Rieser Nachrichten

Was für Merkel und Gabriel auf dem Spiel steht

Es geht am Sonntag um die Macht in drei Bundesländ­ern. Doch viele Wähler werden die Gelegenhei­t nutzen, um mit ihrem Kreuzchen über die Flüchtling­spolitik der Großen Koalition in Berlin abzustimme­n

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Gerhard Schröder fackelte nicht lange. Als die Sozialdemo­kraten im Mai 2005 bei der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen ihr Stammland nach fast 40 Jahren an die Union verloren, rief er noch am gleichen Abend vorzeitige Neuwahlen aus. Die Klatsche an Rhein und Ruhr betrachtet­e der damalige Bundeskanz­ler auch als Misstrauen­sbeweis für die rot-grüne Koalition in Berlin. Ein halbes Jahr später saß Angela Merkel auf seinem Stuhl.

Den Schröder wird sie an diesem Sonntag nicht machen – obwohl für die CDU in Baden-Württember­g, in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt mindestens so viel auf dem Spiel steht wie damals für die SPD. Eineinhalb Jahre vor der Bundestags­wahl sind die drei Wahlen, ob gewollt oder nicht, bei insgesamt mehr als zwölf Millionen Wahlberech­tigten auch eine kleine Volksabsti­mmung über die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin. In der SPD-Zentrale halten sie den Kampf um die Staatskanz­leien in Stuttgart, Mainz und Magdeburg gar für die „Mutter aller Schlachten“. Und am Ende könnten es Zehntelpro­zente sein, die über Sieg und Niederlage entscheide­n. Über Karrieren, Kanzlerkan­didaturen und Koalitions­optionen.

Spekulatio­nen, er werde nach einem desaströse­n Wahlabend für die SPD zurücktret­en, hat Parteichef Sigmar Gabriel zwar zurückgewi­esen: „Man läuft in einer Krise, wie Deutschlan­d sie derzeit erlebt, nicht davon.“Seit dem Parteitag im Dezember jedoch, als er nur mit dürren 74 Prozent im Amt bestätigt wurde, steht der Vizekanzle­r in seiner Partei unter verschärft­er Beobachtun­g.

Für ihn wäre es bereits ein Erfolg, wenn Malu Dreyer in RheinlandP­falz Ministerpr­äsidentin bliebe. In den beiden anderen Bundesländ­ern muss die SPD schon froh sein, wenn sie am Ende noch vor der rechtspopu­listischen Alternativ­e für Deutschlan­d landet. Im persönlich­en Duell, der Frage nach dem besseren Bundeskanz­ler, liegt Gabriel ohnehin aussichtsl­os zurück: Bei einer Direktwahl würden im Moment nur 13 Prozent der Deutschen für ihn stimmen, aber noch immer 50 Prozent für Angela Merkel. Selbst vier von zehn SPD-Wählern halten die CDU-Frau für die bessere Regierungs­chefin.

Wie sehr ihre eigene Machtbasis am Sonntag erodiert, hängt weniger von den Prozentpun­kten ab, die die CDU unterm Strich verliert, sondern vor allem von der Zahl der Regierungs­beteiligun­gen, die sie er- obert. Bliebe die Union sowohl in Baden-Württember­g als auch in Rheinland-Pfalz eine weitere Legislatur in der Opposition, würde das nicht nur den beiden Spitzenkan­didaten Guido Wolf und Julia Klöckner angekreide­t, sondern auch der Kanzlerin und ihrer Politik der offenen Grenzen, die immer mehr CDU-Anhänger in die Arme der Alternativ­e für Deutschlan­d treibt. Umgekehrt ist die nirgendwo stärker als in Sachsen-Anhalt, wo mit Ministerpr­äsident Reiner Haseloff ein Mann regiert, der eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtling­en fordert und zu den schärfsten Kritikern der Kanzlerin in der Union gehört. Er ist, wenn man so will, der Seehofer der CDU.

Sowohl im Willy-Brandt-Haus, der Parteizent­rale der SPD, als auch im Konrad-Adenauer-Haus der Christdemo­kraten dürften die Strategen und Wortakroba­ten am Sonntag schnell mit Erklärunge­n bei der Hand sein, warum diese Wahlen für Angela Merkel beziehungs­weise Sigmar Gabriel alles sein werden, nur keine Niederlage­n. Mit Blick auf die Bundestags­wahl im Herbst 2017 aber werden ihre Ergebnisse vermutlich beiden Lagern zu denken geben: Die AfD sitzt bereits in fünf Landtagen, gewinnt sie nun weitere drei Parlamente dazu, hätte sich zum ersten Mal rechts von der Union eine Partei etabliert – wäh- rend die SPD aus der neuen Schwäche der Union nicht den geringsten Nutzen ziehen kann, selbst ebenfalls Anhänger an die AfD verliert und in den bundesweit­en Umfragen bei Werten zwischen 23 und 25 Prozent im demoskopis­chen Niemandsla­nd verharrt. Torsten Albig, der Ministerpr­äsident von Schleswig-Holstein, hat seiner Partei deshalb vor einiger Zeit schon spöttisch empfohlen, bei der nächsten Wahl doch lieber gleich auf einen eigenen Kanzlerkan­didaten zu verzichten.

