Taktgeber und Torjäger
Juri Knorr ist der Hoffnungsträger im deutschen Team. Zum EM-Auftakt trifft der Shootingstar auf seinen Lehrmeister.
(sid) „Seinen Moment“will Juri Knorr diesmal ganz besonders auskosten. Wenn er im Tunnel steht. Und sein Name im weiten Rund aufgerufen wird. „Da probiere ich, es für mich zu genießen“, sagt der Spielmacher mit dem markanten Zopf, „aber ich kann nicht versprechen, dass es mich nicht überkommen wird, wenn ich vor 50.000 auflaufe“.
Wenn die deutschen Handballer am Mittwochabend (20.45 Uhr/ZDF und Dyn – nicht beendet, als diese Zeitung produziert wurde) vor einer Weltrekordkulisse in der Düsseldorfer Fußball-Arena gegen die Schweiz ihre Heim-EM eröffnen, werden die Augen vor allem auf Knorr gerichtet sein. Der 23 Jahre alte Ausnahmekönner ist Deutschlands größtes Handball-Versprechen seit vielen Jahren. Und trifft gleich zum Turnier-Auftakt auf seinen Lehrmeister Andy Schmid.
Knorr, dessen Stern im Nationalteam bei der WM vor einem Jahr so richtig zu leuchten begann, gilt als DER deutsche Hoffnungsträger. Er, der mit einem enormen Talent gesegnet ist, dessen Würfe variantenreich und hart sind, und dessen Angriffsspiel so unberechenbar wie anarchisch ist, soll die DHB-Auswahl in den kommenden Tagen und Wochen zu einem neuen Wintermärchen führen. Knorr ist ihr Taktgeber. Und ihr Torjäger zugleich.
Knorr versucht, sich von der Bürde der großen Erwartungen frei zu machen. Wer ihn kennt, der weiß: Knorr will eigentlich nur spielen. Die Beantwortung der Fragen zum Turnier im eigenen Land, die ihn schon seit dem Anfang der Saison verfolgen, sind ihm gar nicht so lieb. „Das war über das halbe Jahr sehr präsent und ich bin auch wirklich froh, dass es jetzt endlich los geht“, sagt Knorr. Er sagt es leise.
Knorr, Sohn des früheren Nationalspielers Thomas Knorr, braucht es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Markige Sprüche sind nicht sein Ding. Sportlich ist er enorm zielstrebig, überzeugt mit Leistung. Abseits des Feldes wirkt er unaufgeregt und geerdet. Als „schönste Form der Anerkennung“bezeichnete er es bei Handball-Inside einmal, wenn Kinder ein Trikot mit seinem Namen tragen.
Ein Stück seiner Art hat er sicherlich auch von Schmid. Der Schweizer, der als einer der besten Spielmacher der Bundesliga-Geschichte gilt, war Knorrs Teamkollege bei den Rhein-Neckar Löwen. Mehr noch. Schmid, so sagen es manche in der Branche, habe Knorr zu dem gemacht, was er heute ist. Das Schicksal will es so, dass die beiden am Mittwoch aufeinander treffen.
„Andy ist für mich sicherlich ein ganz besonderer Handballspieler, aber als Mensch war er für mich wichtiger“, sagt Knorr. Gerade neben dem Platz habe er ihm im ersten Löwenjahr enorm geholfen, ihm zur Seite gestanden. Man habe zuletzt auch telefoniert und geschrieben. Am Dienstag begrüßten sich die beiden am Rande des Trainings in der Düsseldorfer Arena mit einer innigen Umarmung.
„Juri ist ein fantastischer Spieler und ein Mensch mit sehr viel Tiefe“, sagte Schmid nach dem Anschwitzen und sprach von einem „Generationen-Duell“mit seinem 17 Jahre jüngeren Ex-Teamkollegen: „Ich wünsche ihm von Herzen, dass er ein super Turnier spielt und dass er diesem Druck standhalten kann, dem ihm auch die Öffentlichkeit manchmal zu Unrecht auferlegt.“
Schmid, der 2022 nach zwölf Jahren bei den Löwen zurück in die Heimat nach Luzern gewechselt war, erfüllt sich gegen Deutschland einen Traum. Ohne die Aussicht auf dieses Turnier hätte er, der inzwischen 40-Jährige, „vermutlich im Sommer 2022 aufgehört“. Die EM habe er „über alles andere gestellt“.
Für Schmid markiert die EM das Ende. Knorr ist noch ganz am Anfang.