„Über ein Viertel der Bayern trifft keine Altersvorsorge mehr“
Die Entscheidungen der EZB haben mittelbar starke Auswirkungen auf den Sparer. Das sagt Bayerns Sparkassenpräsident Ulrich Netzer. Er erklärt auch, was die Schließung vieler Geschäftsstellen vor Ort bedeutet
Herr Netzer, die Europäische Zentralbank hat gestern nicht nur den Leitzins auf 0,0 Prozent gesenkt. Sie erhöht unter anderem auch die Strafzinsen für Banken und weitet die Anleihekäufe aus. Welche konkreten Auswirkungen hat das alles für den bayerischen Sparer?
Die Absenkung des Leitzinses spielt nicht die große Rolle. Das ist mehr ein symbolischer Schritt. Aber alle anderen Maßnahmen, die von der EZB am Donnerstag beschlossen wurden, haben mittelbar starke Auswirkungen auf den Sparer.
Die Null- und Negativzinsen untergraben das Kapitalwachstum und die Motivation, zu sparen: Über ein Viertel der Bayern treffen keine finanzielle Vorsorge mehr fürs Alter. Und das muss wirklich Sorge bereiten. Vor allem auch die Geringverdiener sollten ja eine Vorsorge aufbauen. Diese Menschen erreichen wir aber gar nicht mehr.
Die klare Fehlentwicklung beim Sparverhalten hat massive Auswirkungen. Die Politik muss hier endlich handeln. Eine Möglichkeit ist die Reform des Vermögensbildungsgesetzes. Hier wird die staatliche Förderung der privaten Vermögensbildung geregelt. Die bisherigen Anreize greifen aber längst nicht mehr. Deshalb sollte der begünstigte Personenkreis der Arbeitnehmersparzulage erweitert und dazu die Einkommensgrenzen angehoben werden. Außerdem könnte der monatlich geförderte Betrag erhöht werden.
Die EZB-Politik trifft den Sparer aber doch auch, weil beispielsweise Lebensversicherungen oder Krankenkassen kaum noch Zinserträge erwirtschaften können?
So ist es. Die Zinserträge fehlen. Stiftungen können gemeinnützige Zwecke nicht mehr im gewohnten Umfang unterstützen. Bei Versorgungssystemen drohen höhere Beiträge.
Welche Gefahr sehen Sie noch in der EZB-Politik?
Durch die weitere Öffnung der Geldschleusen erhöht sich die Gefahr der Blasenbildung. Geld sucht Ertrag – da kann es zu Fehlentwicklungen kommen.
Viele Menschen investieren längst in Immobilien. Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut warnte kürzlich bei der IHK Schwaben vor einer Blase. Haben wir aus Ihrer Sicht auch bereits eine Immobilienblase?
Den Immobilienmarkt muss man aus unserer Sicht sehr differenziert betrachten. Natürlich haben wir gerade in Großstädten wie Mün- chen Entwicklungen, die zu massiv steigenden Immobilienpreisen führen. Aber von einer Blasenbildung würde ich nicht sprechen.
Überhaupt stellen sich viele vermögendere Anleger die Frage, wohin mit meinem Geld?
Natürlich treibt diese Frage die Menschen um. Zumal die sicheren Anlagen wie Bundesanleihen nichts mehr einbringen. Rund 80 Prozent der deutschen Staatspapiere bringen keine Zinsen mehr. Immer mehr legen ihr Geld in kurzfristige Sichteinlagen an. Aber dafür kriegen sie doch auch nichts. Nein, als Privatanleger gilt es, auch in Wertpapiere zu investieren. Man muss sich ja nicht gleich direkt mit Aktien beschäftigen. Es gibt auch Fonds, mit denen ich ganz gezielt mein Risiko steuern kann.
Drohen den Sparkassenkunden vor dem Hintergrund der verschärften EZB-Politik jetzt Negativzinsen auf ihr Sparguthaben?
Wir bleiben hier bei unserer Aussage: Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen keine Negativzinsen für Kleinsparer.
Viele beschäftigt auch das Problem: Wenn es wieder zu einer großen Finanzmarktkrise kommen sollte, dann hat die EZB doch ihr ganzes Pulver verschossen. Mit welchen Maßnahmen will sie dann noch reagieren?
Stimmt, sie hat nichts mehr im Rohr. Vor allem aber muss man doch feststellen: Nach einer gewissen Stabilisierung des Euroraums in den ersten Jahren nach der Finanzmarktkrise hat sich nichts mehr getan. Alle Maßnahmen verpufften. Hinzu kommt: EZB-Chef Mario Draghi will ja die Kreditvergabe ankurbeln. Wir brauchen aber in Deutschland keinen Anreiz zur Kreditvergabe. Die Banken hierzulande vergeben Kredite, wenn die Bonität und das Risiko passen. Die bayerischen Sparkassen sagten im vergan- genen Jahr um 18,9 Prozent mehr Kredite zu. Die Hälfte ging an Unternehmen, die andere in den Baubereich und hier vor allem an private Bauherren.
Ein anderes Thema treibt viele Menschen um: In Ihrer Bilanz-Pressekonferenz in dieser Woche verkündeten Sie, dass jede zehnte Geschäftsstelle schließen wird. Wo werden die Schließungen vor allem sein, welche Filialen sind von diesen Plänen betroffen?
Diese Frage kann man nicht allgemein beantworten. Das hängt von der Situation jeder einzelnen Sparkasse ab. Fest steht: Die Sparkassen in Bayern haben das dichteste Netz an Geschäftsstellen, und das werden wir auch weiterhin haben. Sie müssen sehen: Von den 2245 mit Mitarbeitern besetzen Geschäftsstellen werden etwa 200 umgewandelt oder sie fallen weg. Dann bleiben aber immer noch über 2000 in ganz Bayern.
Aber viele Kunden wollen vor Ort eine Anlaufstelle haben. Nicht alle machen Onlinebanking.
Aus unserer Erfahrung ist den Menschen vor allem wichtig, dass die Geldversorgung an ihrem Ort bleibt. Das wissen die Sparkassen und behalten nach Möglichkeit eigene Selbstbedienungsgeschäftsstellen in den einzelnen Gemeinden.