Krieg der Geschlechter
Wer ist schuld? Karen Duve und Michael Kumpfmüller versuchen Auskunft zu geben. Wir haben sie gelesen – der Mann die Frau, die Frau den Mann
eorg also. Der Mann muss ja einen Namen haben, aber was der bedeutet, ist ganz egal. Der Name muss nicht passen, man muss auch nicht in ihn hineinwachsen wie beispielsweise in einen Anzug, und er passt in diesem Fall auch nicht. Der Name ist ein paar Nummern zu groß! Georg nämlich, das war doch einst der Rittersmann, der die Jungfrau aus den Fängen des Drachens befreite und das Untier tötete. Dieser Georg aber ist ein eher verzagter Mann und was seine Beziehung zu Frauen betrifft vor allem eins: Passiv! So einer greift nicht zu Lanze, nicht zu Schwert, sondern zur nächstbesten Hand einer Frau. Und seine Rettung sieht er in der Flucht. Zum Beispiel vor Julika, genannt Jule, herrisches Frauenzimmer, man könnte auch sagen: ein Drache!
Schon dieser Name: Sebastian. Das klingt schon nach der ganzen Schluffihaftigkeit der 80er. Oder, wie es im Buch einmal heißt: „Sebastian, das ist doch dieser verrückte Heilige, diese Schwulen-Ikone, die nackt gefesselt an einem Pfahl steht und mit Pfeilen gespickt wird. Sie soll mich nicht Sebastian nennen.“Sie tut es aber, manchmal, denn die Sprache ist neben ihrem Leben das Einzige, was sie noch hat. Meistens aber gehorcht sie und sagt „mein Gebieter“zu dem Mann, der sie in das Kellerverlies gesperrt hat, zu Sebastian also. Denn, erste Lektion von Karen Duves neuem Roman: Schluffige Sebastian-Typen kerkern Frauen schon mal ein, demütigen und vergewaltigen sie, wenn sie sich überfordert und also unterlegen fühlen.
Georg also – das ist Held wie Antiheld in Michael Kumpfmüllers neuem Roman „Die Erziehung des Mannes“. Woran das erinnert? An Gustave Flauberts „Die Erziehung des Herzens“, erschienen 1869, auch dieser Roman handelt von einem jungen Mann, Frédéric, der nicht recht weiß, wie er’s mit der Liebe anstellen soll. „… Jahre gingen hin, und er ließ seinen Verstand in Müßiggang und sein Herz in Trägheit verharren.“So steht’s bei Flaubert, und nein, so steht’s natürlich nicht bei Kumpfmüller. Und sein Georg, immerhin ein erfolgreicher Komponist, ist ja auch weder Schnösel noch Tagträumer. Aber auch hier scheitert ein melancholischer Mann, weil er das Leben und die Liebe mit allzu schlappem Händedruck versucht zu greifen. Ist das also alles gar nicht neu? Und ist das nicht ein Thema, das nur in zweiter Linie als Beitrag zur ewigen Mann-Frau-Debatte taugt, in erster Linie aber eben doch nur von der Schwäche der Menschen erzählt, Mann wie Frau? Dass man manchmal eher gelebt wird denn lebt?
Die Schwäche von Erzählungen zeigt sich oft darin, wie stark ihre Intention ausgestellt wird. Wie sehr eine Konstruktion das Leben, um das es ja eigentlich gehen soll, sozusagen skelettiert. Wenn das Psychogramm eines Mannes gezeichnet werden soll, der seine Frau in den Keller sperrt, braucht es dazu eigentlich lediglich einen Mann, eine Frau und den Keller. Karen Duve verlegt aber ihren Roman in die Zukunft, in eine Zeit, in der eine Art Staatsfeminismus den gesellschaftlichen Rahmen vorgibt – und erhebt den geschilderten, pathologischen Zivilisationsbruch im Kellerloch damit zu einem generellen Reflex von Männern in der Defensive. Bei Duve sind diese denn auch größtenteils trinkende, fleischfressende Verlierer oder Sektierer, die in einer klimawandelgeplagten, katastrophensatten Welt und kurz vor dem Untergang Frauen an die Macht und den Dreck wegräumen lassen – und sich dann noch darüber beschweren, dass die es wirklich versuchen. Statt sich beispielsweise bereitwillig vögeln zu lassen.
Das Ende von Flauberts Roman: Frédéric und ein Freund ziehen Bilanz und kommen zum Schluss, ein Bordellbesuch sei der Höhepunkt des Lebens gewesen. „Das ist doch das Beste, was wir erlebt haben!“Und damit Schluss mit ohnehin etwas hinkenden Flaubert-Vergleich, der Antichauvinist Georg würde so etwas natürlich nie sagen, sondern? Seine zeitgemäße Antwort: Die Kinder! Drei an der Zahl, von Kumpfmüller fein gezeichnet, auch in ihrer Widerborstigkeit. Da ist Georg ganz der neue Mann, taugt also tatsächlich als Rollenmodell. Da ist er tatsächlich einmal der Held in schimmernder Rüstung, der sich wacker mit Direktorinnen, Sozialarbeiterinnen, Jugendrichtern und natürlich der rasenden Ex herumschlägt. Sonst, auch das muss man sagen, wäre der ganze Mann in seiner Bliblablu-Blassheit nicht zu ertragen. Vater aber kann er, der neue Mann.
