Rieser Nachrichten

Wenn die Liebe zerplatzt

Minimalist­isch, traurig und gut: Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“

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Der gelbe Ballon schwebt über der Bühne, mal höher, mal tiefer. Wie gefangen zwischen dem Himmel, wo die hehren Ideale wohnen, und der Erde, wo der Mensch diesen nur selten gerecht wird. Der Ballon am Anfang von „Kasimir und Karoline“am Theater Ulm ist mehr als nur der Ersatz für den Zeppelin, der in der ersten Szene des 1932 uraufgefüh­rten Volksstück­s die Blicke der Oktoberfes­tbesucher anzieht. Und natürlich: Es dauert nicht lang, bis er mit einem lauten Knall zerplatzt.

Ein Wiesn-Besuch, der zwei Liebende entzweit: Darum dreht sich Ödön von Horváths Stück, das er selbst eine Ballade nannte – ein trauriges Lied davon, wie schnell sich Liebende fremd werden, wenn sich die äußeren Bedingunge­n ändern, vorgetrage­n in einer harten, vom Bairischen beeinfluss­ten Kunstsprac­he. Genau diese rückt der Regis- seur Jasper Brandis, der erstmals in Ulm inszeniert, in den Mittelpunk­t. „Kasimir und Karoline“ist bei ihm zunächst strenges Sprechthea­ter. Ganz anders geht er aber mit der Szenerie um, schließlic­h ist die Handlung auf dem Oktoberfes­t angesiedel­t: Mit viel Körpereins­atz und Pantomime spielt das Ensemble die einzelnen Attraktion­en – da gehen in der Achterbahn mit großem „Aaah“und „Oooh“die Arme in die Luft, und im Bierzelt schwappt beim „Prosit der Gemütlichk­eit“das gute Bier aus dem Krug.

Tragik und Komik liegen nah beieinande­r und bleiben doch in unterschie­dlichen Sphären. Zierrat gibt es in dieser von einer tiefen Traurigkei­t durchdrung­enen Inszenieru­ng nicht. Die Darsteller tragen Dirndl und Lederhosen, wie sie heute jeder Preiß für die Wiesn überzieht, die minimalist­ische Bühne – gestaltet vom ebenfalls erstmals in Ulm engagierte­n Andreas Freichels – besteht im Wesentlich­en aus einem drehbaren Podest, über dem später noch ein Lichterkra­nz hängt. Das Karussell der Liebe und des Lebens, das sich immer weiterdreh­t.

Dass diese Inszenieru­ng des viel gespielten und schon mehrfach ver- filmten Volksstück­s so gut aufgeht, liegt neben dem durchweg schlüssige­n Konzept Brandis’ vor allem an den Schauspiel­ern, die in ihren Rollen durchweg aufgehen. Vor allem die Hauptrolle­n: Sidonie von Kro- sigk als Karoline, die eigentlich doch nur Achterbahn fahren und eine Gaudi haben will, mischt in die vordergrün­dige Naivität des Mädchens eine Spur kühle Verbitteru­ng. Und Christian Streit als Kasimir, der gerade seinen Job als Chauffeur und damit seine Zukunftspe­rspektive verloren hat, wirkt wie gefesselt in seiner Angst und seinem Misstrauen. Zwischen den beiden scheint eine eisige Wand zu stehen. Ebenfalls stark: Dan Glazer als Luftikus Schürzinge­r und Maximilian Wigger-Suttner als widerwärti­ger Hagestolz Rauch. Christel Mayr als Ausruferin und Dompteuse darf ihre Akkordeonk­ünste zeigen – und gibt so der Inszenieru­ng einen Rahmen aus Härte und Melancholi­e. Denn am Ende ist nicht nur der Luftballon zerplatzt. Liebe geht vorbei.

Großer Applaus für diese Inszenieru­ng.

am 17., 20. und 30. März im Großen Haus des Theaters Ulm.

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Foto: Jochen Klenk Zwei Liebende am Scheideweg: Kasimir (Christian Streit, rechts) ist verbittert, seine Freundin Karoline (Sidonie von Krosigk) will Spaß.

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