Liebe, Leid und Leselust
Zu Herzen, zur Freiheit: Die Erfolgsgeschichte des Romans ist weiblich. Jetzt beschreibt ein Mann die „Generation Beziehungsunfähig“– und tausende Frauen feiern ihn. In Gleichheit, ins Unglück?
Michael Nast beim obligatorischen Abschlussbild mit jubelndem Publikum
im Rücken – weiblich, jung, ledig – bei einer seiner vielen ausverkauften Le
sungen.
Die Mehrheit ist nicht nur absolut, sondern geradezu überwältigend. Deutlich mehr als 80 Prozent aller Romane werden von Frauen gelesen. Und das liegt nicht an aktuellen Entwicklungen, das ist eigentlich immer schon so. Denn in der weiblichen Leselust liegt eine ganz eigene Verbindung zwischen den Geschichten und der Geschichte, dem lebendig Geschriebenen und dem gesellschaftlichen Leben: Die Leserinnen haben dem Roman seine Bedeutung verliehen – weil der Roman auch Bedeutung für seine Leserinnen hatte. Und das hat dann auch sehr viel mit Männern zu tun…
Aber zum großen Bogen später. Jetzt erst mal Beeilung, um den neusten Trend nicht zu verpassen.
Ortstermin in München. Es ist ein kalter Abend am Rand des Olympiaparks, durch den Jogger keuchen, Frau mit Frau, Mann, Mann mit Mann mit Frau, Mann, Frau mit Mann, Frau. In der Dunkelheit leuchtet wie eine romantische Erscheinung, teils farbig bestrahlt, ein weißes Schloss. Und es heißt auch so: Das Schloss. Ein fest installiertes Veranstaltungszelt, in dem heute der neue Shootingstar in Geschlechterfragen auftritt.
Er heißt Michael Nast, kommt aus Berlin, wird am Ende dieses Abends 41 Jahre alt und hat bereits das Buch „Ist das Liebe, oder kann das weg?“veröffentlicht. Vor allem aber hat er vor nun bald einem Jahr einen neuen Blog-Beitrag im Internet veröffentlicht mit der Überschrift „Generation Beziehungsunfähig“. Und der wurde dann innerhalb von nur einer Woche eine Million Mal gelesen. An diesem Abend in München kann Nast verkünden, dass es inzwischen fast vier Millionen sind, dass das Taschenbuch, das er jetzt unter dem gleichen Titel vorstellt, bereits in der ersten Woche in die vierte Auflage geht und eben Platz eins der Sachbuch-Bestsellerliste geentert hat.
Das Schloss ist wie alle anderen bisherigen Stationen seiner Lesetournee längst ausverkauft. Und auch bei den rund 600 unter künstlichen Kristallleuchtern eng Gedrängten in München liegt die Frauenquote: bei deutlich mehr als 80 Prozent. Sie sind fast ausnahmslos zwischen Anfang 20 und Anfang 30 – und sie jubeln, als Michael Nast, ein wohl adrett, aber so gar nicht glamourös, berufsjugendlich wir- kender Mann mit gepflegtem Vollbart, auf die Bühne tritt. Und der kokettiert gleich mal mit einer Anekdote von der Fahrt hierher, als der Taxifahrer ihn gefragt habe, was denn da heute sei, im Schloss: „Ich.“Und womit? „Generation Beziehungsunfähig“. Da habe der Taxifahrer geantwortet, er könne in einem Satz beantworten, wo das Problem heutzutage liege: „Die Frauen sind schuld.“Lachen im Schloss.
Aber da sagt er was, der Nast. Denn im großen Bogen findet diese Sichtweise sehr wohl seinen Platz, längst nicht nur unter Taxifahrern. „Frauen, die lesen, sind gefährlich“– so hat es der Autor Stefan Bollmann in einem feinen Bildband vor fünf Jahren mal nicht weniger kokett formuliert und dabei reichlich Indizien zusammengetragen. Bis weit ins 17. Jahrhundert hinein war das einzig etwa auf Gemälden vorstellbare Buch in Damenhänden die Bibel. Aber gerade die Leserinnen waren es, die dem Romans dann im 18. Jahrhundert seinen breiten Siegeszug ermöglichten.
