„Eigentlich liebe ich nur tote Künstler“
Der umstrittene österreichische Maler und Aktionskünstler spricht anlässlich seiner Münchner Ausstellung über die Tierliebe, das Schlachten und den Fleischgenuss
Herr Nitsch, Filmstars wie Brigitte Bardot haben gegen Sie protestiert.
Monsieur Nitsch ist ein Barbar, hat sie gerufen!
Aus ihrem Mund klang das sicher wie Musik. Heute werden Sie wahrscheinlich von Vegetariern und neuerdings Veganern angefeindet.
Das Ganze ist ein grobes Missverständnis. Mein Leben lang habe ich Tiere sehr geliebt. Auf meinem Schloss leben 50 Pfauen, Hühner, ein Maultier, eine Ziege, sechs Katzen, ich hatte Gänse, Enten, viele Hunde. Und ich bin ein erbitterter Gegner der Massentierhaltung. Wenn mich die Tierschützer immer wieder angreifen, kann ich nur sagen, dass ich eigentlich einer der ihren bin.
Aber da ist eben auch Ihre drastische Arbeit mit toten Tierkörpern.
Man weiß, dass sich Künstler mit Anatomie beschäftigt haben. Michelangelo und Leonardo sind von der Inquisition verfolgt worden, weil sie Leichen seziert haben. Ich seziere nicht. Für mein Theater verwende ich Fleisch, Gedärme, Blut, Tierkadaver. Und das grundsätzlich von bereits geschlachteten Tieren – um genau zu sein: Tieren, die unsere Gesellschaft für den Nahrungsmittelkonsum geschlachtet hat. Ich tue den Tieren kein Leid an!
Es geht Kritikern wahrscheinlich um das Töten an sich.
Die Mythen der Weltkultur sind angefüllt mit Opfergeschehnissen. Der geblendete Ödipus, der zerrissene Dionysos, auch im Alten Testament findet man zahlreiche Opfervorschriften. Und in unserem christlichen Glauben gibt es die Transformation von Brot zum Fleisch Gottes. Wenn ich mich mit solchen Mythen beschäftige, dann folge ich meinem Wissens- und Kunsttrieb.
Früher habe ich mir immer vorgestellt, wie Sie in einem Wiener Wirtshaus vor einem Beuschel sitzen und Ihr nächstes Mysterienspiel konzipieren.
Da denken Sie schon richtig. Ich esse gerne Fleisch, auch Innereien, aber viel zu viel. Zweimal in der Woche würde genügen. Aber wir sind Raubtiere, das sollen wir nicht verleugnen. Unsere Kultur ist eine Kultur der Raubtiere, und es ist besser, sich das bewusst zu machen. Schon in unserer Religion ist so viel von Fleisch und Blut und der Passion die Rede. Die Buddhisten und Hindus wollten von der Raubtierhaftigkeit weg. Und ich weiß nicht, ob das geht. Wenn man etwas unterdrückt, kommt es am Ende oft intensiver heraus.
Also planen Sie weiterhin beim Schnitzel. Mich hat in Ihrer jetzigen Ausstellung in der Villa Stuck überrascht, wie minutiös das geschieht. Bis ins kleinste Detail ist alles auf Partituren festgehalten. Wie passt das zu der rauschhaften Existenzerfahrung in Ihrer Kunst?
Der Rausch muss doch auch erst konstruiert werden. Der Wein- bauer muss zur richtigen Zeit seinen Weinberg düngen, die Trauben schneiden… So kann man jenen Wein keltern, der einen groß angelegten Rausch ermöglicht.
Die Grenzen zwischen Kunst und Leben sind bei Ihnen aufgehoben.
Im Idealfall. Das Ritual kann Form in den Lebensablauf hineinbringen und unser Leben stilisieren.
Unsere Gesellschaft hat ja leider ein Ritual der Hygiene und Reinlichkeit. Was es da an Putzmitteln und Putzmaschinen gibt, unglaublich! Und weil die Leute aus dieser Zwangsneurose nicht herauskommen, machen sie Kriege. Wir sollen nicht leben wie Streunerhunde, sondern auf unsere Zivilisation stolz sein, aber das hat auch Grenzen. Und zurzeit ist alles zwangsneurotisiert.
Ihre Kunst geht an die Nieren.
Wir dürfen den Schmerz nicht verdrängen. Irgendwann müssen wir sterben, wir werden auch ● wurde 1938 in Wien geboren, wo er an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt studierte. Sein umstrittenes blutvolles „Orgien-Mysterien-Theater“, mit dem er Abscheu und Katharsis erzielen möchte, veranstaltete er in Deutschland, Österreich und den USA. krank, deshalb ist es gut, sich damit auseinanderzusetzen. Das Leben, das ich sehr bejahe und liebe, hat viel mit dem Tragischen zu tun.
Sie gehen dauernd an Scham-Grenzen, das pikst eine bürgerliche Gesellschaft am meisten.
Ich bin von meiner Mutter, die eine sehr liebe Frau war, äußerst zwanghaft erzogen worden. Sie hat mich nicht aufgeklärt, und ich hab mich durchkämpfen müssen – vor allem zu den Frauen. Mein Großvater, ein Atheist, gab mir eine Ohrfeige, weil ich gesagt habe, die Nachbarin ist schwanger. Was für ein Tabu! Vielleicht ist deshalb die Erotik im Werk so betont.
Sie haben früher schockiert. Heute applaudiert das Kunstvolk bei allem.
Dabei finde ich, dass die jüngere Kunst sehr lau, sehr durchschnittlich geworden ist. Da war schon mal ein deutlich höheres Niveau. Es gibt ganz wenige Gegenwartskünstler, die mich berühren. ● Die laufende Schau in der Villa Stuck widmet sich unter dem Titel „Existenzfest“vor allem dem dramatischen und szenischen Teil von Hermann Nitschs Kunst. Bis 8. Mai ist sie von dienstags bis sonntags zwischen 11 und 18 Uhr geöffnet. (AZ)
Eigentlich liebe ich nur tote Künstler, denn die lebenden sind meine Konkurrenten. Allein, was das Regietheater von mir geklaut hat! Diese ganzen Mogelregisseure gehen mir so auf die Nerven. Denn wenn’s ein Regietheater gibt, habe ich das gemacht. Aber mit meinem eigenen Theater – nicht, indem ich einen Shakespeare oder irgendwas anderes verhunzt habe. Und wenn Sie nach Künstlern fragen, die ich schätze, dann sind das Bacon, der Lucian Freud, Pollock, de Kooning und bei uns in Österreich der Arnulf Rainer, von dem ich sehr viel gelernt habe.
Wir sitzen hier ja in der Villa Stuck – eigentlich passt die doch ganz gut zu Ihrer Kunstauffassung.
Oh ja, das Gesamtkunstwerk! Mit Mitte 20 habe ich mich sehr mit dem Jugendstil auseinandergesetzt. Mit Klinger, Stuck, auch mit Wagner und „Tristan“und „Parsifal“. Mitte der 50er Jahre bin ich als junger Bursche extra nach München gefahren, als die Stuckvilla wieder eröffnet wurde.
Waren Sie in München schon im Wirtshaus?
Hermann Nitsch und seine Münchner Ausstellung
Oh ja, gestern habe ich hier einen wunderbaren Schweinsbraten mit Kruste gegessen. Ich muss den Münchnern ein Kompliment machen. In durchschnittlichen Gasthäusern wird bei euch die bayerische Küche viel besser gepflegt als in Wien die Wiener Küche. Dort sind jetzt die Haubenköche Mode.