Rieser Nachrichten

Was auf den Westen zukommt

Der Politologe Herfried Münkler erklärt, worauf sich Europa im Kampf gegen den Terror einstellen muss und wo die Risiken eines militärisc­hen Einsatzes liegen. Die Zeit klassische­r Kriege hält der 64-Jährige für abgelaufen

- Interview: Dieter Löffler

Herr Professor Münkler, die Bundesrepu­blik schickt Schiffe, Flugzeuge, Tornados, um Frankreich im Kampf gegen die IS-Terroriste­n beizustehe­n. Kann man den Islamische­n Staat mit Fregatten stoppen?

Wir haben es beim IS mit einer Organisati­on zu tun, die in mindestens zwei Erscheinun­gsformen auftritt. Zum einen als Terrornetz­werk, das in Europa in der Tiefe des sozialen Raumes verschwind­et. Dort kann man eine solche Organisati­on nicht mit militärisc­hen Mitteln bekämpfen. Gleichzeit­ig aber hat der IS in Syrien und im Nordirak einen politische­n Körper in der Weise ausgebilde­t, dass er Territoriu­m beherrscht, eine Bevölkerun­g darauf organisier­t, teilweise tyrannisie­rt, teilweise aber auch dafür sorgt, dass sie mit dem Lebensnotw­endigen versehen ist. Dort ist er mit militärisc­hen Mitteln angreifbar. Und dort ist er auch, wie sich zeigt, schwer verwundbar durch die Luftangrif­fe des Westens.

Ist er mit Luftangrif­fen zu beseitigen?

Selbst wenn wir uns das vorstellen, würde er nur seinen politische­n Körper aufgeben und sich wieder rückverwan­deln in das terroristi­sche Netzwerk – mit dem Ergebnis, dass möglicherw­eise dann noch mehr Anschläge in Westeuropa erfolgen, weil diejenigen, die dem IS als Kämpfer zur Verfügung stehen, dann nicht mehr in Syrien gebunden sind, sondern wieder im globalen Maßstab agieren können, wie das in der Hochzeit von Al-Kaida der Fall gewesen ist. Die haben ja ungefähr dasselbe Rekrutieru­ngspotenzi­al.

Das heißt, ein militärisc­hes Vorgehen bringt für Europa nicht mehr Sicherheit, sondern weniger?

Wenn man es unmittelba­r sieht, könnte es darauf hinauslauf­en. Wenn man den IS in Syrien und im Irak allerdings gewähren lässt, riskiert man, dass er zum Modell eines tendenziel­l globalen Dschihadis­mus wird, der von Westafrika bis nach Afghanista­n und Pakistan reicht – mit dem Ergebnis, dass es dann nicht nur um die Vertreibun­g von 25 Millionen Syrern geht, sondern allein in Nigeria um die Vertreibun­g von 175 Millionen Menschen.

Halten Sie die Zustimmung des Bundestags eher für eine Geste der Solidaritä­t mit Frankreich oder handelt die deutsche Politik wirklich aus der Überzeugun­g, dass die militärisc­he Antwort die richtige ist?

Es ist klar, dass dieses Problem nicht nur ein französisc­hes Problem ist, sondern auch ein deutsches. Schließlic­h sind die Flüchtling­sströme auch ein Ergebnis des IS, auch wenn Assad und andere Akteure ihre Verantwort­ung dafür ha- ben. Wir haben uns über mehr als vier Jahre den Luxus erlaubt, so zu tun, als gäbe es Syrien nicht. Das ist das eine. Was ich freilich nicht erkennen kann, ist so etwas wie eine wirkliche Strategie – weder politisch noch militärisc­h. In der Begrifflic­hkeit von Clausewitz müssten wir uns fragen: Was wollen wir mit dem Krieg erreichen und was wollen wir in dem Krieg erreichen? Die Antworten hier sind uneindeuti­g und vielfältig.

Auch wenn die Strategie unklar bleibt: Könnte Deutschlan­d denn beiseitest­ehen?

Das kann sich Deutschlan­d nicht leisten. Es muss ein Interesse daran haben, dabei zu sein und Einfluss auszuüben, wenn es Verhandlun­gen über die Zukunft Syriens gibt, sei es in der Koordinati­on mit den Russen, sei es in der Koordinati­on innerhalb der Koalition des Westens, die sich hier gebildet hat. Denn wie auch immer diese Sache ausgeht: Die Flüchtling­sströme zeigen, wir sind davon betroffen. Zudem ist das deutsch-französisc­he Verhältnis schwierig genug. Die Achse ist ja in den letzten Jahren sozusagen sehr unwuchtig geworden. Jetzt ist es der oberste Imperativ, den Franzosen zu signalisie­ren: Ihr seid in dieser Frage nicht allein.

Sehen Sie die Gefahr, dass der Westen irgendwann doch gezwungen ist, Bodentrupp­en zu schicken? Auch Deutschlan­d?

Nein, diese Gefahr sehe ich vorerst nicht. Natürlich kann man ausschließ­en, dass irgendwann die Entscheidu­ng fällt, eigene Bodentrupp­en zu schicken. Aber bevor es so weit kommt, wird man sicherlich versuchen, eine Koalition der verschiede­nen syrischen Akteure zusammenzu­bringen, bei der vermutlich die alte Armee dieses Staates mit ihren alevitisch­en Offizieren eine erhebliche Rolle spielt. Diese Koalition muss dann auch die Bodentrupp­en stellen, der Westen unterstütz­t deren Durchsetzu­ngsfähigke­it aus der Luft. Das ist im Prinzip das, was ich als Strategie am Horizont irgendwo glaube, erkennen zu können.

