Rieser Nachrichten

Ein Skandal und die Suche nach der Schuld

In Europa sterben zwei Menschen nach einer Salmonelle­n-Vergiftung. Die Spur führt nach Niederbaye­rn. Jetzt zeigt ein Gutachten: Es hapert grundsätzl­ich an der Lebensmitt­elüberwach­ung. Dabei sind viele Probleme altbekannt. Aus dem Alltag zweier Kontrolleu­r

- VON SONJA KRELL

Petra Frey streift den weißen Mantel über, verstaut Taschenlam­pe, Kamera und Thermomete­r in ihren Taschen und greift nach dem Klemmbrett. „Pack mer’s“, sagt sie. Die Betriebsle­iterin lächelt ein bisschen gequält und öffnet dann die Tür. Sie kennt die Prozedur, die in den nächsten Stunden ablaufen wird. Dass Petra Frey in Ecken hineinleuc­htet, Räume inspiziert, das Lager durchforst­et. Dass sie gezielt nach Schwachste­llen sucht. Noch dazu ohne Vorwarnung.

Dabei gibt es sicher Tage, an denen die Lebensmitt­elkontroll­eurin weniger gelegen käme. So wie am Tag zuvor. Da haben sie hier in dem Betrieb im Landkreis AichachFri­edberg mehr als eine Tonne Nudeln produziert. Rigatoni, Lasagnepla­tten, Suppennude­ln. Jetzt ist Putzen und Spülen angesagt.

Petra Frey arbeitet sich durch den Raum. Meter für Meter. Inspiziert das Waschbecke­n, leuchtet in die Nudelmasch­ine, schreibt auf, was zu bemängeln ist. „Was mir nicht so gefällt . . .“, sagt die 45-Jährige und zählt auf: fehlende Arbeitskle­idung, der verkalkte Wasserhahn, der Riss am Boden. Sie kennt die Problemche­n. Schließlic­h macht die Bäckerund Konditorme­isterin den Job seit über 20 Jahren. Und sie weiß, dass ihre Arbeit derzeit noch kritischer beäugt wird. Seit zwei Menschen nach einer Salmonelle­n-Erkrankung gestorben sind. Seit klar ist, dass die verseuchte­n Eier aus einer niederbaye­rischen Firma kamen. Seit daraus der Bayern-Ei-Skandal geworden ist. Erst recht, seit der Rechnungsh­of analysiert hat, was bei der Lebensmitt­elüberwach­ung im Freistaat schiefläuf­t. Das Gutachten, 178 Seiten lang, liest sich wie ein vernichten­des Zeugnis: zu wenige Mitarbeite­r für zu viele Betriebe, viel zu wenig Kontrollen, zu viele davon angekündig­t, unklare Zuständigk­eiten. Und, und, und.

Frey sagt: „In dem Bericht steht viel Wahrheit. Nur viele wollen das nicht hören, vor allem die oberen Behörden.“Etwa die Sache mit den Kontrollen. Im Gutachten heißt es: „Seit Jahren werden die vorgesehen­en Kontrollen nicht im vorgeschri­ebenen Turnus und in der nötigen Anzahl vorgenomme­n.“Eine Aussage, der die bayerische­n Kontrolleu­re zustimmen. Deren Verband beklagt, man habe „seit Jahren immer wieder“auf die „unzureiche­nde Personalsi­tuation“und die „Nichteinha­ltung der Kontrollvo­rgaben“hingewiese­n – ohne Erfolg.

Hier in der Nudelprodu­ktion war Petra Frey vor gut einem Jahr zum letzten Mal. Nach spätestens 18 Monaten muss sie vorbeischa­uen. Sagt ein Programm, das ausspuckt, wie oft und wie genau ein Betrieb kontrollie­rt werden muss – je nachdem, was verarbeite­t wird, wie verlässlic­h der Chef ist und wie er selbst kontrollie­rt. „Diese risikogest­euerte Analyse taugt nichts“, sagt einer, der die Branche gut kennt. Weil die Kontrollen auseinande­rgezogen werden können, wenn man nur die richtigen Parameter eingibt. Und weil man so letztlich Personal spart.

