Schauspielkarriere statt Lateinklasse
Rosalie Thomass ist in Rosenmüller-Filmen bekannt geworden. Seither geht es für sie nach oben. Heute spielt sie in einem ZDF-Thriller eine traumatisierte Kommissarin. Dabei wäre sie fast Lehrerin geworden
In Ihrem neuen Film finden Sie als Kommissarin eine Leiche in einem Bergbach. Nach einem DNA-Abgleich stellt sich heraus, dass es sich um Ihre Mutter handelt, die Sie nie lebend kennenlernten. Das ist kein Stoff für schwache Nerven, oder?
Puh, das war ganz schön nervenaufreibend! Der Film ist düster. Er ist keine ganz leichte Kost, aber auch kein Schocker.
Aber es ist schon dramatisch, wenn eine Frau plötzlich mit so einer Situation konfrontiert wird.
Klar, in dem Moment wird meiner Figur, der Kommissarin Landauer, der Boden unter den Füßen weggezogen. Alles, was sie über sich zu wissen glaubte, geht buchstäblich den Bach runter. Diese Sehnsucht, wissen zu wollen: Wer ist die eigene Mama oder wer sind die eigenen Eltern, das ist eine Sehnsucht, die ich sehr gut verstehen kann.
Viele Menschen wissen nicht, was in der Kindheit passiert ist, weil die durch ein Trauma verschüttet wurde.
Das ist auch bei Frau Landauer so. Sie hat ein so schlimmes Kindheitstrauma, dass sie sich an die Geschehnisse nicht erinnern kann. Der Tod der Mutter ist der Auslöser dafür, dass all das Verborgene zutage kommt. Sie kämpft gegen alte Geister, mit alten Überbleibseln der Kindheitsgeschichte, ohne zu wissen, was passiert. Sie denkt zwischenzeitlich, dass sie wahnsinnig geworden ist, weil sie nicht weiß, was Erinnerung, Vision oder Realität ist. Ich finde diese Frage als Schauspielerin extrem spannend. Sind Dinge real so, wie man sie sieht, oder sind es Visionen, sind es tiefste Kindheitstraumata oder gehört man eigentlich in die Klapse? Im wahren Leben muss das ein Albtraum sein.
Wie versetzt man sich als Schauspieler in diese psychischen Grenzsituationen?
Ich weiß es gar nicht. Ich mache es einfach. Das hat auch weniger mit Können zu tun als mit Mut. Man muss sich einfach fallenlassen. Und man muss sich Techniken zulegen, um wieder rauszufinden. Im Prinzip geht es so: Tür auf, Schritt in die dunkle Tiefe – und los! Das ist das ganze Geheimnis.
Klingt einfach, ist es wohl aber nicht. Sie haben sich doch sicherlich gewissenhaft vorbereitet?
Ja klar. Ich hatte schon einmal für eine andere Arbeit mit einer tollen Kinder- und Jugendtherapeutin gesprochen. Die habe ich auch vor diesem Film angerufen und mich präzise informiert. Ich habe ihr von den Panikattacken oder anderen Ausnahmezuständen meiner Filmfigur erzählt, die diese erlebt. Die Therapeutin hat mir auch erklärt, warum sich ein Trauma ausbildet.
Traumata entwickeln oft Kinder, die nach einem schrecklichen Erlebnis von ihrem Umfeld nicht aufgefangen werden. Andere, die das Gleiche erleben, bei der Verarbeitung aber begleitet werden, gehen vielleicht schadlos da raus. Mich fasziniert an meinem Job, dass ich immer wieder neue Einblicke ins Menschsein gewinne. Wie kann es zum Beispiel sein, dass ein Mensch ein Erlebnis unbewusst von sich abkoppelt?
Sie haben schon mit zehn Jahren erste
Thomass: Ich wollte halt schon immer Schauspielerin werden. Einer aus meiner Familie hat mir von dem Stück erzählt, für das Kinder gesucht werden. Ich bin sofort hin.
Grimme-Preis, Fernseh-Preis … Sie sind mit Preisen überhäuft worden.
Thomass:
Ja, warum eigentlich?
