Alles steuert auf die Tragödie zu
Eine Amerikanerin zitiert Shakespeare und landet einen Volltreffer
Sein oder Nichtsein? Die Auseinandersetzung mit solch existenziellen Fragen gerät für manchen Schüler schnell zur Tortur. Shakespeare ist schließlich keine leichte Kost, schon sprachlich gesehen nicht. Warum also sollte man sich noch in seiner Freizeit mit dem Thema beschäftigen? Weil’s wahnsinnig spannend sein kann!
In erster Linie geht es in Elizabeth LaBans Roman „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“auch gar nicht um Shakespeare – es gibt jedoch Anleihen: Ihre Hauptpersonen – Duncan und Macbeth – haben Namen, wie sie auch die Figuren in Shakespeares Macbeth tragen. Der Titel des Buchs ist ebenfalls der Tragödie entnommen. Und dann geht es auch um die literarische Gattung selbst: Die Jugendlichen in LaBans Buch müssen sich sowohl schulisch als auch privat mit einer Tragödie beschäftigen.
Erzählt wird die Geschichte aus zwei Warten – der von Duncan und der von Tim Macbeth. Tim, ein Außenseiter, kommt erst im Abschlussjahr auf die Irving School und tut sich schwer, in diesem Internat Freunde zu finden. Das liegt auch an seinem Äußeren: Tim ist Albino und hat sich zwangsläufig daran gewöhnt, angestarrt zu werden. Duncan gehört zum Jahrgang unter Tim und hat zunächst wenig mit dem Neuen zu tun – ein Fakt, der sich erst in einer folgenschweren Winternacht ändern wird.
Von Anfang an ist diese Geschichte auf ein schreckliches Ende zugeschrieben. Tim erzählt sie in der Rückschau: Er hat Duncan einen Stapel CDs hinterlassen, auf denen er die Ereignisse eines verhängnisvollen Schuljahres Revue passieren lässt. Eines Schuljahres, an dessen Ende nichts mehr sein wird wie zu- vor. Duncan hört diesen Bericht erst widerwillig, wird dann aber immer stärker in die Erzählung hineingezogen.
Elizabeth LaBan baut die grundlegenden Konflikte ihres Romans auf einer Dreiecksbeziehung auf – einem Motiv also, das sich in der Literatur bis heute in zahlreichen Tragödien und Dramen findet: Tim verliebt sich in Vanessa, die aber mit Patrick zusammen ist. Patrick ist so etwas wie der Superheld des Jahrgangs; ein großspuriger, leicht tyrannischer Junge – nicht gerade sympathisch, aber akzeptiert. Ihm den verunsicherten, aber im positiven Sinn hochsensiblen Tim gegenüberzustellen, birgt allein schon Potenzial für zwischenmenschliche Spannungen.
Auch durch ihre Sprache, durch ihre linear auf die Katastrophe zusteuernde Erzählweise hält LaBan die Geschichte am Laufen. Dabei stört es kaum, dass sie sich auf Tim und Patrick konzentriert. Das Leben im Internat sowie die anderen Figuren – im Wesentlichen Vanessa, Duncans Freundin Daisy sowie einen verschrobenen Lehrer – bleiben im Vergleich blass. Aber vielleicht ist das gerade gut so: Jede anderweitige Präzisierung würde allzu sehr von den dramatischen Ereignissen dieses Buches ablenken.
Worin die Katastrophe besteht, hält LaBan bis fast zum Schluss geheim. Was der Leser erfährt: Es geht um ein Spiel, das traditionell der jeweilige Abschlussjahrgang der Irving School organisiert. Während der Vorbereitungen bricht sich alles Bahn, was im engen Umfeld eines Internats Alltag ist. Freundschaft, Liebe, Rivalität, Prüfungsangst, die Traditionen einer alteingesessenen Schule – LaBan geht auf alles ein, ohne sich mit Details aufzuhalten.
In den USA debütierte LaBan 2013 mit ihrem ersten Jugendbuch. Es zu schreiben, war seit Kindheitstagen ihr Traum. Gut, dass sie ihn nun umgesetzt hat: „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“ist spannender Lesestoff, der am Ende zwar einige Fragen offenlässt, damit aber auch die Fantasie des Lesers anregt: Außenseiter gibt es an jeder Schule. Wie hätte man sich selbst verhalten in einer Situation, wie LaBan sie beschreibt?
Stellen wir uns am Ende also noch diese Frage im Shakespeare’schen Sinn – wenn auch nicht an Macbeth, sondern Hamlet angelehnt: Lesen oder nicht lesen? In diesem Fall gar keine Frage ... Elizabeth LaBan: So wüst und schön sah ich noch keinen Tag