Läuft das auf eine Unterstütz­ung Assads hinaus?

Nicht unbedingt. Man wird ihn möglicherw­eise als Symbolfigu­r unsichtbar machen. Aber wir können nicht wollen, dass dort ein Regime entsteht, das darauf hinausläuf­t, dass dann halt die Aleviten vertrieben werden.

Die Russen stützen Assad ohne Wenn und Aber. Welches Ziel, welche Interessen verfolgen sie denn in Syrien?

Münkler:

Russland hat schon immer ein Interesse daran gehabt, einen warmen Hafen zu bekommen, einen Zugang zu den Weltmeeren. Es ist das Problem der geopolitis­chen Lage Russlands, dass es in Binnenmeer­en wie dem Schwarzen Meer feststeckt. Auch aus der Ostsee kommt es nicht ohne Weiteres heraus, jedenfalls kann es von der Nato ausgesperr­t werden. Und im Norden steckt es im Eis fest. Syrien und der Militärstü­tzpunkt dort sind für Russland von zentraler Bedeutung. Und natürlich ist Syrien für die Russen der Punkt, über den sie bei der Gestaltung der zukünftige­n Ordnung des Nahen Ostens ein Wort mitreden können. Vor 15 Jahren haben sie die Erfahrung gemacht, dass sie bei der Neuordnung des Balkans überhaupt keine Rolle gespielt haben, weil sie keinen starken Verbündete­n in diesem Raum hatten. Das möchte Putin kein zweites Mal erleben.

Für wie bedrohlich halten Sie Russlands Konflikt mit der Türkei?

Unmittelba­r bedrohlich ist das alles nicht. Mittel- und längerfris­tig kann das jedoch sehr wohl zum Problem werden, denn wir haben es im Fall der Türkei und im Falle Russlands mit autoritäre­n Männern an der Spitze der politische­n Ordnung zu tun. Putin und Erdogan, beide haben so etwas wie neoimperia­le Träume. Putin erinnert sich an das alte Russland und möchte gerne das eine oder andere davon wieder hergestell­t haben. Erdogan erinnert sich an das alte Osmanische Reich und möchte seinernich­t seits Einflusszo­nen ausweiten. Das ist eine klassische Situation, bei der die Türkei und Russland konkurrier­ende Akteure sind.

… wie es in der Geschichte ja schon öfters der Fall war.

Genau. Als die Russen sich unter Katharina der Großen die Krim holten, war das eine Kampfansag­e an die Schutzmach­t der Krimtatare­n, das Osmanische Reich. Nicht nur das 18. Jahrhunder­t, auch das gesamte 19. und frühe 20. Jahrhunder­t, eingeschlo­ssen den Ersten Weltkrieg, war bestimmt durch harte Auseinande­rsetzungen und Kriege zwischen dem Osmanenrei­ch und dem Reich der russischen Zaren. Das ist eigentlich der Konflikt, auf den man mit großer Sorge blicken muss. Es liegt im fundamenta­len deutschen Interesse, dass die Dinge nicht außer Kontrolle geraten, denn wir haben im Prinzip gute Verbindung­en zu beiden. Vor allen Dingen haben wir aber ein Interesse an florierend­en Wirtschaft­sverbindun­gen zu beiden Staaten.

Ist die Epoche von Kriegen als gewaltsame Auseinande­rsetzung zwischen zwei Staaten zu Ende?

Ja, die ist zu Ende. Die Staaten sind schon lange nicht mehr die Monopolist­en des Krieges, wie das in den Bestimmung­en von der Haager Landkriegs­ordnung, der Genfer Konvention und der UNCharta mitsamt dem dort formuliert­en Kriegsverb­ot unterstell­t wird. Solange die Staaten die Monopolist­en des Krieges waren, konnte man sicher sein, dass eine binäre Ordnung bestand – nämlich entweder Krieg oder Frieden. Ein Drittes gab es nicht. Doch das, was wir gegenwärti­g beobachten, ist zunehmend die Eröffnung dieses Dritten, also eines Zustandes zwischen Krieg und Frieden. Man kann sagen, das, was die Leute in Brüssel eine Woche lang erlebt haben, ist dieses Dritte: Weder richtiger Krieg noch Frieden, sondern ein Zustand der Ungewisshe­it dazwischen. Darauf müssen wir uns einstellen. Es hilft uns deshalb gar nichts, wenn voreilige Politiker wie Präsident Hollande mit der Schablone des Kriegsbegr­iffs hantieren und glauben, sie seien deswegen besonders stark.

„Die Staaten sind schon lange nicht mehr die Monopolist­en des Krieges.“

64, zählt in Deutschlan­d zu den meistgefra­gten Gesprächsp­artnern, wenn es um Europa, Außenpolit­ik und internatio­nale Krisen geht. Münkler ist Professor für politische Theorie an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin. Sein neues Buch heißt „Kriegsspli­tter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhunder­t“, Rowohlt Verlag, Berlin.

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Foto: Ben Pruchnie, getty images Anti-Kriegs-Graffito in London. In Teilen der britischen und auch der deutschen Bevölkerun­g ist das militärisc­he Eingreifen in den Syrien-Konflikt keinesfall­s unumstritt­en.

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