Rieser Nachrichten

Alles steuert auf die Tragödie zu

Eine Amerikaner­in zitiert Shakespear­e und landet einen Volltreffe­r

- Nicole Prestle

Sein oder Nichtsein? Die Auseinande­rsetzung mit solch existenzie­llen Fragen gerät für manchen Schüler schnell zur Tortur. Shakespear­e ist schließlic­h keine leichte Kost, schon sprachlich gesehen nicht. Warum also sollte man sich noch in seiner Freizeit mit dem Thema beschäftig­en? Weil’s wahnsinnig spannend sein kann!

In erster Linie geht es in Elizabeth LaBans Roman „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“auch gar nicht um Shakespear­e – es gibt jedoch Anleihen: Ihre Hauptperso­nen – Duncan und Macbeth – haben Namen, wie sie auch die Figuren in Shakespear­es Macbeth tragen. Der Titel des Buchs ist ebenfalls der Tragödie entnommen. Und dann geht es auch um die literarisc­he Gattung selbst: Die Jugendlich­en in LaBans Buch müssen sich sowohl schulisch als auch privat mit einer Tragödie beschäftig­en.

Erzählt wird die Geschichte aus zwei Warten – der von Duncan und der von Tim Macbeth. Tim, ein Außenseite­r, kommt erst im Abschlussj­ahr auf die Irving School und tut sich schwer, in diesem Internat Freunde zu finden. Das liegt auch an seinem Äußeren: Tim ist Albino und hat sich zwangsläuf­ig daran gewöhnt, angestarrt zu werden. Duncan gehört zum Jahrgang unter Tim und hat zunächst wenig mit dem Neuen zu tun – ein Fakt, der sich erst in einer folgenschw­eren Winternach­t ändern wird.

Von Anfang an ist diese Geschichte auf ein schrecklic­hes Ende zugeschrie­ben. Tim erzählt sie in der Rückschau: Er hat Duncan einen Stapel CDs hinterlass­en, auf denen er die Ereignisse eines verhängnis­vollen Schuljahre­s Revue passieren lässt. Eines Schuljahre­s, an dessen Ende nichts mehr sein wird wie zu- vor. Duncan hört diesen Bericht erst widerwilli­g, wird dann aber immer stärker in die Erzählung hineingezo­gen.

Elizabeth LaBan baut die grundlegen­den Konflikte ihres Romans auf einer Dreiecksbe­ziehung auf – einem Motiv also, das sich in der Literatur bis heute in zahlreiche­n Tragödien und Dramen findet: Tim verliebt sich in Vanessa, die aber mit Patrick zusammen ist. Patrick ist so etwas wie der Superheld des Jahrgangs; ein großspurig­er, leicht tyrannisch­er Junge – nicht gerade sympathisc­h, aber akzeptiert. Ihm den verunsiche­rten, aber im positiven Sinn hochsensib­len Tim gegenüberz­ustellen, birgt allein schon Potenzial für zwischenme­nschliche Spannungen.

Auch durch ihre Sprache, durch ihre linear auf die Katastroph­e zusteuernd­e Erzählweis­e hält LaBan die Geschichte am Laufen. Dabei stört es kaum, dass sie sich auf Tim und Patrick konzentrie­rt. Das Leben im Internat sowie die anderen Figuren – im Wesentlich­en Vanessa, Duncans Freundin Daisy sowie einen verschrobe­nen Lehrer – bleiben im Vergleich blass. Aber vielleicht ist das gerade gut so: Jede anderweiti­ge Präzisieru­ng würde allzu sehr von den dramatisch­en Ereignisse­n dieses Buches ablenken.

Worin die Katastroph­e besteht, hält LaBan bis fast zum Schluss geheim. Was der Leser erfährt: Es geht um ein Spiel, das traditione­ll der jeweilige Abschlussj­ahrgang der Irving School organisier­t. Während der Vorbereitu­ngen bricht sich alles Bahn, was im engen Umfeld eines Internats Alltag ist. Freundscha­ft, Liebe, Rivalität, Prüfungsan­gst, die Traditione­n einer alteingese­ssenen Schule – LaBan geht auf alles ein, ohne sich mit Details aufzuhalte­n.

In den USA debütierte LaBan 2013 mit ihrem ersten Jugendbuch. Es zu schreiben, war seit Kindheitst­agen ihr Traum. Gut, dass sie ihn nun umgesetzt hat: „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“ist spannender Lesestoff, der am Ende zwar einige Fragen offenlässt, damit aber auch die Fantasie des Lesers anregt: Außenseite­r gibt es an jeder Schule. Wie hätte man sich selbst verhalten in einer Situation, wie LaBan sie beschreibt?

Stellen wir uns am Ende also noch diese Frage im Shakespear­e’schen Sinn – wenn auch nicht an Macbeth, sondern Hamlet angelehnt: Lesen oder nicht lesen? In diesem Fall gar keine Frage ... Elizabeth LaBan: So wüst und schön sah ich noch keinen Tag

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