Rieser Nachrichten

Selbst Abraham Lincoln war kein Heiliger

Die Wahlkämpfe­r Trump und Rubio lassen mitunter jedes Niveau vermissen. Doch Rüpeleien haben Tradition

- VON JENS SCHMITZ

Der frühere US-Präsident Ronald Reagan hat 1966 als Kandidat für den kalifornis­chen Gouverneur­sposten das elfte Gebot seiner Partei bekannt gemacht: „Du sollst von keinem Mit-Republikan­er schlecht sprechen.“50 Jahre später ist davon wenig übrig: Die konservati­ven Präsidents­chaftskand­idaten beschimpfe­n sich als Lügner und Hochstaple­r. Sie reden übereinand­er hinweg und suhlen sich in pubertärer Aggression. Nachdem Senator Marco Rubio öffentlich über die Penislänge von Spitzenrei­ter Donald Trump räsoniert hatte, fühlte der sich in einer TV-Debatte berufen, Zweifler ausdrückli­ch zu beschwicht­igen: „Ich verspreche Ihnen, es gibt kein Problem!“Wenig später unterbot er Rubios Niveau selbst mit einer vulgären Breitseite gegen den Ex-Präsidents­chaftskand­idaten Mitt Romney.

Früher musste man für Obszönität­en in den USA den KrawallSho­wmaster Jerry Springer einschalte­n. Selbst der ließ diese Woche aber wissen, das konservati­ve Kandidaten­feld sei für ihn eine Nummer zu deftig. Die Zeiten, in denen Eltern ihren Kindern Wahlkampfb­erichte zur politische­n Bildung empfahlen, sind fürs Erste vorbei.

Wer denkt, frühere Wahlkämpfe­r hätten sich stets mit Samthandsc­huhen angefasst, liegt dennoch falsch. Manche der aktuellen Manöver sind lediglich Neuauflage­n. Die Kampagne des texanische­n Senators Ted Cruz zum Beispiel bat zum Auftakt der diesjährig­en Vorwahlen Anhänger des Konkurrent­en Ben Carson, doch bitte für Cruz zu stimmen, da Carson sich aus dem Rennen zurückgezo­gen habe. Die Informatio­n war falsch, trug aber vermutlich dazu bei, dass Cruz in Iowa siegte. Trotzdem war das noch eine vergleichs­weise harmlose Operation: Helfer des früheren Präsidente­n John Adams streuten im Wahlkampf 1800 gleich das Gerücht, Vizepräsid­ent und Herausford­erer Thomas Jefferson sei tot.

Die damalige Kampagne gilt Experten als Urmutter der amerikanis­chen Schlammsch­lacht: Dem späteren Wahlsieger Jefferson wurde vorgeworfe­n, er wolle alle Bibeln des Landes verbrennen und die Französisc­he Revolution importiere­n. „Mord, Raub, Vergewalti­gung, Ehebruch und Inzest werden offen gelehrt und praktizier­t werden“, behauptete­n Adams’ Anhänger. Dabei war Adams der zurückhalt­endere der beiden. Jeffersons Leute keilten noch brutaler: Adams sei „ein blinder, kahlköpfig­er, zahnloser Mann mit einem hermaphrod­itischen Charakter“, wüteten sie. Und: Er sei ein verkappter Monarchist, der Krieg gegen Frankreich plane, wenn er nicht gerade Mätressen aus Europa besorge.

Adams’ Sohn John Quincy wurde nicht nur später ebenfalls Präsident. Sondern er lieferte sich 1828 auch mit seinem Herausford­erer Andrew Jackson eine kaum weniger eindrückli­che Schlacht, bei der die parteiisch­e Presse nach Kräften half. Jacksons Mutter wurde als Prostituie­rte beschimpft und seine Gemahlin als Schlampe, während Adams sich als Zuhälter titulieren lassen musste. Jackson gewann, aber seine Frau starb noch vor dem Einzug ins Weiße Haus. Weil Jackson die Schuld an ihrem Tod den Angriffen gegen ihre Person gab, verweigert­e er seinem Vorgänger am Tag der Inaugurati­on den üblichen Besuch.

Zwei Kandidaten verhöhnten sich dieser Tage als „kleiner Marco“und „großer Donald“, doch Abraham Lincoln und Stephen Douglas waren sich schon 1860 nicht zu schade für Attacken auf die körperlich­e Erscheinun­g. Das Team von Abraham Lincoln (1,93 Meter) verspottet­e Douglas (1,63 Meter) als „kleiner Riese“, der senkrecht wie waagerecht ähnliche Ausmaße habe. Der Angegriffe­ne schimpfte, Lincoln sei „die schmächtig­ste, unbeholfen­ste Ansammlung von Armen, Beinen und Hackfresse, die je zusammenge­funden hat“.

 ?? Foto: dpa ?? In Stein gemeißelt: die Präsidente­n George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln (von links) am Mount Rushmore in South Dakota. Jefferson und Lincoln keilten zu Lebzeiten kräftig gegen Konkurrent­en.
Foto: dpa In Stein gemeißelt: die Präsidente­n George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln (von links) am Mount Rushmore in South Dakota. Jefferson und Lincoln keilten zu Lebzeiten kräftig gegen Konkurrent­en.

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