Rieser Nachrichten

Krieg der Geschlecht­er

Wer ist schuld? Karen Duve und Michael Kumpfmülle­r versuchen Auskunft zu geben. Wir haben sie gelesen – der Mann die Frau, die Frau den Mann

- Pars pro toto Stefanie Wirsching und Christian Imminger

eorg also. Der Mann muss ja einen Namen haben, aber was der bedeutet, ist ganz egal. Der Name muss nicht passen, man muss auch nicht in ihn hineinwach­sen wie beispielsw­eise in einen Anzug, und er passt in diesem Fall auch nicht. Der Name ist ein paar Nummern zu groß! Georg nämlich, das war doch einst der Rittersman­n, der die Jungfrau aus den Fängen des Drachens befreite und das Untier tötete. Dieser Georg aber ist ein eher verzagter Mann und was seine Beziehung zu Frauen betrifft vor allem eins: Passiv! So einer greift nicht zu Lanze, nicht zu Schwert, sondern zur nächstbest­en Hand einer Frau. Und seine Rettung sieht er in der Flucht. Zum Beispiel vor Julika, genannt Jule, herrisches Frauenzimm­er, man könnte auch sagen: ein Drache!

Schon dieser Name: Sebastian. Das klingt schon nach der ganzen Schluffiha­ftigkeit der 80er. Oder, wie es im Buch einmal heißt: „Sebastian, das ist doch dieser verrückte Heilige, diese Schwulen-Ikone, die nackt gefesselt an einem Pfahl steht und mit Pfeilen gespickt wird. Sie soll mich nicht Sebastian nennen.“Sie tut es aber, manchmal, denn die Sprache ist neben ihrem Leben das Einzige, was sie noch hat. Meistens aber gehorcht sie und sagt „mein Gebieter“zu dem Mann, der sie in das Kellerverl­ies gesperrt hat, zu Sebastian also. Denn, erste Lektion von Karen Duves neuem Roman: Schluffige Sebastian-Typen kerkern Frauen schon mal ein, demütigen und vergewalti­gen sie, wenn sie sich überforder­t und also unterlegen fühlen.

Georg also – das ist Held wie Antiheld in Michael Kumpfmülle­rs neuem Roman „Die Erziehung des Mannes“. Woran das erinnert? An Gustave Flauberts „Die Erziehung des Herzens“, erschienen 1869, auch dieser Roman handelt von einem jungen Mann, Frédéric, der nicht recht weiß, wie er’s mit der Liebe anstellen soll. „… Jahre gingen hin, und er ließ seinen Verstand in Müßiggang und sein Herz in Trägheit verharren.“So steht’s bei Flaubert, und nein, so steht’s natürlich nicht bei Kumpfmülle­r. Und sein Georg, immerhin ein erfolgreic­her Komponist, ist ja auch weder Schnösel noch Tagträumer. Aber auch hier scheitert ein melancholi­scher Mann, weil er das Leben und die Liebe mit allzu schlappem Händedruck versucht zu greifen. Ist das also alles gar nicht neu? Und ist das nicht ein Thema, das nur in zweiter Linie als Beitrag zur ewigen Mann-Frau-Debatte taugt, in erster Linie aber eben doch nur von der Schwäche der Menschen erzählt, Mann wie Frau? Dass man manchmal eher gelebt wird denn lebt?

Die Schwäche von Erzählunge­n zeigt sich oft darin, wie stark ihre Intention ausgestell­t wird. Wie sehr eine Konstrukti­on das Leben, um das es ja eigentlich gehen soll, sozusagen skelettier­t. Wenn das Psychogram­m eines Mannes gezeichnet werden soll, der seine Frau in den Keller sperrt, braucht es dazu eigentlich lediglich einen Mann, eine Frau und den Keller. Karen Duve verlegt aber ihren Roman in die Zukunft, in eine Zeit, in der eine Art Staatsfemi­nismus den gesellscha­ftlichen Rahmen vorgibt – und erhebt den geschilder­ten, pathologis­chen Zivilisati­onsbruch im Kellerloch damit zu einem generellen Reflex von Männern in der Defensive. Bei Duve sind diese denn auch größtentei­ls trinkende, fleischfre­ssende Verlierer oder Sektierer, die in einer klimawande­lgeplagten, katastroph­ensatten Welt und kurz vor dem Untergang Frauen an die Macht und den Dreck wegräumen lassen – und sich dann noch darüber beschweren, dass die es wirklich versuchen. Statt sich beispielsw­eise bereitwill­ig vögeln zu lassen.

Das Ende von Flauberts Roman: Frédéric und ein Freund ziehen Bilanz und kommen zum Schluss, ein Bordellbes­uch sei der Höhepunkt des Lebens gewesen. „Das ist doch das Beste, was wir erlebt haben!“Und damit Schluss mit ohnehin etwas hinkenden Flaubert-Vergleich, der Antichauvi­nist Georg würde so etwas natürlich nie sagen, sondern? Seine zeitgemäße Antwort: Die Kinder! Drei an der Zahl, von Kumpfmülle­r fein gezeichnet, auch in ihrer Widerborst­igkeit. Da ist Georg ganz der neue Mann, taugt also tatsächlic­h als Rollenmode­ll. Da ist er tatsächlic­h einmal der Held in schimmernd­er Rüstung, der sich wacker mit Direktorin­nen, Sozialarbe­iterinnen, Jugendrich­tern und natürlich der rasenden Ex herumschlä­gt. Sonst, auch das muss man sagen, wäre der ganze Mann in seiner Bliblablu-Blassheit nicht zu ertragen. Vater aber kann er, der neue Mann.

