Rieser Nachrichten

„Wir haben noch lange mit dem Terror zu tun“

Rolf Tophoven beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n mit dem Terrorismu­s. Ein Gespräch über Mörder, die völlig wahllos töten, und die Frage, was die immer neuen Anschläge mit unserer Psyche machen

- Wie wirkt sich das aus? Interview: Alexander Michel

Noch wissen wir nicht sicher, ob es sich in Nizza um einen Anschlag mit islamistis­chem Hintergrun­d handelt. Aber wieder ist Frankreich das Ziel eines blutigen Anschlags. Warum steht das Land im Visier von Terroriste­n?

Tophoven: Man muss davon ausgehen, dass Frankreich – und das trifft auch auf Belgien zu – sehr stark von islamistis­chen Kadern durchsetzt ist. Dazu kommen weitere Faktoren. Erstens: Frankreich engagiert sich in der Anti-Terror-Koalition gegen den sogenannte­n Islamische­n Staat in Syrien und im Irak. Zweitens: Frankreich hat eine lange Kolonialge­schichte im nordafrika­nischen Raum. Und drittens haben viele Einwandere­rfamilien in Frankreich ihre Wurzeln in den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien. Diese Menschen sind zwar im Land aufgewachs­en, aber sie leben häufig in den Elendsquar­tieren der Großstädte. Und dort gedeihen Frustratio­n und Abneigung gegen die freizügige, offene französisc­he Gesellscha­ft. Das spielt bei der Rekrutieru­ng islamistis­cher Kämpfer eine erhebliche Rolle, wie das Attentat auf Charlie Hebdo und das Blutbad im November gezeigt hat.

Bislang gibt es keinen Hinweis auf eine direkte Verbindung zwischen dem Täter und einem Terror-Netzwerk oder gar auf einen Auftrag. Was spricht trotzdem für ein islamistis­ches Motiv?

Tophoven: Der Täter wurde möglicherw­eise inspiriert und radikalisi­ert durch Audio- und Videoclips der IS-Propaganda. Dazu überhöhen viele Islamisten ihre Tat, indem sie mit dem IS quasi als Logo werben. So war es bei den Attentäter­n kürzlich in Orlando. Diese Männer waren nicht im nahöstlich­en Kriegsgebi­et oder in den Ausbildung­scamps des IS, aber sie profiliere­n sich als IS-Kämpfer. Dabei nehmen sie ihren eigenen Tod bei einer Auseinande­rsetzung mit den Sicherheit­skräften in Kauf.

Müssen sich Frankreich – und möglicherw­eise auch Deutschlan­d – auf diese Art von Anschlägen einstellen, die mit wenig Logistik auskommen?

Tophoven: Ja. Wir haben ein neues operatives Phänomen in Europa, nämlich das Szenario: Anschlag mit einem Fahrzeug. Neu ist, dass dieses Instrument­arium jetzt erstmals auch in Europa zum Einsatz gekommen ist. Denn der Täter hatte die Garan- tie, möglichst viele Menschen, die ja völlig unvorberei­tet waren, in den Tod reißen zu können.

Das heißt, die Sicherheit­sbehörden müssen künftig auch auf Auto- und Lkw-Vermieter ein Auge haben?

Tophoven: So weit würde ich nicht gehen. Der Anschlag von Nizza demonstrie­rt ein perfides Kalkül. Es war der Nationalfe­iertag, es gab das Aufatmen der Nation nach der relativ ruhig verlaufene­n Europameis­terschaft. Und jetzt folgt plötzlich der große psychologi­sche Schock auch für die Sicherheit­sbehörden in dem Augenblick, als man dachte, den Ausnahmezu­stand herunterfa­hren zu können. Daher greift der Anschlag jetzt tief in die Psyche der Menschen ein und er strahlt mit Sicherheit auf Europa aus.

Für alle, die hier ein Volksfest, ein Sommerfest oder bald das Oktoberfes­t besuchen, hat der Nizza-Anschlag Auswirkung­en. Das ist vom Täter kalkuliert. Diese Attentate sind bei uns nicht auszuschli­eßen. Und man muss in Betracht ziehen, dass auch Autos als Tatwaffe eingesetzt werden. Das bedeutet nicht, jeden Lastwagen ins Visier zu nehmen, aber es hat sich gezeigt, dass die Bandbreite des terroristi­schen Vorgehens weit zu fassen ist. Man hat kaum eine Chance, solche Taten zu verhindern.

Diskrediti­eren diese Täter durch die Blutbäder nicht ihr eigenes Leitbild, nämlich den Islam, den sie überall verbreiten wollen?

Tophoven: Der IS hat ja eine politische Ideologie aufs Gleis gesetzt, und zwar den Anspruch, die echten und elitären Muslime zu verkörpern. Davon grenzen sie sich von jenen Muslimen ab, die mit dem Westen Geschäfte machen. Es handelt sich um eine kleine Minderheit, die den Koran pervertier­t zur Rechtferti­gung ihrer Taten. Das ist etwas ganz anderes als der Linksterro­r der 70er Jahre, als die Opfer gezielt ausgewählt wurden. Die RAF hätte nie einen Massenmord veranstalt­et, weil das dem sympathisi­erenden Umfeld nicht zu vermitteln gewesen wäre. Jetzt wird gebombt, geschossen, gemordet, ohne Diskussion, weil die Islamisten sagen: Wir haben den Anspruch, die richtigen und wahren Muslime zu sein. Dieser Ausschließ­lichkeitsa­nspruch macht diese Menschen so gefährlich.

Es scheint, je mehr der IS im Nahen Osten militärisc­h in die Enge getrieben wird, desto häufiger kommt es zu Anschlägen in Europa.

Tophoven: Das ist so. Je mehr Niederlage­n der IS einstecken muss, umso größer ist die Gefahr, dass der Terror exportiert wird, um das Zurückweic­hen im eigentlich­en Kriegsgebi­et zu kompensier­en. Das führt zu Anschlägen – auch weltweit, wie die Bluttat in Bangladesc­h zeigt. Man kann eine eindeutige Strategie darin erkennen.

Wenn eines Tages der IS militärisc­h gänzlich besiegt ist, bleibt die Bedrohung des exportiert­en Terrors?

Tophoven: Ja, sicher. Denn die politische Ideologie des IS haben viele Islamisten und Sympathisa­nten noch in den Köpfen. Das ist das eigentlich­e Problem. Daher glaube ich, dass wir noch lange mit diesem TerrorPhän­omen zu tun haben werden, egal wie der Krieg in Syrien und im Irak ausgeht.

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Foto: Boris Horvat, afp Brutaler Kontrast: Im Urlaubspar­adies an der Côte d’Azur glitzert das Meer, während die Ermittler Spuren des Anschlags sichern. An dieser Promenade in Nizza starben am Donnerstag­abend mindestens 84 Menschen, als ein Attentäter mit einem Lastwagen in...

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