Neue Details zum Germanwings-Absturz
Am Sonntag legt die französische Ermittlungsbehörde BEA einen Abschlussbericht zu dem Flugzeugunglück in den Alpen vor. Was ist bislang bekannt? Und welche Konsequenzen gab es bereits?
In Kürze jährt sich der Absturz einer Germanwings-Maschine in den französischen Alpen zum ersten Mal. Alle 150 Menschen an Bord kamen bei dem Unglück am 24. März 2015 ums Leben. Am Sonntag will die französische Untersuchungsbehörde BEA einen Abschlussbericht zu dem dramatischen Ereignis vorlegen. Wir fassen die bisherigen Erkenntnisse zusammen.
Was ist bislang über die Absturzursache bekannt?
Nach der Auswertung der zweiten Blackbox der Unglücksmaschine waren sich die Ermittler schon Anfang April 2015 ziemlich sicher: Der Co-Pilot muss das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht haben. Der französischen Luftfahrtermittlungsbehörde BEA zufolge lässt sich anhand des Flugdatenschreibers folgendes Geschehen rekonstruieren: Der Pilot verließ für einen Moment das Cockpit des Airbus A 320. Daraufhin verrammelte der Co-Pilot die Tür von innen und leitete einen Sinkflug ein. Zudem beschleunigte er die Maschine mehrfach. Die tragische Folge: Das Flugzeug, das auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf war, prallte gegen einen Berg in den französischen Alpen.
Was waren die Hintergründe für diese unvorstellbare Tat?
Offenbar hatte Co-Pilot Andreas Lubitz psychische Probleme und wollte sich deshalb das Leben nehmen. Wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wenige Tage nach dem Absturz bekannt gab, befand sich der 27-Jährige in Psychotherapie. Vor dem Unglück hatte er sich demnach im Internet über Wege der Selbsttötung und den Schutz von Cockpittüren informiert. Am Absturztag war er eigentlich krankgeschrieben. Im Juni 2015 teilte die französische Staatsanwaltschaft mit, dass der Co-Pilot fluguntauglich war. Eine Woche später leitete die Staatsanwaltschaft in Marseille ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung ein. Hinterbliebene der Absturzopfer werfen der Flugschule der Lufthansa im US-Bundesstaat Arizona ein dramatisches Versäumnis vor. Nach Angaben des Rechtsanwalts Christof Wellens, der zahlreiche Angehörige vertritt, sei Lubitz dort ausgebildet worden. 2009 habe er seine Pilotenausbildung wegen psychischer Probleme unterbrochen. Danach hätte Lubitz keine Fluglizenz bekommen dürfen, sagt Wellens. Demnächst soll eine millionenschwere Zivilklage gegen die Flugschule bei einem US-Gericht eingereicht werden. Pro Absturzopfer könnten in den USA bis zu fünf Millionen Dollar geltend gemacht werden – deutlich mehr als in Deutschland. Aus Sicht von Ger- manwings findet US-Recht keine Anwendung in dem Fall.
Gab es schon Ausgleichszahlungen?
Die Lufthansa und ihr Tochterunternehmen Germanwings haben nach eigenen Angaben bisher 11,2 Millionen Euro an Vorschusszahlungen und Schmerzensgeld an die Angehörigen der Absturzopfer gezahlt.
Was steckt hinter den neuen Details zum Gesundheitszustand des CoPiloten, die vor einigen Tagen bekannt wurden?
und berichteten, dass Lubitz schon kurz nach Beginn seiner Pilotenausbildung im Jahr 2008 unter massiven psychischen Beschwerden litt, darunter Schlafprobleme, Verlust von Ge- schmacks- und Geruchssinn und Hörstörungen. Die Zeitungen beriefen sich auf Ermittlungsakten der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft und der französischen Untersuchungsbehörde BEA. Demnach hätten Ärzte die Beschwerden als schwere depressive Episode eingestuft. Lubitz habe zwei starke Antidepressiva bekommen. Nach dem Unglück seien in seinen Haaren Spuren eines Schlafmittels gefunden worden. Aus dem Bericht der französischen Staatsanwaltschaft geht laut hervor, dass Lubitz in den Monaten vor dem Absturz 41 Ärzte aufgesucht habe. Viele von ihnen hätten eine ernsthafte psychische Erkrankung erkannt, doch keiner habe Germanwings oder die Flugsicherheit informiert.
Was sagen die Ermittler?
Am Sonntag will die BEA ihren Abschlussbericht öffentlich vorstellen. In dem Dossier soll es auch um mögliche Konsequenzen für die Sicherheitsbestimmungen in der Luftfahrt gehen. Die Behörde wollte vor allem die Regeln zur medizinischen Untersuchung von Piloten und die „Balance zwischen ärztlicher Schweigepflicht und Flugsicherheit“in den Blick nehmen. Schon am heutigen Samstag sollen Angehörige der deutschen Opfer in Bonn hinter verschlossenen Türen über den Inhalt des Berichts informiert werden.
Welche Konsequenzen wurden bereits aus dem Unglück gezogen?
Alle deutschen sowie britische, norwegische und schwedische Fluggesellschaften führten nach dem Absturz das sogenannte „Vier-AugenPrinzip“ein. Heißt: Wenn der Pilot oder der Co-Pilot das Cockpit verlassen, muss ein anderes Besatzungsmitglied darin Platz nehmen. Piloten zweifeln aber, ob diese Regelung wirklich die Sicherheit erhöht.
Welche Vorschläge gibt es noch?
CDU/CSU und SPD wollen bei Piloten unangemeldete Kontrollen auf Alkohol, Drogen und Medikamente einführen. Ein Gesetzentwurf liegt bereits vor. Der Journalist und Luftfahrtexperte Andreas Spaeth hat vor wenigen Tagen regelmäßige psychologische Tests für Piloten gefordert.
Was sagt die Pilotenvereinigung?
Markus Wahl, Sprecher der Vereinigung Cockpit, kritisiert den Gesetzentwurf: „Der Weg der verdachtslosen Kontrolle ist der falsche Weg.“Und selbst bei regelmäßigen Tests würden psychische Probleme eines Piloten nicht zwangsläufig erkannt. „Wir müssen die Betroffenen dazu bringen, dass sie sich freiwillig melden und sich nicht verstecken wollen“, sagt Wahl. Eine Expertengruppe des internationalen Dachverbands der Fluggesellschaften IATA empfiehlt Hilfsprogramme, an die Betroffene sich vertraulich wenden können, ohne sofort Sanktionen fürchten zu müssen.