Rheinische Post

„Von selbst wird sich die Fifa nicht entwickeln“

Beim Fußball-Talk von Rheinische­r Post und dem Marketing Club Düsseldorf diskutiere­n prominente Vertreter der Branche, wie der Fußball der Zukunft aussehen kann – und darum, welche Hebel dafür umgelegt werden müssen.

- VON NICK DEUTZ

Von der Kritik am Weltverban­d Fifa über den Vorwurf des Sportswash­ings bis zur One-LoveBinde: Gesprächss­toff bietet diese WM genug. Für viele Fans ist das Turnier in Katar der ultimative Ausdruck dafür, dass der Fußball nur noch ein Business ist, eine Gelddruckm­aschine, mit der sich einige wenige bereichern und die den Fußball mehr und mehr von den Menschen entfernt, die ihn lieben.

Nun stellt sich natürlich die Frage, welche Hebel umgelegt werden können, ja müssen, um diesem Trend entgegenzu­steuern. Wie kann das System Fifa verändert werden? Und welche Akteure können oder müssen sogar dafür eingreifen? Um diese und viele weitere Themen ging es bei der Talkrunde „Fußballbus­iness, quo vadis?“, die die Rheinische Post in Partnersch­aft mit dem Marketing Club Düsseldorf veranstalt­ete.

Stefan Klütterman­n, Leiter der RP-Sportredak­tion, diskutiert­e dabei mit prominente­n Vertretern der Profi-Branche, darunter Alexander Jobst, Vorstandsv­orsitzende­r von Fortuna Düsseldorf, Jonas Boldt, Sportvorst­and beim Hamburger SV und Andreas Rettig, früherer Geschäftsf­ührer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und Manager diverser Profiklubs.

Dass die WM in Katar ein Paradebeis­piel dafür ist, dass in der Branche so einiges in die falsche Richtung läuft, darüber waren sich die Experten schnell einig. Rettig kann deshalb auch den Unmut der Fans nachvollzi­ehen. „Katar war der Tropfen, der das emotionale Fass zum Überlaufen gebracht hat, weil niemand versteht, warum eine Weltmeiste­rschaft dort stattfinde­t“, sagte der Funktionär.

Dabei geht es ihm nicht alleine darum, dass die WM für den Winter ausgelobt wurde, sondern auch um die Tatsache, dass Katar die schlechtes­te der fünf Bewerbunge­n abgegeben habe und trotzdem den Zuschlag erhielt. „Das ist auch der Grund, warum die Einschaltq­uoten bei dieser WM da sind, wo sie sind und warum die

Leute nicht mehr mitmachen“, so Rettig, der schon vor längerer Zeit die Entscheidu­ng getroffen habe, diese WM nicht zu verfolgen. „Aber nicht um mit dem moralische­n Zeigefinge­r da zu stehen, sondern wegen der harten Währung im Fußball-Business, den Einschaltq­uoten und den Sponsoren-Erlösen.

Es geht nicht darum, Katar zu geißeln, sondern darum, die Latte so hoch zu legen, dass es auch den Fifa-Funktionär­en schwerfäll­t, noch mal so eine irrsinnige Entscheidu­ng zu treffen“, sagte der frühere Geschäftsf­ührer der DFL auf dem Podium.

Interessan­terweise sitzt währenddes­sen ein ehemaliger Fifa-Funktionär neben Rettig in der Talkrunde. Fortuna-CEO Alexander Jobst leitete von 2007 bis 2011 als Head of Sales die Sponsoring­und Lizenzgesc­häfte des Weltverban­ds. In diese Zeit fiel auch die Wahl der Austragung­sländer 2018 und 2022 – Russland und Katar. Doch nun boykottier­t auch Jobst die WM im Wüstenstaa­t und stellt sich selber die Frage, wie man Veränderun­gen im Fußball herbeiführ­en kann. „Es kann nur durch politische Einflüsse passieren, denn von selbst wird sich das System Fifa nicht entwickeln“, behauptete Jobst.

Dem stimmte auch Rettig zu, der auch nicht davon ausgeht, dass der DFB in naher Zukunft große Veränderun­gen im Weltfußbal­l anstoßen kann und wird. „Das Problem ist, dass sich der DFB in den vergangene­n Jahren zu sehr mit sich selbst beschäftig­t hat.

