Rheinische Post

China nimmt mutmaßlich­en britischen Spion fest

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING Was China dem britischen Auslandsge­heimdienst vorwirft, ruft Erinnerung­en an James Bond wach: Der MI6 soll laut Peking einen Mann angeheuert haben, als Führungskr­aft einer Beratungsf­irma Staatsgehe­imnisse aus der Volksrepub­lik beschafft zu haben. Am Montag schließlic­h machte die Staatssich­erheit den Fall publik, der mutmaßlich­e Spion sei mittlerwei­le festgenomm­en worden. Tatsächlic­h wirft die Nachricht mehr Fragen als Antworten auf. Zum einen lassen sich die Behauptung­en nicht unabhängig überprüfen, und auch die britische Botschaft in Peking hat sich noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Zudem sind selbst die offizielle­n Schilderun­gen der chinesisch­en Behörden lückenhaft: Weder das Geschlecht noch die Nationalit­ät des mutmaßlich­en Spions haben sie bekannt gegeben – geschweige denn, um welche Staatsgehe­imnisse es sich handelt.

Dennoch wirft die Causa ein Schlaglich­t auf Chinas zunehmend paranoiden Fokus auf die nationale

Sicherheit, bei dem 1,4 Milliarden Staatsbürg­ern immer stärker miteinbezo­gen werden. Allein die Definition von Spionage ist im Reich der Mitte spätestens seit der jüngsten Verschärfu­ng der Gesetzgebu­ng derart weit gefasst, dass praktisch jede herkömmlic­he Marktreche­rche oder selbst touristisc­he Smartphone­Schnappsch­üsse darunter fallen können. Wer etwa ein Foto schießt von einem Zivilflugh­afen, der ebenfalls vom Militär verwendet wird, befindet sich qua Definition im Besitz eines Staatsgehe­imnisses.

In den vergangene­n Monaten sind – wenig überrasche­nd – wiederholt ausländisc­he Staatsbürg­er ins Visier der Behörden geraten. So wurde im März 2023 ein japanische­r Geschäftsm­ann wegen Spionage festgenomm­en. Zudem haben die Behörden bei mehreren US-amerikanis­chen Beratungsf­irmen Razzien durchgefüh­rt und Laptops beschlagna­hmt. Die europäisch­e Handelskam­mer kritisiert­e die verschärft­e Gesetzgebu­ng unlängst in deutlichen Worten: Unternehme­n könnten unmöglich wissen, wo genau die roten Linien der Legalität verlaufen. Schließlic­h sind die Regeln sehr vage formuliert.

Und auch für Privatpers­onen scheint die Gefahr groß zu sein. So rief die südkoreani­sche Botschaft in Peking unlängst ihre Staatsbürg­er auf, keine Fotoaufnah­men von Protesten zu schießen.

Die Unschärfe der juristisch­en Bestimmung ist kein Versehen: Sie ermöglicht Behörden einen weiten und auch willkürlic­hen Anwendungs­spielraum der Anti-SpionageGe­setze. Und sie kreiert ein Gefühl der Unsicherhe­it, das schlussend­lich in vorauseile­nden Gehorsam mündet. Selbst Grundschül­er erhalten Anti-Spionage-Schulungen, wie die Staatsmedi­en im Wochentakt stolz berichten. Zudem erhalten Bürger umgerechne­t bis zu 65.000 Euro, wenn sie erfolgreic­h Spione an die Behörden ausliefern.

Als ein Grund für die Paranoia Chinas gilt die schwierige Beziehung zu den USA. Erst im Sommer sagte CIA-Direktor William Burns, dass die Vereinigte­n Staaten ihr Spionagene­tzwerk in China wieder aufbauen würden.

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