Mochte Daniel Defoes mit „Robinson Crusoe“noch ein vielleicht männliches Abenteuer vorgelegt haben – Samuel Richardson begründete bereits 1740 mit „Pamela“, das, was man später „empfindsame Literatur“nennen sollte, in dem ein tugendsames Dienstmädchen noch ihren tyrannischen Herrn zur Liebe bekehrt. In Rousseaus „Julie“wur- de die Erziehung des Herzens schon gesellschaftlich umstürzlerischer – und wer an all die dann folgenden weiblichen Identifikationsfiguren etwa bei Jane Austen denkt, aber auch an „Anna Karenina“über „Jan Eyre“bis zu „Madame Bovary“, der weiß, was hier Botschaft wurde. Zu Herzen, zur Freiheit: Es war durch Liebe und Leid ein Emanzipationsprogramm, zur eigenen Wahl, zur eigenen Rolle, zum eigenen Leben. Und die Herren fürchteten diese Aufklärung freilich, eine Vernachlässigung der weiblichen Pflichten, den Entzug aus ihrer Kontrolle, ihrer Vorherrschaft. Wenn die Ordnung zerfiele, wäre das: die Schuld der Frauen. Und dieser Romane…
Michael Nast hat keinen Roman geschrieben, aber eigentlich auch kein Sachbuch, und vor allem keinen Ratgeber. Im Ton aktueller Literatur verfasst er Ich-Erzählungen über die Probleme des Lebens und Liebens – und zwar fürs Internet, das heutige Massenmedium der Selbstaufklärung. Rousseau 2.0. Oder so. Dazu gehört angesichts des Fitnesswahns auch das ewige Scheitern am Vorsatz „endlich mal wieder was für meinen Körper zu tun“; und „die Nahtoderfahrung“, wenn der Browser des Smartphones dauerhaft meldet: „Es konnte keine Verbindung zum Internet hergestellt werden.“Im Kern aber steht sein Befund einer „Generation Beziehungsunfähig“, den ihm bereits Frauen und Männer von 16 bis 60 Jahren bestätigt hätten und der ihn nun zum Bestsellerautor und zum Kolumnisten des Magazins hat werden lassen. Er beschreibt die Züge einer Zeit, die, während die Eltern noch gemeinsam etwas aufgebaut haben, Frau und Mann in ein neues Problemverhältnis setzt: Jeder arbeitet für sich am Projekt Selbstinszenierung und Selbstoptimierung, und die Paarungsmöglichkeiten erscheinen durch Kennen- lern-Plattformen im Netz unbegrenzt – so bleibt alles vorläufig, und es gilt das Leistungsprinzip des immer Mehr und immer Besser.
Zeitgeistgemäß ist es irgendwie auch ironisch unterfüttert, wenn Nast das mit der pathologischen Störung der Beziehungsunfähigkeit vergleicht. Aber die Merkmale seien doch erfüllt. Wir sind: gesellig, aber letztlich ungreifbar; wirklichkeitsentfremdet durch den Traum vom Idealen; kompromissunfähig durch Überbewertung der eigenen Entfaltung. Wenn die Damen also einst mit der Unfreiheit Anna Kareninas gelitten haben, die durch ihre Liebe aus der Gesellschaft gefallen ist – heute nicken die Frauen einsichtig, weil die Probleme ihrer Freiheit in der Liebe die Gesellschaft spiegeln. Denn das ist der Befund des Autors: Schuld ist der Kapitalismus. „Wir sind beschädigte Ware, weil die Gesellschaft, in die wir hineingewachsen sind, uns geformt hat… Wir wenden betriebswirtschaftliche Prinzipien auf unser Privatleben an… Unsere Unzufriedenheit ist das Fundament, auf dem unser auf endloses Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem beruht…“
Ein (Liebes-)Leben also, das sich im Markt der Möglichkeiten nur um sich selbst dreht. Nur, so schreibt Nast: „Wer sich nur auf sich selbst beschränkt, der verpasst auch alles andere.“Und das bedeute gerade „den Verlust der Beziehung zu uns selbst“. Aber, so schließt er doch in bester aufklärerischer Manier: zur Heilung der Krankheit gäbe es „die Anfänge. Sie liegen in uns. Und mit ihnen beginnt die Veränderung.“Nachdenkliches Schweigen herrscht da im Schloss, Rührung, wo eben noch Heiterkeit über Sexgeschichten geherrscht hat. Dann tost der Applaus der jungen Frauen los.
Aber ist das vergleichbar mit den Dramen der Damen in den großen Romanen? Die mitunter ja nur noch den letzten Ausweg sahen, den Selbstmord? Nein, „Luxusprobleme“seien das heute eigentlich, sagt Michael Nast. Und doch herrscht heiliger Ernst, wenn es wirklich um die Liebe geht. Wenn der Autor von der falsch verstandenen Freiheit zu allem Möglichen spricht – und der wahren Freiheit, sich für etwas zu entscheiden, für jemanden. Dann ist nichts mehr übrig von der Ironie. Und von der Unterhaltsamkeit, mit der auch der Markt der heutigen „Frauenromane“durchzogen ist: ausgehend von der „Chic-Lit“aus den USA mit Rennern wie „Sex and the City“, aber auch mit Kerstin Gier, Jojo Moyes, Charlotte Roche, und mit „Fifty Shades of Grey“…
Denn bei all der in der Geschichte des Romans erreichten Gleichheit der Geschlechter hat sich die Frage der Freiheit nämlich nur verkehrt und verschärft. Liebe ist nicht die Antwort. Liebe ist die Frage nach Reife. Und das Bekenntnis des Michael Nast sagt: An der Beziehungsunfähigkeit sind vor allem auch die Männer schuld. Da applaudieren die Leserinnen. Michael Nast: Generation Beziehungsunfähig. Edel, 240 S., 14,95 ¤