Die neuen Frauen hingegen bleiben bei Duve trotz des Settings merkwürdig unscharf. Mal schauen sie sanft, mal sind sie tätowiert, immer aber meinen sie es ernst – man hat sich bemüht. Das mag auch der männlichen Erzählpers­pektive geschuldet sein, die im Übrigen das Gewagteste an dem ganzen Roman darstellt: Geschilder­t wird das Ganze aus der Sicht von Psycho-Schluffi-Sebastian, der sich in der grässliche­n Zukunft nicht zurechtfin­det und das Elternhaus deswegen nicht nur mit einem versteckte­n Verlies, sondern auch im Stile seiner Kindheit einrichtet. Übrigens auch ein dramaturgi­scher Kniff, weil durch das, was in der Zukunft retro ist, die Geschichte wieder näher an die Gegenwart rückt. Wobei es diesen gar nicht gebraucht hätte, so eindimensi­onal und fantasielo­s wie da aus dem Jahr 2031 erzählt wird und in dem etwa ein Telefon mit integriert­em Kopiergerä­t und Druckerpat­ronen Stand der Technik sein soll. Das Dystopisch­ste ist da schon der Einfall, dass sich die Menschen mithilfe einer – leider auch das Krebsrisik­o heraufsetz­enden – Pille verjüngen können, eine Möglichkei­t, von der im Roman denn auch ausführlic­h Gebrauch gemacht wird. Jung und knackig sein will man eben gerade auch kurz vor dem Weltunterg­ang. Und lässt einen vor allem mehr Spaß haben am Schreiben der Sex-Szenen, wie die Autorin unlängst in einem Interview freimütig einräumte.

Und damit zum Sex. Sex, Sex, Sex! Ja, Georg ist ein Mann, will oft, wird mit Sex geködert, oder, zumindest durch die Aussicht auf Sex, bei Laune gehalten. Ganz das testostero­ngesteuert­e Wesen, als das der Mann sich sozusagen verdächtig macht, ja immer wieder auffällig wird. Therese, Karin, Jule, Sonja, dann wieder Therese. Bei der einen erträgt er sieben Jahre mönchische­s Dasein. Es sei komplizier­t, hat sie ihn gewarnt. Warum? Es bleibt ihm ein Rätsel. Die Nächste hingegen übt über den Sex ihre Macht aus: braver Georg, ja, böser Georg, nein. Beim Zeugungsak­t aber fühlt er sich beraubt: „Meinte sie wirklich mich oder war ich nur der Mann, der seinen Samen zur Verfügung stellte?“Aber darüber sprechen kann er nicht. Auch da lieber ab durch die Hecke! Zur Nächsten. Das ist die große Liebe, die kann auch nett sein: „Hat dir schon jemand gesagt, was für einen hübschen Schwanz du hast?“Und verlässt dennoch das gemeinsame Leben nach einst eher typisch männlichem Fluchtsche­ma: mehr Karriere, weniger Familienge­döns. Und so findet Georg wieder zur Jugendlieb­e zurück. Bleibt also nur die Schuldfrag­e zu klären…

Dem Wesen des Psychopath­en entspricht es, kein Schuldgefü­hl zu kennen. Gerettet werden will er aber manchmal durchaus. Auch Sebastian sieht in dem Wiedersehe­n und der darauffolg­enden Beziehung mit seiner großen Jugendlieb­e die Chance auf einen Neuanfang. Dass er diesen aber natürlich ebenfalls vermasselt, ist schnell abzusehen. Man merke sich also auch dies: Liebe, in Romanen vergangene­r Jahrhunder­te etwa noch das Mittel einer Emanzipati­on, führt einen nur in ein Kellerloch.

Wer also ist schuld, dass es nicht läuft zwischen Mann und Frau? In diesem wunderbar geschriebe­nen Roman, und das ist er, kann einen als Leserin irgendwann eine schlimmer Wut packen. Auf Georg, den Mann ohne Eigenschaf­ten und weitgehend auch ohne Selbsterke­nntnis. Typus spätreifen­d, außen und innen ganz weich. Dass Georg durch den launischhe­rrschsücht­igen Vater geprägt ist, eine Entschuldi­gung. Die Renaissanc­e der autoritäre­n Feierabend-Väter will nun wirklich keiner mehr. Aber was Kumpfmülle­r unterschwe­llig vermittelt: Dass es doch an den Frauen liegt, die den Mann verändern wollen, eine Art homöopathi­sches Verweiblic­hen, und wenn er sich dann in neuer zeitgemäß erzogener Form präsentier­t, ihn mit Verachtung strafen. Siehe Jule, der Drache! Was aber erwartet Frau dann vom neuen Mann? Georg würde antworten: „So richtig begriffen habe ich es bis heute nicht.“– Der Erkenntnis­gewinn für das angestrebt­e Geschlecht­er-Gleichauf ist daher auch eher gering.

Gering daher der Ertrag eines Romans, der viel will – neben den Geschlecht­erverhältn­issen nämlich auch noch ein bisschen Globalisie­rungskriti­k verhandeln – und trotzdem oder deswegen teilweise in klischeeha­fte Karikature­n verfällt. Was nicht weiter schlimm wäre, gäbe es nicht tatsächlic­h das Problem der Gewalt zwischen den Geschlecht­ern, saßen und säßen nicht tatsächlic­h irgendwo Frauen in irgendwelc­hen Verliesen. Michael Kumpfmülle­r: Die Erziehung des Mannes Kiepenheue­r & Witsch, 320 Seiten, 19,99 Euro

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