Die neuen Frauen hingegen bleiben bei Duve trotz des Settings merkwürdig unscharf. Mal schauen sie sanft, mal sind sie tätowiert, immer aber meinen sie es ernst – man hat sich bemüht. Das mag auch der männlichen Erzählperspektive geschuldet sein, die im Übrigen das Gewagteste an dem ganzen Roman darstellt: Geschildert wird das Ganze aus der Sicht von Psycho-Schluffi-Sebastian, der sich in der grässlichen Zukunft nicht zurechtfindet und das Elternhaus deswegen nicht nur mit einem versteckten Verlies, sondern auch im Stile seiner Kindheit einrichtet. Übrigens auch ein dramaturgischer Kniff, weil durch das, was in der Zukunft retro ist, die Geschichte wieder näher an die Gegenwart rückt. Wobei es diesen gar nicht gebraucht hätte, so eindimensional und fantasielos wie da aus dem Jahr 2031 erzählt wird und in dem etwa ein Telefon mit integriertem Kopiergerät und Druckerpatronen Stand der Technik sein soll. Das Dystopischste ist da schon der Einfall, dass sich die Menschen mithilfe einer – leider auch das Krebsrisiko heraufsetzenden – Pille verjüngen können, eine Möglichkeit, von der im Roman denn auch ausführlich Gebrauch gemacht wird. Jung und knackig sein will man eben gerade auch kurz vor dem Weltuntergang. Und lässt einen vor allem mehr Spaß haben am Schreiben der Sex-Szenen, wie die Autorin unlängst in einem Interview freimütig einräumte.
Und damit zum Sex. Sex, Sex, Sex! Ja, Georg ist ein Mann, will oft, wird mit Sex geködert, oder, zumindest durch die Aussicht auf Sex, bei Laune gehalten. Ganz das testosterongesteuerte Wesen, als das der Mann sich sozusagen verdächtig macht, ja immer wieder auffällig wird. Therese, Karin, Jule, Sonja, dann wieder Therese. Bei der einen erträgt er sieben Jahre mönchisches Dasein. Es sei kompliziert, hat sie ihn gewarnt. Warum? Es bleibt ihm ein Rätsel. Die Nächste hingegen übt über den Sex ihre Macht aus: braver Georg, ja, böser Georg, nein. Beim Zeugungsakt aber fühlt er sich beraubt: „Meinte sie wirklich mich oder war ich nur der Mann, der seinen Samen zur Verfügung stellte?“Aber darüber sprechen kann er nicht. Auch da lieber ab durch die Hecke! Zur Nächsten. Das ist die große Liebe, die kann auch nett sein: „Hat dir schon jemand gesagt, was für einen hübschen Schwanz du hast?“Und verlässt dennoch das gemeinsame Leben nach einst eher typisch männlichem Fluchtschema: mehr Karriere, weniger Familiengedöns. Und so findet Georg wieder zur Jugendliebe zurück. Bleibt also nur die Schuldfrage zu klären…
Dem Wesen des Psychopathen entspricht es, kein Schuldgefühl zu kennen. Gerettet werden will er aber manchmal durchaus. Auch Sebastian sieht in dem Wiedersehen und der darauffolgenden Beziehung mit seiner großen Jugendliebe die Chance auf einen Neuanfang. Dass er diesen aber natürlich ebenfalls vermasselt, ist schnell abzusehen. Man merke sich also auch dies: Liebe, in Romanen vergangener Jahrhunderte etwa noch das Mittel einer Emanzipation, führt einen nur in ein Kellerloch.
Wer also ist schuld, dass es nicht läuft zwischen Mann und Frau? In diesem wunderbar geschriebenen Roman, und das ist er, kann einen als Leserin irgendwann eine schlimmer Wut packen. Auf Georg, den Mann ohne Eigenschaften und weitgehend auch ohne Selbsterkenntnis. Typus spätreifend, außen und innen ganz weich. Dass Georg durch den launischherrschsüchtigen Vater geprägt ist, eine Entschuldigung. Die Renaissance der autoritären Feierabend-Väter will nun wirklich keiner mehr. Aber was Kumpfmüller unterschwellig vermittelt: Dass es doch an den Frauen liegt, die den Mann verändern wollen, eine Art homöopathisches Verweiblichen, und wenn er sich dann in neuer zeitgemäß erzogener Form präsentiert, ihn mit Verachtung strafen. Siehe Jule, der Drache! Was aber erwartet Frau dann vom neuen Mann? Georg würde antworten: „So richtig begriffen habe ich es bis heute nicht.“– Der Erkenntnisgewinn für das angestrebte Geschlechter-Gleichauf ist daher auch eher gering.
Gering daher der Ertrag eines Romans, der viel will – neben den Geschlechterverhältnissen nämlich auch noch ein bisschen Globalisierungskritik verhandeln – und trotzdem oder deswegen teilweise in klischeehafte Karikaturen verfällt. Was nicht weiter schlimm wäre, gäbe es nicht tatsächlich das Problem der Gewalt zwischen den Geschlechtern, saßen und säßen nicht tatsächlich irgendwo Frauen in irgendwelchen Verliesen. Michael Kumpfmüller: Die Erziehung des Mannes Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 19,99 Euro