Ein Plan für mehr Fachkräfte
Die Ampel einigt sich auf Eckpunkte für die Reform des entsprechenden Einwanderungsgesetzes. Vorbild ist ein Modell aus Kanada.
Deutschland braucht dringend mehr gut ausgebildete Arbeitskräfte, da sind sich Politik, Wirtschaft und Fachleute einig. Deshalb will die Ampelkoalition Hürden für Ausländer abbauen. Am Mittwoch hat das Kabinett Eckpunkte für ein neues Fachkräfte-Einwanderungsgesetz verabschiedet. Ein Überblick.
Warum ist die Reform notwendig?
Die Babyboomer der geburtenstarken 1960er-Jahrgänge gehen bald in Rente, damit verstärkt sich der demografische Wandel: Ohne mehr Fachkräfte-Einwanderung und steigende Erwerbsquoten stehen dem Arbeitsmarkt bis 2035 über sieben Millionen Kräfte weniger zur Verfügung, hat das Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit ausgerechnet. Als Gegenmaßnahme nannte IAB-Forscher Enzo Weber, „Zuwanderer anzuziehen und zu integrieren“. Die Koalition will das nun mit der Reform des FachkräfteEinwanderungsgesetzes anpacken. Anfang 2023 soll der Gesetzentwurf kommen, kündigte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an.
Welche Regeln gelten aktuell?
Lange hatten Menschen aus Nicht-EULändern nur mit einer akademischen Ausbildung unbeschränkt Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Seit März 2020 können auch Fachkräfte mit einer ausländischen Berufsausbildung für sechs Monate das Recht auf einen Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland erhalten. Dafür benötigen sie aber eine anerkannte berufliche Qualifikation und Deutschkenntnisse. Zudem müssen sie ihren Lebensunterhalt während
der Suche selbst bestreiten können. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit beruflicher Abschlüsse sieht das IAB derzeit als größte Hürde.
Was soll sich nun ändern?
Anerkannte Fachkräfte sollen mit einem gültigen Arbeitsvertrag einfacher nach Deutschland kommen können. Wer im Ausland eine zweijährige Berufsausbildung absolviert hat und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung nachweist, soll auch dann in Deutschland arbeiten dürfen, wenn es keine formale Anerkennung für
den im Heimatland erworbenen Abschluss gibt. Voraussetzung ist ein Arbeitsvertrag. Wer den nicht hat, kann stattdessen eine „Chancenkarte“erhalten, mit der er einreisen und sich vor Ort einen Job suchen darf. Diese Möglichkeit soll es aber nur für Ausländer mit „gutem Potenzial“geben, das mithilfe eines Punktesystems nachgewiesen werden muss.
Was hat es mit dem Punktesystem auf sich?
Vorbild ist Kanada. Einwanderungswillige erhalten dort per „Express Entry“-Onlinesystem Punkte
für Kriterien wie Ausbildung, Berufserfahrung, Alter und Sprachkompetenz. Menschen aus diesem Bewerber-Pool werden in regelmäßigen Abständen aufgefordert, sich formal für eines von drei Einwanderungsprogrammen zu bewerben. In dieser zweiten Stufe werden erneut Punkte vergeben. Das angedachte deutsche Punktesystem für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten basiert nun auf ähnlichen Parametern.
Wie reagiert die Wirtschaft?
Wohlwollend. „Wir brauchen Menschen, die uns helfen, unseren Wohlstand in diesem Land zu bewahren“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Für das Baugewerbe wären die „Chancenkarte“und ein erleichterter Zuzug für Berufserfahrene „wichtige Bausteine für die Fachkräftegewinnung am Bau“. Beim IT-Verband Bitkom heißt es: „Wenn künftig formelle Abschlüsse und nachgewiesene Deutschkenntnisse keine Voraussetzung für Einwanderung mehr sein sollen, könnten davon insbesondere IT-Berufe profitieren, in denen Qualifikationen häufig berufsbegleitend
erworben werden und Arbeitssprache ohnehin Englisch ist.“Auch der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) begrüßte die Pläne, forderte aber Nachbesserungen bei der Anwerbung von Azubis. Auch die Gehaltsgrenzen hält der DIHK für zu hoch. Nach den Plänen soll das „1,25-fache des Durchschnittsjahresbruttogehalts“als reguläre Gehaltsgrenze nötig sein, um eine Fachkraft aus dem Ausland einstellen zu können. Für Berufe, in denen dringend Kräfte gesucht werden sowie für Berufsanfänger soll das 1,0-fache ausreichen.
Was sagt die Union? Sie ist skeptisch. Zunächst sollten lieber vorhandene Potenziale ausgeschöpft werden, sagte CDU-Chef Friedrich Merz. Er verwies auf Bürokratie bei der VisaVergabe und die teils schlechte Integration in Deutschland lebender Ausländer. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte, es würde die Akzeptanz der Reform steigern, wenn auch die Union ihr zustimmen würde. Im Bundesrat kann die Union das Gesetz aber nicht wie beim Bürgergeld stoppen.