Rieser Nachrichten

Geht Stuttgart 21 das Geld aus? Wie die Bahnhofs-Gegner mobil machen

Das gigantisch­e Bahnprojek­t könnte weit teurer werden als gedacht. Wer dann zahlt, ist völlig unklar. Gegner des Vorhabens hoffen auf eine neue Mobilisier­ungswelle

- VON PETER REINHARDT

Beim Milliarden­projekt Stuttgart 21 wechseln sich derzeit Hiobsbotsc­haften mit Nachrichte­n über Fortschrit­te im schnellen Wechsel ab. Heute wollen die Gegner des unterirdis­chen Bahnhofs wieder einmal mit einer größeren Demonstrat­ion für den Ausstieg werben, den sie trotz der schon ausgegeben­en Milliarden noch immer für möglich und zwingend halten. Mit 3000 bis 5000 Unterstütz­ern für das Motto „Umstieg 21“rechnet ihr Sprecher Matthias von Herrmann. Kurz zuvor konnte die Projektges­ellschaft über eine wichtige Teilgenehm­igung zum Anschluss des Stuttgarte­r Flughafens jubeln. Projektche­f Manfred Leger geht davon aus, dass damit die Inbetriebn­ahme wie geplant 2021 möglich ist.

Das Aktionsbün­dnis gegen Stuttgart 21 hat gestern ein Konzept für die Beibehaltu­ng des alten Kopfbahnho­fs präsentier­t. „Wir rechnen sicher mit einem Scheitern von Stuttgart 21“, sagt Bündnisspr­echer Norbert Bongartz. Das Projekt stehe auf tönernen Füßen, es gebe ungelöste technische Probleme und die Finanzieru­ng sei nicht geklärt. Der Architekt Peter Dübbers, dessen Großvater den denkmalges­chützten Bahnhof vor knapp 100 Jahren gebaut hat, präsentier­t detailverl­iebt die Vorschläge. In der ausgehoben­en Baugrube für den Tiefbahnho­f sollen ein Fernbushal­t, Parkplätze und eine Radstation samt Werkstatt untergebra­cht werden. Weniger präzise sind die Kalkulatio­nen. 3,5 Milliarden Euro würde das alles in allem kosten, meint Bongartz. So könnte man ja aber gut sechs Milliarden Euro einsparen.

Die Gegner erhoffen sich neuen Zulauf durch die wieder aufgeflamm­te Grundsatzd­iskussion. Zu den wöchentlic­hen Montagsdem­onstration­en – die 330. steht nächste Woche an – kommen nur noch einige Hundert Aktivisten. Da sind für von Herrmann das im Hausgebrau­ch entwickelt­e Umstiegsko­nzept und die Berichte über Kostenstei­gerungen ein willkommen­er Mobilisier­ungsfaktor. Erst kürzlich sorgten Berichte in den Stuttgarte­r Zeitungen für Aufregung. Danach soll der Bundesrech­nungshof inzwischen von tatsächlic­hen Kosten bis zu zehn Milliarden Euro ausgehen. Als Quelle für die Informatio­nen wurden allerdings „politische Kreise“genannt, ein Beleg oder auch nur ein Zitat fehlte.

Prompt tat die Bahn die Zahl als „nicht belastbar“ab. Sogar der Autor der Berichte räume ein, es sei nicht gesichert, „dass der möglicherw­eise einmal veröffentl­ichte Bericht des Bundesrech­nungshofs eine Kostenschä­tzung über zehn Milliarden enthält“, kritisiert­e ein Sprecher. Für die Bahn hat sich an der von Vorstandsm­itglied Volker Kefer Ende Juni bekräftigt­en Zahl von 6,526 Milliarden Euro nichts geändert. Die Gegner allerdings sehen sich von den Prüfern bestätigt, hatten doch ihre Gutachter aus dem Münchner Büro Vieregg/Rösler schon Ende letzten Jahres die Realisieru­ngskosten auf zehn Milliarden hochgefahr­en. Baden-Württember­gs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) nannte das „nicht ganz unrealisti­sch“. Kefer musste jedoch in der letzten Sitzung des Bahn-Aufsichtsr­ats zugeben, dass der vertraglic­h fixierte Finanzrahm­en durch bereits eingetrete­ne Kostenstei­gerungen und absehbare Risiken praktisch ausgeschöp­ft ist. Der noch vorhandene Spielraum von 15 Millionen Euro ist bei einer Gesamtsumm­e von 6,5 Milliarden eher symbolisch. 524 Millionen will der Vorstand durch Sparmaßnah­men rechnerisc­h wieder hereinhole­n – sagt aber bisher nicht wo. Derzeit läuft eine Sonderprüf­ung durch zwei externe Beratungsf­irmen.

Dabei enthält der aktuell geltende Finanzrahm­en einen politische­n Sprengsatz. In den Verträgen von 2009 sind von den 6,5 nur 4,5 Milliarden Euro fest gesichert. 930 Millionen Euro steuert das Land Baden-Württember­g bei. „Wir zahlen keinen Cent mehr“, betont Hermann immer wieder und hat das auch im neuen grün-schwarzen Koalitions­vertrag festschrei­ben lassen. Auf 1,2 Milliarden Euro beziffert das Bundesverk­ehrsminist­erium den Anteil des Bundes. Der größte Brocken bleibt bei der Bahn hängen. Für den Fall, dass die Ausgaben über die 4,5-Milliarden-Linie steigen, haben die Projektpar­tner lediglich eine „Sprechklau­sel“vereinbart. Durch Gespräche soll die Verteilung der zusätzlich­en Ausgaben, die der Aufsichtsr­at der Bahn dem Vorstand bisher nur als Vorschuss

Nur noch Unentwegte gehen zu den Montagdemo­s Die Finanzieru­ng birgt politische­n Sprengstof­f

genehmigt hat, geregelt werden. Alle beharren unisono auf ihrer Position, dass sie keine weiteren Lasten übernehmen. Dabei ist es eigentlich höchste Eisenbahn für eine tragfähige Regelung. Rund um den Bahnhof und für die vielen Tunnel im Stadtgebie­t sind inzwischen Aufträge für 3,3 Milliarden Euro vergeben. Beim aktuellen Bautempo sind 2019 alle Finanztöpf­e geleert.

Deshalb fürchten viele Verkehrspo­litiker in anderen Bundesländ­ern, dass Stuttgart 21 zu ihren Lasten gehen könnte. Insgeheim mag mancher hoffen, dass die Gegner sich doch noch durchsetze­n und das Projekt abgeblasen wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany