Rieser Nachrichten

Wie die Flüchtling­s-Kanzlerin im Wahlkampf ankommt

Merkels Kurs ist auch in Baden-Württember­g unter vielen CDU-Anhängern umstritten. Das bekommt die Parteichef­in vor Ort deutlich zu spüren

- VON WILLIAM HARRISON-ZEHELEIN

Die Erwartunge­n der rund tausend Menschen sind groß in der Stadthalle Aalen. Die Kanzlerin kommt. „Ich bin gespannt, wie sie live auf einen wirkt und ob sie zur Flüchtling­skrise etwas sagen wird“, sagt Erika Palme, pensionier­te Ärztin aus Aalen. Volker Schumacher ist über zwanzig Kilometer hergefahre­n. Der 59-Jährige ist eigentlich seit vielen Jahren CDU-Wähler, zweifelt aber stark an Angela Merkels Flüchtling­spolitik: „Sie soll heute zu ihren Fehlern stehen und zugeben, dass der Weg, den sie eingeschla­gen hat, falsch war“, fordert der Heidenheim­er.

Sowohl die pensionier­te Ärztin Palme, seit vielen Jahren CDU-Mitglied, als auch der langjährig­e Unions-Stammwähle­r Schumacher sagen, dass Winfried Kretschman­n der richtige Mann in der falschen Partei sei. „Eigentlich sollte der heute da oben stehen“, erklärt Schumacher mit Blick auf die noch leere Bühne. Wenig später steigt Merkel aus ihrer Limousine aus.

Die Kanzlerin trägt einen grauen Hosenanzug, wirkt trotz ihres straffen Terminplan­s entspannt. Ein kleiner Bub fasst sich ein Herz und bittet die mächtigste Frau der Welt um ein „Selfie“. Merkel nimmt sich die Zeit für das Foto und gibt dem Kleinen einen Klaps auf die Schulter. Die Kanzlerin mischt sich im Wahlkampfe­ndspurt der CDU oft unter das baden-württember­gische Volk. Auch am vergangene­n Donnerstag in Aalen gilt es, für den CDU-Spitzenkan­didaten Guido Wolf Stimmen zu sammeln.

In einem Vorzimmer der schlichten Stadthalle wird Merkel noch vom regionalen CDU-Landtagsab­geordneten Winfried Mack mit einer schwäbisch­en Maultasche­nsuppe empfangen. „Es war, als ob man mit der Mama zu Hause am Tisch sitzt und Suppe isst“, beschreibt Mack die Vertrauthe­it, die Merkel ausstrahle. Von dieser Ausstrahlu­ng erhoffen sich viele in der CDU im Schatten des beliebten Grünen-Ministerpr­äsidenten Kretschman­n noch mal einen Popularitä­ts-Schub vor der Wahl. Andere sind skeptisch, ob die umstritten­e Flüchtling­s-Kanzlerin wirklich eine Wahlhelfer­in für die im Umfragen-Sinkflug befindlich­e Südwest-CDU ist.

Als Merkel den Saal betritt, stimmt eine lokale Schüler-Bigband die kämpferisc­he Hymne aus dem Boxerfilm Rocky an und es brandet Applaus für die Kanzlerin auf. In ihrer halbstündi­gen Wahlkampfr­ede spannt Merkel ihre Kritiker zunächst auf die Folter. Fünfzehn Minuten redet sie erst über eine mangelhaft­e Verkehrspo­litik der Grünen, von digitaler Entwicklun­g oder einer verbesseru­ngswürdige­n Bildungspo­litik. Merkel gestikulie­rt viel, ballt immer wieder die Fäuste. „Ich sage mit voller Überzeugun­g: Mit Guido Wolf werden die Weichen für die Zukunft dieses Landes besser gestellt.“Doch die Anwesenden warten auf ein anderes Thema: die Flüchtling­spolitik.

„Viele Menschen machen sich Sorgen“, sagt Merkel schließlic­h. „Aber wir werden das schaffen“, fügt sie hinzu. Doch statt Applaus gibt es einen wütenden Zwischenru­f: „Auf Koschden von di Bürger“, ruft ein Schwabe aus dem Publikum. Peinliche Stille im Saal.

Merkel kommt kurz aus dem Konzept, stößt ein nachdenkli­ches „Ähm“aus und spricht den Mann direkt an: „Wissen Sie, was auf Kosten der Bürger ist, genau darüber geht die Diskussion.“Man müsse zu den eigenen Werten und Zielen wie dem friedliche­n Zusammenle­ben, den Menschenre­chten oder der Meinungsfr­eiheit stehen und auch danach handeln. „Deshalb sind wir angesehen in der Welt.“Jetzt applaudier­t das Publikum.

Die Kanzlerin räumt ein, man habe leider viel zu lange gebraucht, um den Unterschie­d herauszust­ellen zwischen denjenigen, die in Deutschlan­d ein Schutzrech­t haben, und denen, die aus wirtschaft­lichen Gründen kommen. „Aber es werden weniger und wir wollen die Zahl der ankommende­n Flüchtling­e weiter reduzieren.“Deshalb wolle sie mit der Türkei die Fluchtursa­chen bekämpfen. Die Flüchtling­e fordert Merkel auf, Integratio­nsangebote auch anzunehmen. „Und jeder, der die Gesetze hier nicht achtet und einhält, hat keinen Anspruch auf Schutz in Deutschlan­d.“Erneut erntet sie Applaus.

Zumindest Erika Palme ist beeindruck­t vom Auftritt der Kanzlerin: „Ich fand gut, dass sie ihre Flüchtling­spolitik erklärt hat.“Sie gehe am Sonntag mit einem besseren Gefühl in die Wahlkabine. Volker Schumacher sieht das anders: „Merkel ist zwar wahnsinnig charismati­sch. Ich verstehe ihre Flüchtling­spolitik aber trotzdem nicht.“Die CDU will er am Sonntag dennoch wieder wählen. „Sie ist das kleinere Übel“, sagt er.

Ein Zwischenru­fer bringt die Kanzlerin aus dem Konzept

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Foto: Niedermüll­er, Getty Wahlkämpfe­rin Merkel in Aalen: Peinliche Stille im Saal.

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