Wie wir den Planeten formen
Der Geologe Reinhold Leinfelder ist Teil einer Arbeitsgruppe, die beweisen will, dass der Mensch ein neues Erdzeitalter geschaffen hat
Herr Leinfelder, warum brauchen wir ein neues Erdzeitalter?
Der Mensch greift seit längerem stark in die Umwelt ein. Er hat sich zu einer geologischen Kraft entwickelt, die einen massiven Einfluss auf das Erdsystem hat. Schon früher gab es Veränderungen unseres Erdsystems, allerdings nicht in der Schnelligkeit wie wir sie heute verursachen. Wir müssen umdenken. Es ist an der Zeit, ein neues Erdzeitalter auszurufen.
Im Moment leben wir noch im Zeitalter des Holozäns, das mit dem letzten Abschnitt der Eiszeit beginnt. Was kennzeichnet das neue Zeitalter?
Das neue Erdzeitalter ist das Anthropozän. Übersetzt bedeutet das „das menschliche Neue“. In den letzten 12 000 Jahren haben sich die Menschen wegen stabiler Umweltverhältnisse stark weiterentwickelt. Regelmäßige Niederschläge, stabile Jahreszeiten und natürliche Flussverläufe waren die Grundlage für die Landwirtschaft, Städtegründung und die Industrialisierung. In der heutigen Zeit sind diese Bedingungen nicht mehr so stabil. Durch menschliches Eingreifen hat sich das Erdsystem stark geändert. Die Umwelt reguliert den Menschen nicht mehr, sondern der Mensch die Umwelt.
Woran lässt sich die menschliche Regulierung erkennen?
77 Prozent der festen Erdoberfläche ist vom Menschen umgestaltet. Der Mensch produziert jährlich fast so viel Plastik wie Biomasse. Der Wasserkreislauf wird vom Menschen durch Staudämme, Flussregulierungen und Bewässerungssysteme kontrolliert. Unter menschlichen Eingriffen leiden die Artenvielfalt, die Böden sowie Klimapuffer wie Wälder und Feuchtgebiete. Vom Menschen geschaffene Materialien wie Plastik, Beton, Stahl, Keramik oder elementares Aluminium kommen in der Natur nicht vor, finden sich aber bereits häufig als Technofossilien in Sedimenten.
Plastik kommt unter anderem in Flüssen, im Sand oder in der Tiefsee vor. Die daraus entstehenden Technofossilien werden zu einem der wichtigsten Kennzeichen des Anthroprozäns. Die Erdschichten werden zum Speicher unserer Aktivitäten, die unsere Nachfahren noch in ferner Zukunft finden und interpretieren können.
Die Grenze zwischen Holo- und Anthropozän wäre am eindeutigsten um das Jahr 1950 zu ziehen. Der menschliche Einfluss auf das Erdsystem lässt sich seitdem am besten nachweisen. Ab diesem Zeitpunkt werden neue Materialien verstärkt produziert und in Sedi- menten eingebettet. Dazu gehören insbesondere Kunststoffe. Aber auch der radioaktive Fallout aus Atombombenversuchen ist noch über Jahrtausende nachweisbar. Spätestens ab 1950 ist der geologische Einfluss des Menschen also nicht nur regional, sondern auch global nachweisbar.
Ist das Anthropozän also das Zeitalter, in dem sich die Natur am Menschen rächt?
Das Anthropozän ist zuallererst eine wissenschaftliche Zustandsbeschreibung, muss aber keinesfalls mit einer negativen Zukunft in Verbindung gebracht werden. Es kann gleichermaßen als Warnung wie auch als Mutmacher dienen. Schon Paul Crutzen, der die Diskussion um das Anthropozän im Jahr 2000 angestoßen hat, sah die Men- schenzeit als Chance: Die Menschen sind zu einer mächtigen geologischen Kraft geworden. Diese Kraft könnten wir auch ins Positive umsetzen.
Was muss sich ändern, damit das Anthropozän noch gut endet?
Die Zwei-Grad-Grenze ist unumgänglich. Damit das möglich ist, muss das Energiesystem auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Weiterhin spielt Recycling von Materialien eine wesentliche Rolle. Insgesamt muss unser Handeln und Wirtschaften also erdsystemverträglich geschehen.
Was kann der Einzelne dafür tun?
Schon das Kaufen von lokalen und saisonalen Lebensmitteln sowie die Reduzierung des Fleischkonsums wirken der Klimaerwärmung entgegen. Allerdings gibt es kein Zurück ins Holozän. Aber wir können mit bewusstem Handeln ein funktionsfähiges Anthropozän gestalten. Denn allein durch das Aus- rufen des Anthropozäns werden die Probleme nicht gelöst.
Die Internationale Kommission für Stratigraphie wird im August dieses Jahres über die Anerkennung des Anthropozäns diskutieren. Wie stehen die Chancen?
Die endgültige Entscheidung über die Anerkennung des Anthropozäns wird wohl frühestens 2017 erfolgen. Die Kommission könnte die Formalisierung des Anthropozäns ablehnen, was vermutlich nicht passieren wird. Der Begriff ist bereits zu groß, als dass man über ihn hinwegsehen kann. Die Kommission könnte auch weitere Untersuchungen zu den verschiedenen Vorschlägen der Grenzziehung zwischen Holo- und Anthropozän beauftragen, bevor es zu einer Entscheidung kommt.
Das sogenannte Anthropozän muss nicht schlecht enden
Auch wenn das Anthropozän noch nicht offiziell anerkannt ist, hat das Konzept bereits Einfluss, denn es fordert das Denken in neuen Zusammenhängen und in zeitlichen Bezügen. Naturschutzverbände, Wissenschaftler und Wissenschaftszweige, Kulturschaffende, aber auch manche Politiker beziehen sich auf das Anthropozän. Eine Anerkennung würde fachübergreifendes Denken und Arbeiten weiter anregen, vermutlich zu neuen Bildungskonzepten führen und wegen der Gestaltungsnotwendigkeit des Anthropozäns auch die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaften, Wirtschaft und Zivilgesellschaft insgesamt stärken.