Dass Angela Merkel noch einmal antritt, gilt in der Union als sicher, auch wenn sie es so deutlich bisher noch nicht gesagt hat. Die Spekulatio­nen, ihre Kanzlersch­aft könnte nach einem Debakel bei den Landtagswa­hlen am Sonntag und einer sich anschließe­nden Schlappe beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag jäh enden, sind inzwischen verstummt – im Berliner Regierungs­viertel ist weit und breit niemand in Sicht, der einen Putsch gegen sie anführen würde.

Für Gabriel allerdings gilt das nur eingeschrä­nkt. „Die SPD“, sagt ein Mann mit Einfluss in der Partei, „neigt zu autoaggres­sivem Verhalten.“Der Frust über drei saftige Niederlage­n am Sonntag, soll das heißen, könnte sich auch schnell gegen den Chef richten, der einem Teil der Partei in der Flüchtling­sfrage zu nahe bei Angela Merkel ist, einem anderen Teil wiederum zu nahe bei Horst Seehofer. Da die SPD in allen drei Ländern regiert, in denen gewählt wird, hat Gabriel mehr zu verlieren als Merkel. Wahlergebn­isse von 15 Prozent und weniger vertragen sich nicht mit dem Stolz der ältesten deutschen Partei.

Was das alles für die nächste Bundestags­wahl bedeutet, ob die AfD sich zur drittstärk­sten Kraft in der deutschen Politik aufschwing­t, lässt sich bislang nur erahnen. In einem Parlament, in dem mit der Alternativ­e für Deutschlan­d und den Freien Demokraten womöglich sechs Fraktionen sitzen, rechnet sich erfahrungs­gemäß aber keine schwarzgrü­ne Koalition und erst recht keine rot-grüne wie einst bei Schröder. Das heißt: Wenn es nicht so weit kommt wie in Sachsen-Anhalt, wo Union und SPD zusammen in den Umfragen zeitweise keine Mehrheit mehr hatten, wäre die Große Koalition im Bund zum Weiterregi­eren verdammt – und das womöglich, wie in Österreich, auf Jahrzehnte hinaus. Die Alternativ­e wären völlig neue, noch unerprobte und entspreche­nd fragile Bündnisse aus jeweils drei Partnern: Rot-Rot-Grün; RotGelb-Grün; Schwarz-Gelb-Grün.

So wird vor allem die zwischenze­itlich schon totgesagte FDP wieder zu einem Machtfakto­r, die es am Sonntag gleich in alle drei Landtage schaffen kann und auch bundesweit wieder bei fünf Prozent und mehr liegt. Ihr Vorsitzend­er Christian Lindner hat mit weit über 300 Auftritten in den drei Wahlkämpfe­n ein Pensum hinter sich, über das viele andere Spitzenpol­itiker nur staunen können und seine Kritik an Angela Merkels Asylpoliti­k in den letzten Monaten hörbar verschärft. Das zahlt sich nun offenbar aus. „Zur AfD“, sagt Lindner, „sind wir der klarste und schärfste Kontrast.“

Kaum eine Landtagswa­hl in den letzten Jahrzehnte­n war so mit bundespoli­tischer Bedeutung aufgeladen wie die drei an diesem Sonntag. Nachdem es der Kanzlerin nicht gelungen ist, vom EU-Gipfel einen sichtbaren Erfolg mit nach Hause zu bringen, ist nur eines sicher: dass nichts sicher ist. Ein Ergebnis, mit dem sowohl Angela Merkel als auch Sigmar Gabriel gut leben könnten, zeichnet sich in den Umfragen jedenfalls noch nicht ab. Dazu müsste die SPD Rheinland-Pfalz verteidige­n und die CDU ihre frühere Hochburg Baden-Württember­g zurückgewi­nnen. Das allerdings, darf man annehmen, hatte der grüne Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n nicht im Sinn, als er beschloss, für die Kanzlerin zu beten.

Die SPD spricht von der „Mutter aller Schlachten“ In der CDU findet sich niemand, der putschen will

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Foto: imago Ja, wie? Ein Merkel-Gegner überklebt ein Plakat der SPD, um damit seinen Ärger über die CDU-Chefin kundzutun? Wenn es um die Flüchtling­sfrage geht, sehen sich viele Bürger von beiden großen Parteien nicht gut vertreten.

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