Vielleicht, weil es Leute im Business gibt, die Sie ganz gut finden.
Man weiß ja nie so recht. Und muss ja auch gesehen werden. Ich freue mich darüber und nehme das so hin. Aber wir üben diesen Beruf nicht aus, um Preise zu bekommen und eine Trophäensammlung anzulegen. Ich habe nie gedacht, wenn ich groß bin, dann bekomme ich einen Schauspielpreis, sondern: Wenn ich groß bin, dann will ich Schauspielerin werden. Ich wollte alles spielen, was es gibt. Das ist es.
Ha, ha, ha. Muss ich mich da entscheiden?
Ich kann Sie zu nichts zwingen.
Wir leben ja gottlob in modernen Zeiten, wo ich mich nicht zwischen Kind oder Karriere entscheiden muss. Ich nehme beides.
Wäre Hollywood für Sie ein Thema?
Na ja. Da drüben bieten sie vielleicht erzählerisch mehr Möglichkeiten. Aber ich bin im Moment hier so zufrieden, ich krieg’ viele schöne Rollen. Warten Sie! Ich würde gerne mal mit Kate Winslet und Meryl Streep eine Szene drehen. Irgendwas. Da würde ich sogar die Kellnerin spielen.
Von Hollywood nach Tandern. Sie sind auch eine der Hauptdarstellerinnen von Marcus H. Rosenmüllers Trilogie übers Erwachsenwerden in der bayerischen Provinz. War das eine spezielle Rolle?
Die war für mich sogar sehr besonders. Erstens, weil ich so jung war. Und ich wollte nach dem „Polizeiruf“von Dominik Graf mit so viel Problemen und Psychoterror eine leichte Komödie machen. Zufällig kam zwei Wochen später eine Casting-Einladung für „Beste Zeit“, und ich dachte mir: Hä? Das ist doch genau, was ich mir gewünscht habe. Diese leichte, fröhliche Jo, die versucht, unbeschwert in den Tag hinein zu leben. Die Rolle hat mir große Freude gemacht.
Ich durfte als Stadtkind die Jugend auf dem Land nacherleben. Zur Dorfdisco trampen oder nachts zu Fuß nach Hause latschen. Das kannte ich nicht. Ich bin in der Stadt immer mit dem Radl oder der Tram heimgekommen. Es ist ganz komisch für mich, dass diese Trilogie vorbei ist. Das war für alle hoch emotional. Wir sind so gute Freunde geworden.
Stimmt es, dass Sie auch mal Lateinlehrerin werden wollten?
Das Problem ist, dass ich eine unglaublich schlechte Lehrerin geworden wäre. Aber es stimmt, mich hat Latein fasziniert, und ich war sehr einsam in meiner Klasse.
Sie sind von Berlin wieder nach München gezogen. Wo schlägt Ihr Herz?
Das kommt auf die Lebensphase an. Für mich waren die letzten paar Jahre in Berlin genau richtig, um Neues zu entdecken. In Berlin ist kulturell einfach viel geboten. Aber mir hat da auf Dauer die schöne Natur gefehlt. In der Isar zu baden oder mit dem Radl bis in die Berge zu fahren, das ist unschlagbar. Deswegen hat es mich wieder zurückgezogen.
Wir üben diesen Beruf nicht aus, um Preise zu gewinnen
Rosalie Thomass
● Thomass ist 1987 in München geboren. Sie ist die Großnichte des Filmkomponisten Eugen Thomass („Diese Drombuschs“). ● Ihr Debüt gab sie 2003 im Kurzfilm „Emily will sterben“. Bekannt wurde sie als Jo in Marcus H. Rosenmüllers Filmtrilogie „Beste Zeit“, „Beste Gegend“, „Beste Chance“. ● Für ihre Arbeit wurde Thomass vielfach ausgezeichnet: Unter anderen erhielt sie 2006 den Förderpreis Deutscher Film für „Polizeiruf 110“. Dafür bekam sie auch den Deutschen Fernsehpreis. 2007 folgten der Grimme-Preis und der Bayerische Fernsehpreis. (jok)