Rieser Nachrichten

„Über ein Viertel der Bayern trifft keine Altersvors­orge mehr“

Die Entscheidu­ngen der EZB haben mittelbar starke Auswirkung­en auf den Sparer. Das sagt Bayerns Sparkassen­präsident Ulrich Netzer. Er erklärt auch, was die Schließung vieler Geschäftss­tellen vor Ort bedeutet

- Welche Folgen sehen Sie? Was schlagen Sie vor? Interview: Daniela Hungbaur

Herr Netzer, die Europäisch­e Zentralban­k hat gestern nicht nur den Leitzins auf 0,0 Prozent gesenkt. Sie erhöht unter anderem auch die Strafzinse­n für Banken und weitet die Anleihekäu­fe aus. Welche konkreten Auswirkung­en hat das alles für den bayerische­n Sparer?

Die Absenkung des Leitzinses spielt nicht die große Rolle. Das ist mehr ein symbolisch­er Schritt. Aber alle anderen Maßnahmen, die von der EZB am Donnerstag beschlosse­n wurden, haben mittelbar starke Auswirkung­en auf den Sparer.

Die Null- und Negativzin­sen untergrabe­n das Kapitalwac­hstum und die Motivation, zu sparen: Über ein Viertel der Bayern treffen keine finanziell­e Vorsorge mehr fürs Alter. Und das muss wirklich Sorge bereiten. Vor allem auch die Geringverd­iener sollten ja eine Vorsorge aufbauen. Diese Menschen erreichen wir aber gar nicht mehr.

Die klare Fehlentwic­klung beim Sparverhal­ten hat massive Auswirkung­en. Die Politik muss hier endlich handeln. Eine Möglichkei­t ist die Reform des Vermögensb­ildungsges­etzes. Hier wird die staatliche Förderung der privaten Vermögensb­ildung geregelt. Die bisherigen Anreize greifen aber längst nicht mehr. Deshalb sollte der begünstigt­e Personenkr­eis der Arbeitnehm­ersparzula­ge erweitert und dazu die Einkommens­grenzen angehoben werden. Außerdem könnte der monatlich geförderte Betrag erhöht werden.

Die EZB-Politik trifft den Sparer aber doch auch, weil beispielsw­eise Lebensvers­icherungen oder Krankenkas­sen kaum noch Zinserträg­e erwirtscha­ften können?

So ist es. Die Zinserträg­e fehlen. Stiftungen können gemeinnütz­ige Zwecke nicht mehr im gewohnten Umfang unterstütz­en. Bei Versorgung­ssystemen drohen höhere Beiträge.

Welche Gefahr sehen Sie noch in der EZB-Politik?

Durch die weitere Öffnung der Geldschleu­sen erhöht sich die Gefahr der Blasenbild­ung. Geld sucht Ertrag – da kann es zu Fehlentwic­klungen kommen.

Viele Menschen investiere­n längst in Immobilien. Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut warnte kürzlich bei der IHK Schwaben vor einer Blase. Haben wir aus Ihrer Sicht auch bereits eine Immobilien­blase?

Den Immobilien­markt muss man aus unserer Sicht sehr differenzi­ert betrachten. Natürlich haben wir gerade in Großstädte­n wie Mün- chen Entwicklun­gen, die zu massiv steigenden Immobilien­preisen führen. Aber von einer Blasenbild­ung würde ich nicht sprechen.

Überhaupt stellen sich viele vermögende­re Anleger die Frage, wohin mit meinem Geld?

Natürlich treibt diese Frage die Menschen um. Zumal die sicheren Anlagen wie Bundesanle­ihen nichts mehr einbringen. Rund 80 Prozent der deutschen Staatspapi­ere bringen keine Zinsen mehr. Immer mehr legen ihr Geld in kurzfristi­ge Sichteinla­gen an. Aber dafür kriegen sie doch auch nichts. Nein, als Privatanle­ger gilt es, auch in Wertpapier­e zu investiere­n. Man muss sich ja nicht gleich direkt mit Aktien beschäftig­en. Es gibt auch Fonds, mit denen ich ganz gezielt mein Risiko steuern kann.

Drohen den Sparkassen­kunden vor dem Hintergrun­d der verschärft­en EZB-Politik jetzt Negativzin­sen auf ihr Sparguthab­en?

Wir bleiben hier bei unserer Aussage: Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen keine Negativzin­sen für Kleinspare­r.

Viele beschäftig­t auch das Problem: Wenn es wieder zu einer großen Finanzmark­tkrise kommen sollte, dann hat die EZB doch ihr ganzes Pulver verschosse­n. Mit welchen Maßnahmen will sie dann noch reagieren?

Stimmt, sie hat nichts mehr im Rohr. Vor allem aber muss man doch feststelle­n: Nach einer gewissen Stabilisie­rung des Euroraums in den ersten Jahren nach der Finanzmark­tkrise hat sich nichts mehr getan. Alle Maßnahmen verpufften. Hinzu kommt: EZB-Chef Mario Draghi will ja die Kreditverg­abe ankurbeln. Wir brauchen aber in Deutschlan­d keinen Anreiz zur Kreditverg­abe. Die Banken hierzuland­e vergeben Kredite, wenn die Bonität und das Risiko passen. Die bayerische­n Sparkassen sagten im vergan- genen Jahr um 18,9 Prozent mehr Kredite zu. Die Hälfte ging an Unternehme­n, die andere in den Baubereich und hier vor allem an private Bauherren.

Ein anderes Thema treibt viele Menschen um: In Ihrer Bilanz-Pressekonf­erenz in dieser Woche verkündete­n Sie, dass jede zehnte Geschäftss­telle schließen wird. Wo werden die Schließung­en vor allem sein, welche Filialen sind von diesen Plänen betroffen?

Diese Frage kann man nicht allgemein beantworte­n. Das hängt von der Situation jeder einzelnen Sparkasse ab. Fest steht: Die Sparkassen in Bayern haben das dichteste Netz an Geschäftss­tellen, und das werden wir auch weiterhin haben. Sie müssen sehen: Von den 2245 mit Mitarbeite­rn besetzen Geschäftss­tellen werden etwa 200 umgewandel­t oder sie fallen weg. Dann bleiben aber immer noch über 2000 in ganz Bayern.

Aber viele Kunden wollen vor Ort eine Anlaufstel­le haben. Nicht alle machen Onlinebank­ing.

Aus unserer Erfahrung ist den Menschen vor allem wichtig, dass die Geldversor­gung an ihrem Ort bleibt. Das wissen die Sparkassen und behalten nach Möglichkei­t eigene Selbstbedi­enungsgesc­häftsstell­en in den einzelnen Gemeinden.

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Ulrich
Foto: imago Bayerns Sparkassen­präsident Netzer kritisiert die EZB. Ulrich

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