Rieser Nachrichten

Mach’s doch selber!

Millionen Menschen hämmern, stricken, basteln wieder. Dabei müssten sie das gar nicht. Man kann ja alles kaufen. Das Volkskunde­museum Oberschöne­nfeld zeigt, warum „Do it yourself“trotzdem ein Trend ist

- VON SARAH RITSCHEL Suburban Life.

Eigentlich mochte man sie doch nie so richtig: Die unförmige Wollmütze, von der Tante in vielen Stunden gestrickt, zog man höchstens zum Schneeschi­ppen vor der eigenen Haustür an. Die Vase, im Handarbeit­sunterrich­t selbst getöpfert, war undicht und verstaubte im Schrank.

Dem selbst genähten Minikleid im Schwäbisch­en Volkskunde­museum Oberschöne­nfeld (Kreis Augsburg) ging es ähnlich. „Nie getragen“, erzählt Kuratorin Dorothee Pesch. Heute, ein paar Jahrzehnte später, hängt das Kleid geschützt und beleuchtet wie der neueste Entwurf aus Paris in einem Glaskasten. „Do it yourself – Mach’s doch selber“, heißt die neue Ausstellun­g des Museums. Sie greift einen Trend auf, der statt des bloßen Konsums die eigene Kreativitä­t rühmt. Hunderte Internetbl­ogs und Zeitschrif­ten erklären, wie man aus alten Schubladen Wandregale bastelt und Osterhasen selber schnitzt. Auf Internet-Plattforme­n wie DaWanda oder Etsy bieten mehrere hunderttau­send Verkäufer über die Welt verteilt Selbstgema­chtes an – für mehr als 25 Millionen registrier­te Kunden.

„,Do it yourself‘ – abgekürzt DIY – ist einfach überall“, sagt Dorothee Pesch. Das sei aber nicht erst seit ein paar Jahren so. Schon der Begriff DIY stamme vom Beginn des 20. Jahrhunder­ts. Er erschien bereits 1912 in einem Artikel der US-Zeitschrif­t In Deutschlan­d verbreitet­e er sich in den 1950er Jahren. Maßgeblich dazu beigetrage­n hat Pesch zufolge eine Heimwerker­zeitschrif­t, von der die Museumsmit­arbeiter eine ganze Reihe von Ausgaben zusammenge- tragen haben. Der überrasche­nde Titel: „Selbst ist der Mann – Das deutsche Do it yourself“. In einer Ausgabe aus dem Jahr 1957 erfährt der Leser, wie er seine Einbauküch­e gestalten kann. Auf dem Titel werkelt der Mann mit Holz, die Frau streicht im Hintergrun­d die Schränke neu, und das Kind bastelt schon mal einen Adventskra­nz: Selbermach­en und Selbstverw­irklichen, das passte schon damals gut zusammen.

„Heute ist DIY meist ein Ausgleich zur Arbeit. Wer jeden Tag ins Büro geht, will in seiner Freizeit etwas Praktische­s machen“, sagt Dorothee Pesch. Lange Zeit aber seien die Menschen aus bloßer Not heraus kreativ geworden. So wie Xaver Weis. 1904 geboren, baute er nach dem Zweiten Weltkrieg eine kleine Destille aus einem Honigwärme­r, einem Wasserleit­ungsrohr und einer Gurkenkons­erve. Mit dem Schnaps begann er ein Tauschgesc­häft, um seine Familie zu versorgen. Ein Ausstellun­gsstück dürfte vielen be- sonders in Erinnerung bleiben: der Herd, den eine Flüchtling­sfamilie aus dem Baltikum 1945 aus herabgefal­lenen Flugzeugte­ilen gebaut hat. „Er war 20 Jahre lang im Einsatz.“

Die Zweitverwe­rtung ist auch für die heutige DIY-Fangemeind­e ein Experiment­ierfeld. In der Ausstellun­g – die sonst häufig im Historisch­en verhaftet bleibt – ist ein kompletter Raum mit zweckentfr­emdeten Gebrauchsg­egenstände­n eingericht­et: eine Couch aus Europalett­en, ein Koffer als Wandschran­k, eine Kabeltromm­el als Tisch. Man muss mehrmals hinsehen, um alles Recycelte zu erkennen.

Doch nicht immer, sagt Dorothee Pesch, zähle beim Selbermach­en nur das Ergebnis. „Es ist wichtig, dass man Leute trifft, die das Gleiche mögen wie man selbst.“Im Augsburger Stadtteil Bärenkelle­r zum Beispiel bepflanzen Hobbygärtn­er seit ein paar Jahren einen Gemeinscha­ftsacker. Die reiche Ernte: BioGemüse und Sozialkont­akte. Gerade in Großstädte­n gibt es dutzende solcher Beispiele. Das Café, das vormittags für Mamas Bastelfrüh­stücke inklusive dem Filzen kleiner Schutzenge­l anbietet. Der Werkraum, der nicht nur Kurse für Schmuckges­taltung oder Häkeln im Programm hat, sondern gleich ganze Werkbänke vermietet.

Natürlich beschränkt sich auch das Volkskunde­museum nicht darauf, DIY nur zu zeigen. Das Begleitpro­gramm ist so bunt wie die Knöpfe und Nähkissen, die man dabei selbermach­en kann. Wollmützen sind allerdings nicht dabei.

it yourself – Mach’s doch selber! läuft von 13. März bis 9. Oktober, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr.

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