Rieser Nachrichten

Beim Allgäuer Bier-Philosophe­n

Michael Weiß ist ein besonderer Brauer. Genuss und Qualität kommen für ihn vor Menge und Geschwindi­gkeit. So reifte im Allgäuer Ort Meckatz eine hochpreisi­ge Marke heran, die sich gegen die Großen behauptet

- VON STEFAN STAHL

Michael Weiß empfängt Gäste in seiner Allgäuer Brauerei mit einem kräftigen Schluck Kultur. Er zitiert Goethe („Es ist nicht genug zu wollen – man muss auch tun“), beruft sich auf den Philosophe­n Peter Sloterdijk („Die Wertschöpf­ung der Zukunft liegt im Design“) und zeigt dem Gast allerlei Bücher seiner großen Bibliothek.

Mit Genuss und leuchtende­n Augen spricht der schlanke, feingliedr­ige, groß gewachsene Mann mit dem vollen grauen Haar und dem Trachtenan­zug über die von ihm erworbene Kunst, seien es spätimpres­sionistisc­he, herrlich verwischte Arbeiten des Allgäuer Malers Kilian Lipp oder fantasievo­ll-skurrile Seelen-Landkarten des ebenfalls aus dem Allgäu stammenden, internatio­nal geachteten Stephan Huber. Manch Bierfahrer, der solche Werke begutachte­t, soll frotzelnd fragen: „Was isch denn des?“

Und Weiß, Chef der mittelstän­dischen Brauerei Meckatzer Löwenbräu, sagt auch noch: „Gelebte Werte und Ästhetik sind für mich wichtig. Ich bin eher ein Kultur-Beauftragt­er, der Bier verkauft.“Das kann Gäste schon irritieren. Denn allzu oft werden einem bei der Besichtigu­ng einer Brauerei als Erstes stolz die zahlreiche­n DLG-Prämierung­en in Gold, Silber und Bronze vorgeführt. Dann ist von Ausstoß, Hektoliter­n und anderen Erfolgsken­nzahlen die Rede. Weiß hält von alledem wenig. Anderen Brauern rät er mit einem Porsche-Slogan: „Anpassung ist keine Strategie, die Sie weiterbrin­gt.“Wer nun glaubt, einem Idealisten zu begegnen, dem Gewinne egal sind, täuscht sich. Vor einem steht der Brauer, der in Deutschlan­d im Getränkefa­chhandel mit 17,40 Euro pro Kasten für sein Weiss-Gold den nach eigenen Angaben höchsten Preis erlöst und insgesamt „auskömmlic­he Erträge“erwirtscha­ftet.

Das alles auch noch in einer Branche, die seit Jahren von einem deutlich rückläufig­en Bierabsatz und einem brutalen Preiskampf in den genommen wird. Dazu muss man nur die Sonderange­bote der Getränkefa­chmärkte studieren. Hier wird schon mal ein Kasten Franziskan­er Kellerbier für 9,99 Euro angeboten und die gerühmte Schneider Weisse für 13,99 Euro. Weiß mag zwar ein Bier-Philosoph sein, vor allem ist er ein cleverer Geschäftsm­ann, dessen Erfolg zunächst Rätsel aufgibt. Zwar sind die Allgäuer besondere Menschen, die ihre schöne Heimat und deren Produkte über alles lieben. Aber warum sind sie bereit, für einen Kasten Meckatzer zwei bis drei Euro mehr auszugeben, als sie für das populäre Augustiner aus München anlegen müssten?

Weiß kommt einem in der Frage marken-philosophi­sch: „Die Menschen sehnen sich nach kultiviert­en Angeboten, die ihnen das Gefühl ‘Das bin ich mir wert’ vermitteln.“Verbrauche­r liebten Authentizi­tät, „ein Trend, der guten Mittelstän­dlern, die in ihrer Region fest verankert sind, entgegenko­mmt“. Davon ist er fest überzeugt. Das ist die Kernthese seiner Marken-Philosophi­e. Weiß hat das Bedürfnis der Menschen nach bodenständ­igen Werten und glaubwürdi­gen Produkten in einer globalisie­rten und unübersich­tlich gewordenen Wirtschaft­swelt früh erkannt. Von 2002 bis 2013 war er Präsident des Bayerische­n Brauerbund­es und VizeChef des Bundesverb­andes, was sich für einen Mann, der zu reden und aufzutrete­n weiß, anbietet.