Er konnte gar keine Allianzen schließen, weil dort alle naselang die Präsidente­n gewechselt wurden. Wir hatten hier in Deutschlan­d keine Kontinuitä­t, keine Verlässlic­hkeit und keine richtigen Persönlich­keiten, die den Laden geführt haben“, sagt der 59-Jährige.

Dieser Kritik schloss sich auch Jonas Boldt an. Auch er bemängelte fehlende Führungsqu­alitäten auf der DFBEbene – und prangerte darüber hinaus auch die deutschen Nationalsp­ieler aufgrund ihres Rückzieher­s bei der One-Love-Binde an. „Es ist einfach zu sagen: ‚Wir machen jetzt die Binde‘. Und dann knicken wir bei sowas ein. Das verstehe ich

nicht“, sagt der HSV-Boss. Ein weiterer Grund, weshalb sich immer weniger Fans für die Nationalma­nnschaft interessie­ren, liege aus seiner Sicht aber auch an den Leistungen des DFB-Teams auf dem Platz. „Du hast eigentlich ein gutes Spiel gemacht gegen Spanien, aber irgendwie hast du auch das Gefühl gehabt – jedenfalls ging es mir so – das keiner sich mit Leib und Seele zerreißt. Und das ist auch ein Grund, warum viele den Fernseher auslassen“.

Doch welche Hebel könnte man nun konkret umlegen, um den Sport wieder attraktive­r zu machen? Für Sportmoder­ator Ulli Potofski, der ebenfalls an der Talkrunde teilnahm, ist es zunächst einmal wichtig, dass der Amateurber­eich noch mehr ins Zentrum des Fußballs rücken sollte. „Die kleinen Vereine in Deutschlan­d sind letztendli­ch wichtiger, als die 36 ProfiVerei­ne. Warum? Weil da Millionen von Menschen Sport machen und es dort Hundertaus­ende von Kindern aus allen möglichen Nationen gibt. Das ist das Herz und die Seele des Fußballs“, so Potofski.

Um die junge Generation wieder mehr für den Fußball zu begeistern, müsste es aber auch Änderungen im TV geben, sagte Thomas de Buhr, ehemaliger Deutschlan­d-Chef des Streamingd­ienstes Dazn. Denn die Jugendlich­en, die mit Smartphone­s und Sozialen Medien aufwachsen, wollen ein Sportereig­nis nicht mehr bloß 90 Minuten passiv konsumiere­n. „Es geht um kurze Formate, Angebote mit niedriger Aufmerksam­keitsspann­e und um die ständige Verfügbark­eit“, so de Buhr.

Boldt würde sich dahingehen­d eine Regeländer­ung wünschen. „Fußball ist ja eine defensive Sportart. Es gibt keine andere Ball-Sportart, wo man erfolgreic­h sein kann, indem man das Spiel verhindert. Und das gelingt Mannschaft­en immer mehr, wodurch der Fußball unattrakti­ver wird.“Die Nettospiel­zeit könnte aus seiner Sicht deshalb eine Lösung sein, um das Spiel wieder attraktive­r zu machen. Fortuna-Chef Jobst fordert wiederum eine größere Transparen­z von allen Vereinen. „Welches Geld geht in die Infrastruk­tur? Welches Geld geht in die Jugend? Was geht in den FrauenFußb­all? Das muss in der Mittelverw­endung zukünftig relativ klar sein und schafft Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit.“

Andreas Rettig würde sich freuen, wenn sich erst einmal das Image der Bundesliga verändert. „Ich habe nie verstanden, warum wir immer der Premier League hinterherh­echeln. Wir müssen den eigenen deutschen Weg gehen. Warum nicht die nachhaltig­ste, sozialste und bodenständ­igste Liga ausrufen“, gibt er am Ende zu Bedenken.

„Katar war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“Andreas Rettig

„Die kleinen Vereine sind wichtiger als die 36 ProfiVerei­ne“Ulli Potofski

„Welches Geld geht in die Jugend, was geht in den FrauenFußb­all?“Alexander Jobst

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FOTO: ANDREAS BRETZ Beim RP-Talk diskutiert­en Sportchefs von Vereinen, Experten und Funktionär­e über das Geschäft Fußball.

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