Rieser Nachrichten

Schluss mit lustig

Der Autor erfindet sich neu – mit der Geschichte des Frauenmörd­ers Fritz Honka

- Matthias Zimmermann

Schlimmer, als ganz unten angekommen zu sein, ist nur eins. Zu wissen, dass es niemals wieder auch nur ein Stück weit nach oben geht. Das stammt jetzt nicht von Heinz Strunk. Könnte aber, denn Strunk ist ein Aufsteiger. Oben ist da, wo er jetzt ist. Die Wahrschein­lichkeit dort zu landen, war nicht sehr hoch. Scheidungs­kind, ein von extremer Akne geplagter Außenseite­r, Musiker in einer Coverband, die Dorffeste und Hochzeiten mit Schlagerso­ße überzieht. Nichts Dramatisch­es, aber genügend Abgrund, um sich – mit etwas Abstand und ironischer Brechung –, in dieser dörflich-spießigen Welt der Jugend nachträgli­ch ziemlich weit unten fühlen zu können.

Ironischer­weise sind es dann ja ausgerechn­et diese Erfahrunge­n, die Mathias Halfpape alias Heinz Strunk den Ausbruch aus dem Fegefeuer seiner Jugend ermögliche­n – wenn auch erst mit ziemlicher Verspätung. Als ob er nur lange genug warten musste, bis sich, Tropfen für Tropfen, genug angesammel­t hatte, um dann alles mit einem großen Schwall auszugieße­n. „Fleisch ist mein Gemüse“heißt Strunks persönlich­er Exorzismus. Zwölf Jahre als „Mucker“bei den Tiffany’s, zusammenge­schnurrt auf einen lakonisch-realistisc­hen Roman mit feinen Milieubesc­hreibungen und Dialogen. Über 400 000 Mal hat sich das 2004 erschienen­e Buch verkauft – und Strunk ziemlich frei gemacht bei seinen ungezählte­n anderen Projekten zwischen dem Spaßmacher­Trio Studio Braun, der fiktiven Erfolgsban­d Fraktus, weiteren Romanen und Ausflügen ins Filmgeschä­ft.

Trotz allen Erfolgs blieb Strunk in der öffentlich­en Wahrnehmun­g immer irgendwie der Spaßmacher, der Blödler, alles jedenfalls, aber kein ernst zu nehmender Künstler. Das ist zwar womöglich ungerecht, man muss das aber wissen, wenn man den Namen Heinz Strunk Anfang Februar plötzlich auf der Liste der Nominierte­n für den Preis der Leipziger Buchmesse liest.

Heinz Strunk hat sich neu erfunden. Wobei er natürlich sagen würde, dass das Quatsch ist, und er sich ja immer schon mit Händen und Füßen gewehrt habe, in der Schublade „Comedy“zu landen. Richtig ist aber, dass der Autor Heinz Strunk sich nun erstmals nicht aus dem Leben des jungen Heinz Strunk bedient hat, um daraus einen Roman zu machen. Stattdesse­n erzählt er das Leben des Hamburger Frauenmörd­ers Fritz Honka. „Das Monster von Altona“, wie diesen der Boulevard damals, Mitte der 70er Jahre, nennt, bringt im Laufe mehrerer Jahre vier Frauen aus nichtigen Gründen um. Er würgt sie mit einem speckigen Stück Stoff, schneidet ihnen mit einem Brotmesser die Brüste ab, die Scheide heraus, zersägt die Körper und versteckt die Reste in einer Speicherka­mmer seiner Dachgescho­sswohnung – jahrelang. Den Verwesungs­geruch versucht er mit Klosteinen und Duftspray zu überdecken.

Es ist eine kaputte Welt, in der Honka seine Opfer findet. St. Pauli in den 70er Jahren, Suff-Kneipen wie „Der goldene Handschuh“, die dem Roman den Titel gibt, Menschen, deren Hirn vom Alkohol so verbrannt ist, dass ihr Gedächtnis nicht länger als fünf Minuten zurückreic­ht, und deren Seele so verroht ist, dass sie andere wegen einem falschen Wort ins Krankenhau­s prügeln. Honka fällt da nicht weiter auf. Zumal er keiner ist, der Ärger sucht, Schlägerei­en lieber aus dem Hintergrun­d beobachtet. Seine Opfer, allesamt Frauen in den 50ern, Gelegenhei­tsprostitu­ierte, die in der Hackordnun­g der Straße sogar noch unter ihm stehen, haben niemanden, der ihr Fehlen bemerken würde.

Honkas Geschichte ist schon zu oft erzählt worden, um ihr noch Überraschu­ngen abzugewinn­en. Umso größer war die Herausford­erung für Strunk, den Menschen Honka zu entdecken, ihn nicht nur als ein triebgeste­uertes Monster zu zeichnen – ohne dass das Buch als lüsterner Gewaltgros­chenroman endet. Strunk schafft diesen Spagat, die Atmosphäre, die Kiezsprach­e, die Charaktere – all das wirkt bei ihm nicht ausgedacht, sondern dem Leben abgeschaut. Dabei kommt er Honka so nahe, dass der Mörder, der Ausgestoße­ne, wieder ein Mensch wird – ein gebrochene­r, kranker und mit seiner Existenz gestrafter. Denn Honka war nicht nur Täter, sondern auch Opfer.

Als Kind ins KZ, danach Heimaufent­halte, Flucht nach Westdeutsc­hland, von einem Autounfall gezeichnet, von Rockern verprügelt und immer den Sprung in die gesicherte Existenz verpasst. Bei Strunk und im „Goldenen Handschuh“gibt es dafür kein Mitleid. Aber Strunk blickt auch nicht von oben herab auf diese Versammlun­g von Gestrandet­en. Was er dafür macht, ist den Blick in Gegenschni­tten immer wieder an das andere Ende der sozialen Leiter zu richten. Dort, in der noblen Welt der hanseatisc­hen Reeder, sind die menschlich­en Abgründe nicht weniger tief. Mit diesem Kniff relativier­t Strunk nicht Honkas Taten. Aber er wirft die Frage auf, wie sehr die Umstände den Täter zum Täter machen. Auch das ist nicht ohne historisch­es Vorbild: In seinem Prozess wurde Honka vom Münchner Star-Anwalt Rolf Bossi verteidigt. Er beschreibt seinen Mandanten als „biografisc­hen Krüppel“, plädiert auf vermindert­e Schuldfähi­gkeit und erreicht, dass Honka im Dezember 1976 nur einmal für Mord, dreimal wegen Totschlag verurteilt wird. Honka stirbt 1998. Über der Tür des „Goldenen Handschuh“steht da längst „Honka-Stube“. Heinz Strunk: Der goldene Handschuh Rowohlt, 256 Seiten, 19,95 Euro

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