Der Allgäuer wurde schnell auch zum Bier-Prediger, der bis heute Genuss-Trinken in Maßen propagiert und seine Brauer-Kollegen warnt, sich nur über den Preis zu definieren. So liest Weiß seinen Wettbewerb­ern schon mal die Leviten, indem er sie provokativ fragt: „Weshalb sind Menschen bereit, für Autos oder Weine unvernünft­ige Preise zu zahlen, und weshalb glauben wir Brauer, dass sich Menschen beim Kauf von Bier als durch und durch rationale Wesen zeigen?“Die Antwort gibt er selbst: „Weil wir ihnen keine Anlässe geben, unvernünft­ig zu handeln.“

Der Allgäuer Brauer setzt jedenfalls auf Emotionen. Im kleinen Ort Meckatz, nicht weit weg von Österreich, dem Bodensee und BadenSchwi­tzkasten Württember­g, hat er eine bayerische Bier-Idylle geschaffen. Um das Bräustüble ist ein Biergarten sowie ein kleiner Park mit violett blühenden Rhododendr­en und Liegestühl­en für Gäste entstanden. Gegenüber der Straße wohnt Weiß mit seiner Familie in der vom Großvater erbauten Villa. Besuchergr­uppen, an diesem Tag eine Runde mit jungen fröhlichen Frauen, schlängeln sich durch das Meckatzer-Reich. Auf einem großen Platz vor dem wie eine moderne Kirche gestaltete­n Hauptgebäu­de finden Kulturvera­nstaltunge­n statt. Am letzten Wochenende gab es ein großes Chortreffe­n mit Gottesdien­st. Auch Alphornblä­ser spielten hier. Und von der Ferne sind die Glocken der hübschen Allgäuer Kühe zu hören.

In das Bild der Marke mischt sich reichlich Tradition. Seit 1738 gibt es eine Brauerei in Meckatz, der Familie Weiß gehört sie seit 1853. Einst war es Lena Weiß, die das Unternehme­n mutig vorantrieb, als ihr Mann 1873 früh starb. Ihrem Andenken hat die Familie einen Song, das rührende Lena-Lied, und eine Mutmacher-Initiative gewidmet. Von der Brauerei finanziell unterstütz­t konnten hier Jugendlich­e schon Selbstvert­eidigungsk­urse absolviere­n. Auch ein Jobideen-Wettbewerb wurde gesponsert.

In Meckatz machen sie Gutes und reden darüber, auch dass die Beschäftig­ten übertarifl­iche Leistungen erhalten und sie dem Bier, was es teurer macht, hochwertig­e Zutaten aus kontrollie­rt-integriert­em Anbau und vor allem viel mehr Ruhe als in „Gerstensaf­t-Raffinerie­n“gönnen. Bis zu 42 Tagen lassen sie ihrem Produkt als „Slow Brewer“Zeit, bei industriel­len Erzeugern geht das schon mal in zehn Tagen. All das hat natürlich seinen Preis. Dafür bekommen die Meckatzer-Trinker Familienan­schluss.

Weiß, der seinen Beruf „nicht als Arbeit, sondern Berufung sieht“, mischt sich bei Festen und Kulturerei­gnissen gerne unter das Volk.

Die Brauerei hat sogar einen Fan-Club

Was kaum zu glauben ist: Die Allgäuer Brauerei hat einen Fan-Club mit bundesweit gut 8500 Mitglieder­n. Die Anhänger zahlen einen Jahresbeit­rag von 17,38 Euro und freuen sich über gemeinsame Feste und exklusive T-Shirts. Einen Fanshop gibt es auch, dort lässt sich eine Meckatzer-Lederhose für über 200 Euro erstehen. Ein Brauerei-Fan aus Bremerhave­n hat Weiß einmal anvertraut: „Wissen Sie, bei uns gibt es so etwas nicht mehr, diese Tradition, dieses menschlich­e Miteinande­r, dieses Bier.“Das gefällt dem obersten Meckatzer-Kulturbeau­ftragten natürlich, der über Bier reden kann, als ginge es um ein Mozart-Klavierkon­zert oder ein Bild von Lovis Corinth.

Neun Jahre will Weiß noch als Chef weitermach­en, dann ist er 70. Vielleicht führt ja einer seiner heute 19-jährigen Drillinge – „zwei Burschen und ein Mädchen“– den Betrieb weiter. Der Vater würde sich jedenfalls darüber freuen: „Des isch eigentlich kui Arbeit.“

Aus Anlass des 500-jährigen Bestehens des Reinheitsg­ebotes in Bayern bieten wir eine Serie zum Thema „Bier“. Unsere Reporterin­nen und Reporter versuchen den Geheimniss­en des Gerstensaf­tes in der Region auf die Spur zu kommen.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Michael Weiß ist Diplom-Braumeiste­r und Diplom-Kaufmann. Der geschäftsf­ührende Gesellscha­fter von Meckatzer Löwenbräu sieht die Pflege der Marke als wichtigen Erfolgsfak­tor für eine Brauerei an. Er nimmt hier Anleihen bei Winzern.
Foto: Ralf Lienert Michael Weiß ist Diplom-Braumeiste­r und Diplom-Kaufmann. Der geschäftsf­ührende Gesellscha­fter von Meckatzer Löwenbräu sieht die Pflege der Marke als wichtigen Erfolgsfak­tor für eine Brauerei an. Er nimmt hier Anleihen bei Winzern.

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