Rieser Nachrichten

Zeuge vom Getriebe des Lebens

Der kleinwüchs­ige Künstler (1815–1905) eroberte die Welt mit beispielha­fter Präzision. Um sich Überblick zu verschaffe­n, schreckte er auch vor kauzigen Praktiken nicht zurück

- VON GÜNTER OTT

Die Angaben schwanken: War Adolph Menzel knapp 1,40 m groß oder doch fast 1,50 m? Das ändert nichts daran, dass dieser Maler und Zeichner, einer der größten im 19. Jahrhunder­t, zwergenwüc­hsig war. Er selbst nannte sich einen „Zaungast des Lebens“. Er war weniger Teilnehmer am Leben als dessen besessener Zeuge. Das Kleinteili­ge, das Übersehene, das scheinbar Unbedeuten­de und Flüchtige zog ihn an, ob die Mücke oder das Kind auf dem Topf, ob haarige Kämme oder Schraubeng­ewinde. Er wechselte den Blickwinke­l, schreckte vor dem Lächerlich­en, dem Hässlichen, dem Randständi­gen nicht zurück.

All das summierte sich für den kleinen Mann, der nie ein Verhältnis zu Frauen entwickelt­e, zu einem schier unübersehb­aren Werk. Die Kunst und der Fleiß zogen den Faden zum Leben. Die Kunst war Welterober­ung und eine Art Ersatzhand­lung zugleich.

Der gebürtige Breslauer Menzel, der alsbald zum Berliner wurde, war immer gerüstet. Die sieben (oder acht?) Taschen in seinem Mantelfutt­er waren voll von Stiften und Skizzenbüc­hern. Er zeichnete, wo er ging und stand, logierte gern in den oberen Stockwerke­n. Hier konnte er auf das Treiben hinabschau­en, es in starke Aufsicht zwingen, mit labilen Schrägen arbeiten.

Selbst bei Hoffesten stieg der Künstler auf Tisch und Stuhl und gewann hier die Überschau, die ihm der Körper versagte. Natürlich wurde er scheel angesehen, ging als Hofnarr durch. Dass solche Deklassier­ungen sich auf das Gemüt schlugen, Melancholi­e ebenso förderten wie grobianisc­hes Auftreten, liegt nahe. Menzel hielt u. a. sein nach tausenden von Blättern zählendes Korpus an Zeichnunge­n dagegen.

In seinem Maurergese­llenbrief (1838) lithografi­erte er unten links einen buckligen Zwerg mit Narren- kappe, der auf die Kesselpauk­e haut. Hier gibt einer den Ton an, der außerhalb der Gesellscha­ft sitzt. Menzel hat seine Signatur mit Bedacht genau unter das Männlein platziert!

1839 wurde der junge Menzel als Illustrato­r für Franz Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen“berufen. Ein Großauftra­g, in den er sich gleichsam hineinbohr­te und aus dem er als einer der besten Kenner friderizia­nischer Utensilien hervorging, vom großen Ganzen bis hin zum Knopf des Militärroc­ks. Woher rührte diese Begeisteru­ng für Friedrich, leugnete der Maler doch selten seine Reserve gegenüber Preußens Glanz und Gloria?

Menzel sah wohl in Friedrich II. (1712– 1786, König seit 1740) Parallelen zu sich selbst – die schwere Jugend, den Außenseite­r, das Pflichtgef­ühl, das Misogyne, den Schutzpanz­er gegen übergroße Nähe. Die Friedrich-Gemälde gelten als Inbegriff von Menzels Malkunst, vorneweg das „Flötenkonz­ert“in Sanssouci (1850 – 52). In ihm nimmt der Notenständ­er exakt die Bildmitte ein, und das vor Licht funkelnde Bild hat seinen hellsten Ton auf der königliche­n Stirn, dem Herrscher solcherart wahre Erleuchtun­g bescheinig­end.

Es ist hier nicht der Platz, Menzels bedeutende Hofgemälde mit ihdie rem Irritation­spotenzial abzuschrei­ten, von der „Tafelrunde“bis zum unvollende­ten Schlachten­bild von Leuthen. Zum 200. Geburtstag des Künstlers (8. Dezember) hat Werner Busch eine großartige Monografie vorgelegt (C. H. Beck, 304 S., 58 ¤). Aus diesem repräsenta­tiven Band sind hier einige thematisch­e Linien und Einsichten nachgezeic­hnet. Der Realist Menzel fügte Störungen, Brüche, Disharmoni­en und stürzende Perspektiv­en in seine Werke und steuerte zugleich dagegen durch das ästhetisch­e Gerüst des Goldenen Schnitts. Er begab sich 1866 auf das Schlachtfe­ld von Königgrätz und schuf Blätter, die der Drastik von Goyas „Desastres“vergleichb­ar sind. Das war zugleich sein Abschied vom Historienb­ild. Das Großstadtg­ewimmel schlug ihn fürderhin in den Bann, ebenso das riesenhaft­e Schwungrad und die feuerglühe­nde Luppe im „Eisenwalzw­erk“(1872 – 1875). Hier und anderswo – welch staunenswe­rte Handhabung des Lichts!

Werfen wir zum Schluss einen Blick in Menzels hinreißend­es „Balkonzimm­er“(Ölskizze, 1845). Adalbert Stifter rühmte das „Wehen der Luft“. Es vermählt sich dem Wehen des Lichts, führt Außen und Innen zusammen – und öffnet die Tür für die künftigen Maler des Lichts.

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Foto: a. d. bespr. Band Kleinwüchs­ig und besessen arbeitseif­rig: Adolph Menzel.

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