Wie baut man Heimat?
Deutschland weiß nicht, wie es hunderttausende Flüchtlinge unterbringen soll, wenn schon einheimische Familien keine Wohnung finden. Das Deutsche Architekturmuseum zeigt Auswege auf der Biennale in Venedig
Massenunterkünfte in Fabrikhallen, mehrere Familien zusammengepfercht in einem Einfamilienhaus, 40 junge Männer in einer vergammelten Pension: Asylheime stoßen auf Widerstand, nicht nur wegen ihrer Lage, sondern auch, weil viele sie als menschenunwürdig empfinden. Und wo die Menschen langfristig unterbringen in Zeiten von Urbanisierung und steigenden Mieten, deretwegen sich selbst einheimische Familien schwertun bei der Wohnungssuche? Das Thema brennt Deutschland auf den Nägeln. Gemeinden können mit Müh und Not reagieren, geschweige denn aktiv agieren. Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) dreht den Spieß um. Unter dem Motto „Making Heimat. Germany, Arrival Country“kuratiert es den Deutschen Pavillon auf der ArchitekturBiennale in Venedig und behandelt die Frage, wie man Heimat schaffen kann im Ankunftsland Deutschland.
Die Not, Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen, lenkt den Blick auf ein Thema, das im prosperierenden Deutschland zu lange vernachlässigt wurde: Wohnen fürs Existenzmini- mum. Um Entscheidungsträgern Ideen zu liefern, hat das DAM unter makingheimat.de eine Datenbank ins Internet gestellt. 35 Projekte sind bislang versammelt; die Plattform soll erweitert werden, Bauverfahren, Materialien und Baukosten inklusive. Kurator Oliver Elser räumt ein, dass nicht alle Bauten vorbildlich sind, betont aber, dass sie einen Eindruck vermitteln von einer neuen Typologie des Bauens. Laubengänge zur Erschließung zum Beispiel, die fast südländischen Charakter haben, Terrassenbauten, die den Naturraum einbeziehen, Holzstatt Kunststoffwände zur Abtrennung in Massenunterkünften. Modulen, die schnell verbaut werden können und eine flexible Nachnutzung ermöglichen, kommt eine wichtige Rolle zu. Viel schlechter als die öde Riegelbebauung, die urbane Neubaugebiete dominiert, sehen die Bauten oft nicht aus, und das bei Kosten von teilweise nur 1000 Euro pro Quadratmeter. Die Frage wird sein, wie sie sich mit den 20 000 Normen im Bausektor vereinbaren lassen, die es laut Gunther Adler, Staatssekretär im Bundesbauministerium, in Deutschland gibt. Immerhin würden diese angesichts explodierender Baukosten auf den Prüfstand gestellt, verspricht er.
Nicht jede Gemeinde ist außerdem an Ästhetik interessiert. Zu schön sollen die Neuankömmlinge nicht wohnen, um keinen Neid zu erzeugen. Umstritten sind daher Sonderbauprogramme. Und ins Bild passt, dass im Raum Augsburg die einzige Attacke gegen Asylheime eine Brandstiftung an schmucken neuen Holzbauten war. Andere Städte, berichtet Peter Schmal, Kommissar des Deutschen Pavillons, hätten ästhetische und günstige Ideen von Architekten abgelehnt. Es wurde hässlicher – und teurer.
Doch gibt es auch Vorzeigeprojekte, so das Augsburger Grandhotel Cosmopolis, in dem Asylbewerber,
Künstler und Hotelgäste unter einem Dach leben und arbeiten. Sein Nachfolgeprojekt ist das Bellevue de Monaco in München. Das Gebäude wurde vor wenigen Tagen übergeben. Dort fand die Pressekonferenz zu „Making Heimat“statt, im Rahmen einer ganzen Veranstaltungsfolge rund um Asyl und Wohnen just in der Stadt, in deren Bahnhof im Sommer tausende Menschen strandeten. Wohnungen für Familien und WGs für junge Flüchtlinge sollen im Bellevue entstehen, aber auch ein Ort der Begegnung mit Vorträgen, Unterricht, Kultur. Ein anderes Augsburger Projekt hat es bis in die Datenbank von „Making Heimat“geschafft: das Café Tür an Tür im Zentrum für interkulturelle Beratung (Zib). Nachbarn, Asylbewerber und Schüler haben eine Buswerkstatt unter Anleitung des Architekten Günther Prechter in ein Café umgebaut. Im Zib finden Migranten Beratung und Sprachkurse, das „Wohnzimmer“ergänzt das Spektrum. Dorthin kommen aber ebenso Angestellte naher Firmen zum Essen und Rotarier zu Treffen.
Solche Selbstbauprojekte sind eine Möglichkeit, Baukosten zu senken und Menschen in Kontakt zu bringen. Sie gelten, wenn sie städtebaulich integriert sind, als Zukunftsthema. Alejandro Aravena, der die Architektur-Biennale kuratiert, stellte in Chile halb fertige Reihenhäuser hin. Sie haben je zwei 36-Quadratmeter-Wohnungen, daneben Konstruktionsrahmen, die die Bewohner in Eigeninitiative ausbauen konnten.
Eine derart informelle Vorgehensweise würde sich in Deutschland schwertun. Doch Ankunftsstädte, so die These, die das DAM aufgestellt hat, müssen informell sein. Was eine Ankunftsregion ausmacht, dieser Frage spürte das Team mit dem Autor Doug Saunders nach, der in seinem Buch „Arrival City“Slums in aller Welt beschrieben hat. Sein Ansatz ist ein provokanter Blickwechsel: Quartieren, in denen Einheimische nicht wohnen möchten, die sie hässlich finden, kommt große Bedeutung für Migranten zu. Sie finden dort günstigen Wohnraum, Jobs und ethnische Netzwerke. „Gettos sind nicht schlecht“ist auch so eine These, die nicht jedem gefallen dürfte. Die „Arrival City“ist demnach eine „Stadt in der Stadt“, wie man sie überall findet. Wichtig ist laut Schmal jedoch, dass die Ankunftsstadt nur vorübergehend Wohnort bleibt und der Aufstieg gelingt. Und das sei in Deutschland schwer. Migranten scheitern hier öfter als anderswo, hat Saunders herausgefunden. Der Regulierungseifer hindere das Erlangen der Staatsbürgerschaft, die Möglichkeit, einen legalen Job zu finden oder ein Gewerbe zu gründen. Es wird also mehr zu überdenken geben als Baunormen.
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