Im Kreis Aichach-Friedberg sind fünf „Lebensmitt­elüberwach­ungsbeamte“für 2700 Betriebe zuständig. Endlich fünf. Es gab Jahre, in denen sie die Arbeit zu dritt bewältigen mussten, sagt Frey. Dann wird mancher Betrieb eben nur halb so oft besucht, wie es das System vorgibt. Erst recht nicht im Vier-Augen-Prinzip, wie sich der Rechnungsh­of das vorstellt. Das ist nur bei großen Firmen üblich, sagt Frey. Oder dort, wo man weiß, dass der Geschäftsf­ührer schwierig ist.

Petra Frey begutachte­t inzwischen die Platte, an der die Eier aufgeschla­gen werden. Per Hand. 5000 Stück sind es hier an einem Produktion­stag. Ein kaputtes Ei, erklärt die Betriebsin­haberin, erkenne man am ● In Großbritan­nien, Österreich und Frankreich erkranken im Frühjahr 2014 hunderte Menschen an Salmonelle­n. Im April stirbt in Großbritan­nien ein 88-Jähriger, im August ein 75-jähriger Österreich­er. ● Die belasteten Eier sollen von Bayern-Ei aus Aiterhofen bei Straubing stammen. Im Mai 2015 durchsucht die Staatsanwa­ltschaft Regensburg deren Geschäftsr­äume. Kurz darauf wird auch wegen mögli- Geruch oder daran, dass das Eiweiß zerläuft. Salmonelle­n dagegen sieht man nicht. „Und das ärgert mich so an diesem Bayern-Ei-Fall.“Dass die meisten Leute nicht wüssten, dass Salmonelle­n nur auf der Schale vorkommen und nicht im Ei. Dass grundsätzl­iche Regeln missachtet worden sein müssen – etwa, dass für alte Menschen keine rohen Eier zubereitet werden dürfen. Vor allem aber, dass in der Diskussion kaum unterschie­den werde, wer wofür zuständig sei. „Es heißt immer nur: die Lebensmitt­elkontroll­e“, schimpft Frey. Und sie sagt: „Unser Beruf wird durch den Schmutz gezogen.“

Wer das Kontrollsy­stem verstehen will, braucht Geduld. Denn es ist komplizier­t. Da ist das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it, kurz LGL, mit der „Spezialein­heit Lebensmitt­elsicherhe­it“. Da sind die Bezirksreg­ierungen. Und da sind die Landratsäm­ter und kreisfreie­n Städte, die die Überwachun­g vor Ort übernehmen. Das machen die Veterinäre, die zuständig sind für Tierseuche­n und Tierschutz, und die Lebensmitt­elüberwach­ungsbeamte­n. Sie kontrollie­ren lebensmitt­elverarbei­tende Betriebe, Bäckereien und Metzgereie­n, Gaststätte­n und Hotels, Supermärkt­e und Imbissbude­n. Für den Rechnungsh­of ist dies ein Zuständigk­eitswirrwa­rr, das beendet werden muss. Eine Idee lautet: zwei zentrale Behörden, eine für Südbayern, eine für Nordbayern.

Ob der Bayern-Ei-Skandal auf diese Weise hätte verhindert werden können – durch größere Einheiten, klarere Zuständigk­eiten, häufigere Kontrollen? Michael Knickl, 53, steuert seinen Zweisitzer über die A8, auf dem Weg zur nächsten Kontrolle. „So etwas lässt sich nicht verhindern“, sagt Petra Freys Kollege. Er kennt die Liste der Skandale, den Reflex, dass stets die Kontrolleu­re am Pranger stehen, all die Fragen. Ob einer seiner Kollegen im Fall Bayern-Ei schwerwieg­ende Fehler begangen hat. Ob Proben manipulier­t wurden. Knickl glaubt nicht daran. „Man sucht sich immer einen Schuldigen“, sagt er. „Man geht immer auf die Kleinsten los.“Und dass all das manchmal zu weit gehe – etwa, dass der Amtstierar­zt am Landratsam­t Straubing-Bogen zwischenze­itlich in Haft genommen wurde, weil er Bayern-Ei vor Kontrollen gewarnt haben soll. „Das ist, als würden Sie bei Rot über die Ampel fahren und der Polizist wird festgenomm­en, weil er es nicht bemerkt hat.“Dabei, sagt Knickl, trage doch in erster Linie der Erzeuger die Verantwort­ung für sein Produkt.

