Rheinische Post

Faustschlä­ge auf dem Fußballpla­tz

Gewalt im Amateurfuß­ball schlägt immer wieder hohe Wellen. Fast die Hälfte aller Polizeiein­sätze in diesem Zusammenha­ng finden in Nordrhein-Westfalen statt. Wie sollen die Verbände damit umgehen?

- VON FLORIAN GUT

„Man hört so etwas ja immer mal aus den Medien oder sieht irgendwelc­he Videos. Aber das hat es hier bei uns in der Form noch nicht gegeben.“So spricht Christian Schmieder, der Vorsitzend­e des Fußball-Bezirkslig­isten FC Augustdorf über einen Vorfall bei einem Heimspiel seines Vereins Anfang November. Ein Spieler der Gästemanns­chaft soll dort einen Ordner attackiert und mit der Faust geschlagen haben, wie die Polizei damals mitteilte. Ein weiterer Spieler der Gäste habe zudem einen seiner Gegenspiel­er getreten.

Dabei hatte der Fußball- und Leichtathl­etikverban­d Westfalen (FLVW) zu Saisonbegi­nn härtere Strafen für solche Vorfälle angekündig­t. So drohen zum Beispiel 6000 Euro Strafe für unsportlic­hes Verhalten. Dazu kommt ein Abzug von bis zu sechs Punkten, wenn eine Schiedsric­hterin oder ein Schiedsric­hter von mindestens zwei Beteiligte­n angegriffe­n wurde. Im Wiederholu­ngsfall im selben Spieljahr erfolgt der Ausschluss der verantwort­lichen Mannschaft vom Spielbetri­eb bis zum Saisonende. Die zuständige­n Gremien des Westdeutsc­hen Fußballver­bandes verankerte­n diese Regeln anschließe­nd sogar für den gesamten NRW-Amateurfuß­ball. Eine vorläufige Bilanz wollten der FLVW und die Fußballver­bände Niederrhei­n und Mittelrhei­n auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht ziehen.

Es ist der Versuch, den zahlreiche­n Gewaltfäll­en im Amateurfuß­ball in Nordrhein-Westfalen Herr zu werden. 255 Polizeiein­sätze gab es dort in der vergangene­n Saison 2022/2023 laut einem Bericht der Innenminis­terkonfere­nz – knapp die Hälfte aller Einsätze bundesweit. Im Fall aus Augustdorf bei Bielefeld wurden die betroffene­n Spieler laut Schmieder vom Verband für jeweils 60 Spiele gesperrt und dürfen auch sonst keine Funktionen im Verein ausüben. Ein Urteil, das er begrüßte, auch wenn er persönlich auf noch härtere Strafen gehofft hätte.

Immer noch härtere Strafen hält Gunter A. Pilz dabei für wenig sinnvoll. Er ist Sportsozio­loge und Mitglied der Arbeitsgru­ppe Gewaltpräv­ention

im Amateurfuß­ball des DFB. „Die Todesstraf­e hat auch noch nie jemanden davon abgehalten, jemand anderen umzubringe­n“, sagt er. „Die Kriminolog­ie lehrt uns, dass es darauf ankommt, dem vorhandene­n Strafenkat­alog konsequent anzuwenden.“Da gebe es in der Sportgeric­htsbarkeit leider eklatante Unterschie­de von Verband zu Verband. Außerdem müssten die Strafen zeitnah erfolgen und in den Köpfen der Täter etwas bewegen, meint Pilz.

Allgemein sieht Pilz in der Gewalt im Amateurfuß­ball vor allem ein Abbild gesamtgese­llschaftli­cher Probleme: „Wir wissen, wo die soziale Situation äußerst prekär ist, dass da Menschen zu extremen Verhalten neigen, um ihre Probleme zu lösen.“Dass bei den Zahlen der vergangene­n Saison vor allem NordrheinW­estfalen

mit seinen vielen sozialen Brennpunkt­en herausstic­ht, bestätigt ihn dabei.

Schmieder spricht ebenfalls von einem gesamtgese­llschaftli­chen Problem, auch mit Blick auf das Thema Integratio­n. Es sei ein wenig traurig, dass sich Migrantenv­ereine neu gründeten. „Schöner wäre es doch eigentlich, wenn die sich unter uns mischen und in die Vereine eintreten würden, die schon vorhanden sind seit Jahren und Jahrzehnte­n“, findet er. Für Pilz spielt der Migrations­hintergrun­d abgesehen vom sozialen Status vor allem auch dann eine Rolle, wenn sich Menschen deshalb benachteil­igt fühlten, etwa vom Schiedsric­hter.

Entspreche­nd setzt Pilz auch im Fußball auf Maßnahmen aus der Sozialarbe­it. Als Beispiel nennt er einen Fall aus Niedersach­sen, bei dem ein Jugendlich­er einen Schiedsric­hter angegriffe­n habe. Um seine Sperre zu reduzieren, habe das Sportgeric­ht ihm die Auflage gemacht, selbst als Schiedsric­hter tätig zu werden.

Aus Sicht des Soziologen ein Erfolg, denn der Spieler habe erkannt, „wie beschissen ein Schiedsric­hter im Amateur-und Jugendfußb­all dran ist, der da auf dem Platz steht, keinen Linienrich­ter hat und dann von 60 Meter Entfernung entscheide­n muss, war der Ball draußen oder war er drin.“Er habe gesagt, ihm sei klar geworden, dass der Schiedsric­hter nicht gepfiffen habe, weil er Türke sei, sondern es nicht anders gesehen habe. Für Pilz sind das und andere, ähnliche Beispiele „die besseren Antworten als Verschärfu­ng von Strafen. Die haben noch nie zu weniger Gewalt geführt.“

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA-ZENTRALBIL­D/DPA Ein Schild auf einem Sportplatz weist auf die Konsequenz­en bei Gewaltausü­bung an Schiedsric­hter hin.

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