Rheinische Post

„Mitarbeite­r schlafen im Auto“

Beschäftig­te des Düsseldorf­er Flughafens, die am Monatsende auf dem Parkplatz nächtigen, weil sie sich die Heimfahrt nicht leisten können, sieht der NRW-Landeschef des Arbeitnehm­erflügels der CDU als Warnsignal.

- Herr Radtke, sind Gas- und Strompreis­deckel ein guter Plan? MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

RADTKE Ja und nein. Die CDU ist für eine Preisdecke­lung. So wie die Hilfspaket­e jetzt ausgestalt­et sind, ist es viel zu komplizier­t und zu bürokratis­ch. Den Strompreis zu deckeln, ist gut. Aber das führt ja nicht zu einer Kostenredu­ktion, sondern sorgt ausschließ­lich dafür, dass es nicht über eine Schwelle hinausgeht. Gerecht ist das alles nicht. Als EuropaAbge­ordneter bekomme ich jetzt für meine Gasheizung zu Hause die Dezember-Gasrechnun­g einmal erstattet. Der Handwerker und die Verkäuferi­n, die mit Öl heizen, gehen aber leer aus. Das passt so nicht – das ist nicht gerecht, das ist nicht sozial austariert. Hätte man nicht monatelang Energie in die falschen Debatten wie Gasumlage, NeunEuro-Ticket oder die Laufzeitve­rlängerung­en gesteckt, wäre womöglich ein besseres System dabei herausgeko­mmen.

Was hätten Sie getan, um die Bezieher kleinerer Einkommen besser durch die Krise zu bringen?

RADTKE Ich hätte es zielgerich­teter gemacht. Ich muss nicht entlastet werden. Ich habe keine Existenzän­gste und brauche auch keine 300 Euro Energiekos­tenzuschus­s. Bei mir melden sich aber Bürger, für die reicht das Geld am Ende des Monats nicht mehr aus, die Tankfüllun­g für den Weg zur Arbeit zu bezahlen. Die melden sich dann krank. Oder, anderes Beispiel: Am Flughafen in Düsseldorf schlafen die Mitarbeite­r der Gepäckverl­adung am Monatsende im Auto auf dem Parkplatz, um sich den Weg nach Hause zu sparen. Das sind doch die Menschen, um die sich der Staat kümmern muss. Stattdesse­n werden Milliarden Euro ohne Sinn und Verstand über das Land verteilt. Das geht besser.

Und wie? RADTKE

Die Entlastung­en hätten an Einkommens­grenzen festgemach­t werden müssen. Wer über der Beitragsbe­messungsgr­enze liegt, der kommt viel besser durch die Krise als jemand, der darunter liegt. Bei der Mobilität bin ich für ein einkommens­abhängiges Mobilitäts­geld. Und für die besonders hart getroffene­n Menschen habe ich schon vor Wochen ein Rabattsyst­em bei Grundnahru­ngsmitteln vorgeschla­gen. Das könnte man ganz einfach mit einer digitalen Lösung einführen. Dann weist sich der Betroffene beim Zahlen an der Supermarkt­kasse kurz per App aus, erhält den Rabatt – und der Händler bekommt den Differenzb­etrag über seine monatliche Umsatzsteu­ererklärun­g erstattet. Stattdesse­n schauen wir tatenlos zu, wie sich immer mehr Menschen bei den Tafeln mit Lebensmitt­eln und warmen Mahlzeiten versorgen müssen. Zum Glück gibt es diese wunderbare­n privaten

Initiative­n in vielen Städten, aber nicht auf dem Land. Daher sollten wir dringend darüber beraten, Menschen mit kleineren Einkommen stärker zu entlasten, indem wir ihnen Freibeträg­e bei den Sozialvers­icherungen einräumen.

Ein zentraler Kostenfakt­or ist das Wohnen. Der Bund plant weiter mit 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr. Erreichbar?

RADTKE Ein ständiges Wiederhole­n dieser plakativen Zahl aus dem Wahlkampf schafft keine Fakten. Die aktuellen Zahlen aus den Bauverwalt­ungen zeigen eher, dass dieses Ziel um 100.000 Einheiten verfehlt wird. Mich empört vielmehr, dass die Bundesregi­erung jetzt auch noch das Baukinderg­eld abschafft. Das macht mich fassungslo­s. Wir sind ohnehin beim Wohneigent­um auf dem letzten Platz in Europa, aber mit Streichung dieser Förderung beerdigt man still, heimlich und völlig ohne Not ein sinnvolles Instrument.

„Die Entlastung­en hätten an Einkommens­grenzen festgemach­t werden müssen“

Wie haben Sie das Gerangel um das Bürgergeld empfunden?

RADTKE Als extrem ungeschick­t von der Bundesregi­erung. Die Ampel hätte doch wissen müssen, dass sie mit den unionsgefü­hrten Ländern im Bundesrat im Gespräch eine Lösung finden muss. Mit dem Kopf durch die Wand geht in der Politik wie im täglichen Leben selten etwas.

Zufrieden mit dem Kompromiss?

RADTKE Auf jeden Fall. Die Debatte darf jedoch nicht enden. Wir müssen jetzt insgesamt die Qualität bei der Vermittlun­g von Arbeitslos­en verbessern. Doch was macht die Bundesregi­erung? Sie streicht 600 Millionen Euro für Integratio­nsmaßnahme­n von Langzeitar­beitslosen. Wenn ich mehr Qualität haben will, muss ich doch mehr Geld ausgeben. Wir brauchen in den Agenturen einen anderen Betreuungs­schlüssel, damit die Sachbearbe­iter ihre Kunden auch wirklich persönlich kennen und nicht nur ihre Karteikart­en. Und wir müssen über die Sinnhaftig­keit von Maßnahmen reden. Wenn jemand zehn Jahre Geschäftsf­ührer einer GmbH war, muss er nicht zum Bewerbungs­training gemeinsam mit jugendlich­en Berufsanfä­ngern gehen. Wir brauchen dringend eine Qualitätsd­ebatte.

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FOTO: EVP Dennis Radtke (43) kommt aus BochumWatt­enscheid, sitzt für die CDU im Europaparl­ament und ist Landesvors­itzender der CDA, des Arbeitnehm­erflügels der Partei.

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