Warum der Terror so oft in Frankreich zuschlägt
Um weitere Tragödien zu verhindern, ist ein schonungsloser Blick auf die Hintergründe nötig. Eine Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen alleine reicht nicht
Es ist erst ein paar Tage her, als Millionen Franzosen euphorisch die Trikolore schwenkten: Ihre Nationalelf hatte es vor heimischem Publikum ins Finale der Fußball-EM geschafft. Reichte es zwar nicht zum Siegespokal, so machte sich auch mit dem VizeTitel in dem von Terrorangst, Streiks und Verdrossenheit geplagten Land kollektive Fröhlichkeit breit. Sie gesellte sich zur Erleichterung darüber, dass das Turnier nicht von einem großen Terroranschlag überschattet wurde. Doch er folgte wenig später.
Die Fahnen, die gerade noch in der Sommerluft flatterten, hängen nun auf halbmast. Frankreich ist erneut getroffen. Tief getroffen von der extremen Gewalt des Anschlags am Donnerstagabend, von der hohen Zahl der Opfer und davon, erneut zur Zielscheibe geworden zu sein. Die Angst, dass die Attacken des vergangenen Jahres nur der Beginn einer fürchterlichen, noch lange andauernden Serie waren, scheint längst Gewissheit. Im Januar 2015 hatten es Islamisten auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt abgesehen, im November auf ein Fußballstadion bei Paris, mehrere Bars, Restaurants und eine Konzerthalle im Ausgehviertel der Metropole.
Mit der Strandpromenade von Nizza, einem der glamourösesten Orte Frankreichs, suchte sich der Attentäter am Donnerstag erneut ein symbolträchtiges Ziel aus. Kinder, Frauen, Männer – wer seine Opfer waren, muss ihm in seiner totalen Verblendung gleichgültig gewesen sein. Aber möglichst viele wollte er treffen. Auch den 14. Juli als Datum wählte er nicht zufällig: Frankreichs Nationalfeiertag, an dem das Land mit pompösen Paraden sich selbst, seine Geschichte und prunkvolle Armee feiert.
Es sind gerade die militärischen Einsätze im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, die Terroristen oft als Rechtfertigung für ihre Taten hervorbringen. Noch fehlen Informationen, um einzuschätzen, ob es sich beim Attentäter von Nizza um einen Einzeltäter handelte und ob ihn eine radikalislamistische Ideologie antrieb. Ob er, der gebürtige Tunesier, ein weiterer jener wütenden jungen Männer war, die das Land zerstören wollen, in dem sie leben.
Vorschnelle Erklärungen verbieten sich daher. Doch eines ist sicher: Wenn Frankreich besonders exponiert ist, liegt das auch am Umgang mit seiner Kolonialgeschichte. Viele Menschen mit Wurzeln in Nord- und Westafrika sind nicht in der Gesellschaft angekommen, gelten höchstens als Franzosen zweiter Klasse, obwohl sie oft hier geboren wurden. Ausgegrenzt in den verwahrlosten Vorstädten entwickeln viele von ihnen einen explosiven Hass gegen Frankreich, wo der Rechtsnationalismus stetig ansteigt. Ohne Perspektive und mit gebrochener Identität scheinen sie besonders anfällig für extremistische Botschaften.
Nichts rechtfertigt die begangenen Bluttaten. Doch zu verstehen, warum es immer wieder Frankreich trifft, und um weitere Tragödien zu verhindern, gehört der schonungslose Blick auf diese Hintergründe dazu. Nur die Sicherheitsmaßnahmen immer noch zu verstärken, weitere Soldaten und Polizisten zu mobilisieren und die geheimdienstliche Überwachung auszubauen, wird nicht reichen, um künftige Gräueltaten zu verhindern.
Seit Monaten herrscht der Ausnahmezustand, die Sicherheitskräfte erreichen längst ihr Limit. Präsident und Premierminister treten erneut standfest und entschlossen auf, um den verunsicherten Menschen zu vermitteln, dass dieser Krieg, wie sie ihn nennen, gewonnen wird. Doch was Frankreich braucht, ist keine martialische Rhetorik, sondern Geschlossenheit.
Ausgegrenzt in den verwahrlosten Vorstädten