Teufel aus der Chemiekiste
Experten warnen die Athleten vor dem großen Risiko, wenn sie sich aus dem reichen Fundus der Pharma-Industrie bedienen
Mit dubiosen Designerdrogen vom Schwarzmarkt gehen Sportler nach Meinung des Dopingexperten Fritz Sörgel ein hohes Risiko ein. „Wenn Athleten dann in die Chemie-Kiste der unbekannten Stoffe greifen – das ist für mich künftig die größte Gefahr“, sagte der Pharmakologe aus Nürnberg nach den jüngsten Dopingfällen mit dem Herzmedikament Meldonium.
„Meldonium geht nicht mehr – sie suchen im Internet, und nach zwei Tagen haben sie dann 20 neue Substanzen in der Hand, die sie in China bestellen“, erklärte der renommierte Pharmakologe. „Das kann schon mal schiefgehen.“Sörgel warnte vor fatalen Folgen von Doping-Experimenten mit nicht zugelassenen Mitteln.
„Das ist wie im richtigen Leben: Der beißt ins Gras, der die schlechten Dinge nehmen muss – in diesem Fall verunreinigte Substanzen. Das ist ja auch bei Drogen so“, meinte der Wissenschaftler und schilderte ein düsteres Szenario. „In vielen Geheimlaboren tüfteln sie schon an neuen Designerstoffen – auch für Athleten“, sagte Sörgel. „Sportler, die im Jahr 50 Millionen und mehr verdienen, können sich doch ein eigenes Labor leisten, das ihnen nicht nachweisbare neue Mittel liefert.“
Meldonium (Handelsname „Mildronat“) war von der Welt-AntiDoping-Agentur WADA nach einer Beobachtungsphase zum 1. Januar 2016 auf die Verbotsliste gesetzt worden. In den vergangenen Tagen wurden viele russische Athleten des Dopings mit Meldonium beschuldigt. Prominentester Fall: TennisStar Maria Scharapowa.
Der Volleyball-Nationalspieler Alexander Markin räumte ein, von dem Verbot gewusst zu haben. „Der Arzt sagte, und das ist auch (im Beipackzettel) geschrieben, dass das Präparat innerhalb von drei bis sechs Stunden aus dem Körper ab- geführt wird, aber die Tatsachen zeigen, dass es im Organismus noch bis zu drei Monate bleiben kann“, so Markin.
Auch beim Council des Weltverbandes IAAF in Monaco stand der Dopingskandal in Russland auf der Agenda. Das Land habe noch nicht genug für die Reformierung seines Anti-Doping-Programms getan, sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe. „Derzeit sollte Russland nicht wieder zugelassen werden“, bekräftigte der Chef des Weltverbandes auf einer Pressekonferenz.
Im Mai will das 27-köpfige Council eine endgültige Entscheidung treffen. DLV-Präsident Clemens Prokop begrüßte die IAAF-Entscheidung: „Das ist zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall richtig und nachvollziehbar. Ich bin aber weiter skeptisch, ob die Suspendierung überhaupt aufgehoben werden kann“, sagte der Chef des deutschen Verbandes.
Nach den massiven Doping-Enthüllungen des vergangenen Jahres war der russische Verband RUSAF vorläufig für alle internationalen Wettbewerbe gesperrt worden. Eine Hintertür für die OlympiaTeilnahme in Rio de Janeiro gibt es noch, weil die RUSAF neue Strukturen und Reformen angekündigt hat. Diese überwacht eine Taskforce der IAAF, deren Leiter Rune Andersen dem Council erstmals berichtet hat. Die RUSADA hatte Anfang Januar eine neue Führung gewählt.
In Bezug auf die Aufhebung der Dopingsperre sei keine „revolutionäre Lösung“in Sicht, sagte Sportminister Witali Mutko in Moskau. Ein Grund dafür seien vermutlich die Fälle von Meldonium-Doping im russischen Sport. Er übernehme dafür die grundsätzliche Verantwortung, sagte der Vertraute von Präsident Wladimir Putin. Allerdings gebe es im Land kein systematisches Doping mit Meldonium, meinte Mutko. In die Affäre hatte sich sogar Russlands Außenminister Sergej Lawrow eingeschaltet. Er erwarte von der WADA eine Erklärung, warum Sportler das Präparat nicht mehr nehmen dürfen.