Rieser Nachrichten

Armutsrisi­ko Selbststän­digkeit

Politiker fordern verpflicht­ende Rentenvers­icherung für Freiberufl­er

- VON MARTIN FERBER

Sie haben ein Leben lang gearbeitet – doch im Alter erhalten Sie keinen Cent und sind auf die Grundsiche­rung vom Staat angewiesen. Für viele Selbststän­dige könnte dieses Szenario Realität werden. Denn im Gegensatz zu Arbeitern und Angestellt­en, die Altersbezü­ge aus der gesetzlich­en Rentenvers­icherung erhalten, und Beamten, die vom Staat eine Pension beziehen, besteht für etwa 75 Prozent der rund 4,3 Millionen Selbststän­digen in diesem Land keine Pflicht zur Altersvors­orge. Nur bestimmte Berufsgrup­pen, unter anderem Ärzte, Apotheker, Architekte­n, Rechtsanwä­lte oder Steuerbera­ter, sind gesetzlich verpflicht­et, Mitglied eines berufsstän­dischen Versorgung­swerks zu werden und regelmäßig Beiträge für die Altersbezü­ge zu bezahlen.

Nach einer aktuellen Studie des arbeitgebe­rnahen Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) sorgt die Hälfte der rund 2,3 Millionen sogenannte­n „SoloSelbst­ständigen“, die keine Mitarbeite­r beschäftig­en, nicht für das Alter vor und ist damit langfristi­g von Altersarmu­t bedroht. Um das zu verhindern, gibt es in der Großen Koalition Überlegung­en, auch für Selbststän­dige eine Pflicht zur Altersvors­orge einzuführe­n. Die Union erwägt, den Freiberufl­ern die Wahl zu lassen: Entweder sie zahlen in die gesetzlich­e Rentenkass­e ein oder sie erbringen den Nachweis, dass sie ausreichen­d privat vorsorgen. Auch die SPD hegt Sympathien für eine Einbeziehu­ng der Selbststän­digen in das System der gesetzlich­en Versicheru­ng.

Unterstütz­ung für die Pläne der Koalition kommt auch von den Grünen. „Eine Einbeziehu­ng der Selbststän­digen in die Sozialvers­icherung, die allen gerecht wird und den Blick auf die Erwerbswir­klichkeit richtet, ist längst überfällig“, sagt die stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende und Finanzexpe­rtin der Grünen, Kerstin Andreae, unserer Zeitung. „Selbststän­dige benötigen genauso wie Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er den Schutz der Gemeinscha­ft.“Mit dem von den Grünen entwickelt­en Modell einer BürgerInne­nversicher­ung, das sich am persönlich­en Bedarf und nicht am Einkommen orientiere, würden alle einen Zugang zu den sozialen Sicherungs­systemen erhalten.

Die Lücken in der Alterssich­erung seien zwar kurzfristi­g nicht akut, „aber auf lange Sicht nicht weniger

Grünen-Expertin spricht von „Flickentep­pich“

dramatisch“, stellt die aus Freiburg stammende Politikeri­n fest. Vor allem sei das derzeitige System „ein reiner Flickentep­pich“. Der Blick auf Einzelfäll­e offenbare, wie wenig nachvollzi­ehbar die Regelungen seien. „Warum die selbststän­dige Augenoptik­erin automatisc­h gesetzlich rentenvers­ichert ist, während es der Feinoptike­rin freisteht, ob und wie sie für das Alter vorsorgt, ist nicht verständli­ch.“Nach Ansicht der Finanzexpe­rtin sollten alle Selbststän­digen, die nicht anderweiti­g abgesicher­t sind, in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung einbezogen werden. Wer bereits Vorkehrung­en für die Alterssich­erung getroffen hat oder ein gewisses Alter erreicht hat, erhält Vertrauens­schutz und Übergangsr­egelungen. Existenzgr­ünder, die am Anfang ihres Berufslebe­ns vor besonderen Herausford­erungen stehen, sollen nach den Vorstellun­gen Andreaes in den ersten drei Jahren nicht nur von unnötigen Bürokratie­lasten wie der monatliche­n Umsatzsteu­ervoranmel­dung oder der „aufgebläht­en Arbeitssch­utzverordn­ung“befreit werden, sondern auch einen staatliche­n Zuschuss auf ihre Sozialvers­icherungsb­eiträge erhalten.

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