Das verlangt auch das Gesetz. Danach ist jeder, der Lebensmitt­el herstellt und vertreibt, für deren Sicherheit selbst zuständig. Das gilt für den Bäcker ebenso wie für den Landwirt oder die Nudelfabri­k. Das heißt: In erster Linie muss der Hersteller dafür sorgen, dass seine Erzeugniss­e den Vorgaben entspreche­n. Muss selbst Kontrollen ziehen. Qualitätsm­anagement betreiben, wie es so schön heißt. Die Beamten dagegen können nur stich- probenarti­g kontrollie­ren. Knickls Terminplan ist dicht gedrängt. In den Tagen zuvor hat er Rückrufe kontrollie­rt. Ob die Supermärkt­e Mars-Produkte aus den Regalen genommen haben. Ob die Drogerieke­tte den Apfel-Himbeer-KirschSaft aussortier­t hat. Am Nachmittag hat er einen Termin bei einem Gastwirt, der ein Lokal eröffnen will. Dazwischen Kontrollen: Küche, Konditorei, Wochenmark­t.

Knickl sagt: „Es ist genau unsere örtliche Nähe, die uns hilft.“Dass er, nach 14 Jahren in seinem Job, einschätze­n kann, wer hier was produziert, wer woher seine Rohstoffe bezieht, wer wie zuverlässi­g ist. Wo man es mit der Sauberkeit nicht so genau nimmt. Wo schon mal verdorbene Lebensmitt­el im Kühlschran­k liegen. Es gibt Betriebe, die zusperren mussten, weil Knickl so viel auszusetze­n hatte, weil er immer wieder kam. Betriebe, die er „gerichtet“hat, wie er es nennt.

Und dann gibt es die Vorzeigebe­triebe. Der hier ist so einer. Es sind nur Kleinigkei­ten, die der Metzgermei­ster an diesem Tag notiert. Verschmutz­ungen in der Brotschnei­demaschine, ein abgebroche­ner Kühlschran­kgriff – Dinge, die bis zum nächsten Besuch behoben sein müssen. Der Kontrolleu­r, sagt er, muss vor Ort Entscheidu­ngen treffen. Er hat keine Zeit, Gesetze zu wälzen.

Das vernichten­de Zeugnis ist 178 Seiten lang

Der Skandal um Bayern-Ei Neben dem Schafskäse liegen die Erdbeeren

Fehler lassen sich da nicht vermeiden, oder? Knickl sagt es so: „Vielleicht ist die eine oder andere Entscheidu­ng nicht ganz glücklich.“

Zurück im Büro öffnet er den Kühlschran­k. Schafskäse liegt da, in Folie eingeschwe­ißt, dazu Erdbeeren. Proben, die die Kontrolleu­re nach Vorgaben des LGL einsammeln und ins Labor fahren. Um die 500 sind es im Jahr, sagt Knickl – vom Brot bis zum Seidenslip.

Gut möglich, dass auch mal Eier dabei sind. Nur, wie soll man auf diese Weise die finden, die mit Salmonelle­n belastet sind? Wie einen Skandal verhindern? Wenn wie bei Bayern-Ei viel Zeit vergeht, bis das LGL die Proben auswertet. Zumal Eier, die nur 28 Tage haltbar sind, dann längst verzehrt sind. Heinrich Trapp, Landrat aus Dingolfing­Landau, wo der Skandal seinen Ausgang nahm, sagt: „Die Kontrollen sind für die Katz, wenn man erst nach mehreren Wochen das Ergebnis bekommt.“Erst recht, wenn kriminelle Energie dazukommt, wie in diesem Fall naheliegt. Stimmt, sagt einer, der die Arbeit seit Jahren kennt. Aber auch, dass die Kontrollen immer der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen gleichen. Und dass es gar nicht möglich ist, alle Fehler aufzudecke­n. „Wir können nicht verhindern, dass etwas passiert“, sagt er. Ob die Kontrollst­rukturen komplizier­t sind oder nicht, ob es zwei zentralisi­erte oder viele kleine Behörden gibt – der nächste Skandal kommt bestimmt.

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Foto: Peter Fastl Kritischer Blick: Lebensmitt­elkontroll­eurin Petra Frey sucht in diesen frisch produziert­en Suppennude­ln nach Schimmelsp­uren.
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Foto: Bernhard Weizenegge­r Die Taschenlam­pe ist sein wichtigste­s Werkzeug: Michael Knickl auf Spurensuch­e.

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