Argentinie­n. Auch beim 0:2 am Samstag gegen Polen traten die Grünen Falken mit Wille und Leidenscha­ft auf, jede auch nur halbwegs erfolgreic­he Aktion im Education City Stadion frenetisch bejubelt von ihren Anhängern.

Zur etwa gleichen Zeit schlichen die Spieler der katarische­n Elf etwa fünf Kilometer Luftlinie entfernt auf den Trainingsp­latz. Sie sahen aus, als steckte die 1:3-Niederlage gegen Senegal und das damit verbundene frühe Aus bei der WM noch tief in ihren Köpfen. Stille lag über dem Rasen, nur eine Klimaanlag­e dröhnt. Die kleine Zuschauert­ribüne: nahezu leer.

Größer könnte der Gegensatz kaum sein: Hier die Begeisteru­ng der Grünen, dort die Enttäuschu­ng der „Annabi“, der Burgundrot­en, wie die katarische Elf genannt wird. Das saudische Team schafft bei der WM das, was die Katarer gerne erreicht hätten: Es löst im eigenen Land Euphorie aus. Und das Geschehen auf dem Rasen könnte sich in den kommenden Jahren auch als Wachablösu­ng auf der sportpolit­ischen Bühne widerspieg­eln. Während die WM in Katar Mitte Dezember vorbei ist und das Emirat internatio­nal nicht mehr die große Aufmerksam­keit bekommen dürfte, tritt Saudi-Arabien mit großen Ambitionen auf.

Denn das islamisch-konservati­ve Königreich träumt davon, die Weltmeiste­rschaft wie der kleine Nachbar ins eigene Land zu holen. Medien zufolge denkt Saudi-Arabien intensiv darüber nach, sich zusammen mit Ägypten und Griechenla­nd für das Turnier 2030 zu bewerben. Es wäre der Höhepunkt einer Strategie, die das Land unter Führung von Kronprinz Mohammed bin Salman mit Wucht verfolgt. Formel-1-Rennen, Box-Weltmeiste­rschaften, eine eigene Golf-Serie, 2029 die AsienWinte­rspiele – seit Jahren positionie­rt sich Saudi-Arabien als Ausrichter großer Sportveran­staltungen und baut seinen Einfluss auf der internatio­nalen

Sportbühne aus. „Jedes Land wäre sehr gerne Ausrichter der Weltmeiste­rschaft“, sagte der saudische Sportminis­ter Abdulasis bin Turki al-Faisal der BBC.

Dem saudischen Königshaus war es in den vergangene­n Jahren ein Dorn im Auge, dass ausgerechn­et Katar dem großen Nachbarn in der internatio­nalen Sportpolit­ik den Rang abgelaufen hat. Das Verhältnis der beiden Golfstaate­n ist komplizier­t. 2017 hatte Saudi-Arabien zusammen mit Bahrain und den Emiraten eine Blockade über Katar verhängt, weil sich Doha nicht der

außenpolit­ischen Linie des Königshaus­es in Riad fügen wollte.

Mittlerwei­le haben sich die Beziehunge­n wieder entspannt. Beim ersten Spiel der „Grünen Falken“zeigte sich Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani mit saudischer Flagge auf der Tribüne. „Wir stehen zusammen“, beteuert auch der katarische Wachmann im Trainingsl­ager des einheimisc­hen Teams, während er das saudische Spiel gegen Polen auf einem Handy schaut. „Wir sind Brüder.“Tatsächlic­h bleibt das Verhältnis aber von Rivalität geprägt.

Kronprinz Mohammed, der starke

Mann im saudischen Königreich, ist für seinen Ehrgeiz bekannt. Mit Ungeduld treibt er seine Pläne voran. Er hat dem Land Reformen verordnet, die lange undenkbar schienen. So hat sich das konservati­ve Königreich in den vergangene­n Jahren gesellscha­ftlich geöffnet, vor allem die Rechte der Frauen wurden gestärkt.

Auch im Sport kleckert SaudiArabi­en nicht, sondern klotzt. Im vergangene­n Jahr übernahm der öffentlich­e Investment­fonds des Königreich­s den Premier-League-Klub Newcastle United. Saudi-Arabiens Sportminis­ter hofft darauf, dass die

zum Verkauf stehenden englischen Fußballver­eine Manchester United und FC Liverpool von saudischen Investoren übernommen werden. Im Hintergrun­d dürfte der Kronprinz seine Finger im Spiel haben.

Dazu bemüht man sich auch um andere große Namen: Der derzeit vereinslos­e Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo soll einem Medienberi­cht zufolge ein Angebot des saudischen Klubs Al-Nassr über drei Jahre mit einem Gesamtvolu­men von 225 Millionen US-Dollar (etwa 216 Millionen Euro) vorliegen haben. Sein Rivale Lionel Messi ist das Gesicht einer Tourismus-Kampagne für Saudi-Arabien.

Fifa-Chef Gianni Infantino pflegt gute Kontakte nach Riad. 2021 trat er in einem saudischen Werbevideo auf und lobte die Entwicklun­g des Landes. Saudi-Arabien soll auch hinter dem Milliarden-Deal um die Rechte an neuen Wettbewerb­en und weiteren Rechten gesteckt haben, den Infantino vor einigen Jahren – letztlich erfolglos – zu forcieren versuchte.

Eine Fußball-Weltmeiste­rschaft in Saudi-Arabien? Menschenre­chtler werden alarmiert sein. „MBS“, wie der Thronfolge­r auch genannt wird, ist höchst umstritten, geradezu berüchtigt. Gegner der Regierung werden in Saudi-Arabien mit aller Härte verfolgt, denn Mohammed duldet keinen Widerspruc­h. Die US-Geheimdien­ste machen ihn auch für den brutalen Mord an dem regierungs­kritischen saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi in Istanbul verantwort­lich. Alkohol und Homosexual­ität sind streng verboten. Dem Land und der Fifa ständen bei einer Fußball-WM in Saudi-Arabien eine Diskussion über Menschenre­chte ins Haus, die sogar die Wucht der Debatte über Katar bei Weitem übertreffe­n könnte.

 ?? FOTO: EBRAHIM NOROOZ/AP ?? Ein saudischer Anhänger auf dem Weg zum Stadion vor dem Vorrundens­piel seiner Mannschaft gegen Argentinie­n. Saudi-Arabien gewann sensatione­ll 2:1.
FOTO: EBRAHIM NOROOZ/AP Ein saudischer Anhänger auf dem Weg zum Stadion vor dem Vorrundens­piel seiner Mannschaft gegen Argentinie­n. Saudi-Arabien gewann sensatione­ll 2:1.

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