Armutsrisiko Selbstständigkeit
Politiker fordern verpflichtende Rentenversicherung für Freiberufler
Sie haben ein Leben lang gearbeitet – doch im Alter erhalten Sie keinen Cent und sind auf die Grundsicherung vom Staat angewiesen. Für viele Selbstständige könnte dieses Szenario Realität werden. Denn im Gegensatz zu Arbeitern und Angestellten, die Altersbezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, und Beamten, die vom Staat eine Pension beziehen, besteht für etwa 75 Prozent der rund 4,3 Millionen Selbstständigen in diesem Land keine Pflicht zur Altersvorsorge. Nur bestimmte Berufsgruppen, unter anderem Ärzte, Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte oder Steuerberater, sind gesetzlich verpflichtet, Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks zu werden und regelmäßig Beiträge für die Altersbezüge zu bezahlen.
Nach einer aktuellen Studie des arbeitgebernahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sorgt die Hälfte der rund 2,3 Millionen sogenannten „SoloSelbstständigen“, die keine Mitarbeiter beschäftigen, nicht für das Alter vor und ist damit langfristig von Altersarmut bedroht. Um das zu verhindern, gibt es in der Großen Koalition Überlegungen, auch für Selbstständige eine Pflicht zur Altersvorsorge einzuführen. Die Union erwägt, den Freiberuflern die Wahl zu lassen: Entweder sie zahlen in die gesetzliche Rentenkasse ein oder sie erbringen den Nachweis, dass sie ausreichend privat vorsorgen. Auch die SPD hegt Sympathien für eine Einbeziehung der Selbstständigen in das System der gesetzlichen Versicherung.
Unterstützung für die Pläne der Koalition kommt auch von den Grünen. „Eine Einbeziehung der Selbstständigen in die Sozialversicherung, die allen gerecht wird und den Blick auf die Erwerbswirklichkeit richtet, ist längst überfällig“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Finanzexpertin der Grünen, Kerstin Andreae, unserer Zeitung. „Selbstständige benötigen genauso wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Schutz der Gemeinschaft.“Mit dem von den Grünen entwickelten Modell einer BürgerInnenversicherung, das sich am persönlichen Bedarf und nicht am Einkommen orientiere, würden alle einen Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen erhalten.
Die Lücken in der Alterssicherung seien zwar kurzfristig nicht akut, „aber auf lange Sicht nicht weniger
Grünen-Expertin spricht von „Flickenteppich“
dramatisch“, stellt die aus Freiburg stammende Politikerin fest. Vor allem sei das derzeitige System „ein reiner Flickenteppich“. Der Blick auf Einzelfälle offenbare, wie wenig nachvollziehbar die Regelungen seien. „Warum die selbstständige Augenoptikerin automatisch gesetzlich rentenversichert ist, während es der Feinoptikerin freisteht, ob und wie sie für das Alter vorsorgt, ist nicht verständlich.“Nach Ansicht der Finanzexpertin sollten alle Selbstständigen, die nicht anderweitig abgesichert sind, in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Wer bereits Vorkehrungen für die Alterssicherung getroffen hat oder ein gewisses Alter erreicht hat, erhält Vertrauensschutz und Übergangsregelungen. Existenzgründer, die am Anfang ihres Berufslebens vor besonderen Herausforderungen stehen, sollen nach den Vorstellungen Andreaes in den ersten drei Jahren nicht nur von unnötigen Bürokratielasten wie der monatlichen Umsatzsteuervoranmeldung oder der „aufgeblähten Arbeitsschutzverordnung“befreit werden, sondern auch einen staatlichen Zuschuss auf ihre Sozialversicherungsbeiträge erhalten.