Beim Allgäuer Bier-Philosophen
Michael Weiß ist ein besonderer Brauer. Genuss und Qualität kommen für ihn vor Menge und Geschwindigkeit. So reifte im Allgäuer Ort Meckatz eine hochpreisige Marke heran, die sich gegen die Großen behauptet
Michael Weiß empfängt Gäste in seiner Allgäuer Brauerei mit einem kräftigen Schluck Kultur. Er zitiert Goethe („Es ist nicht genug zu wollen – man muss auch tun“), beruft sich auf den Philosophen Peter Sloterdijk („Die Wertschöpfung der Zukunft liegt im Design“) und zeigt dem Gast allerlei Bücher seiner großen Bibliothek.
Mit Genuss und leuchtenden Augen spricht der schlanke, feingliedrige, groß gewachsene Mann mit dem vollen grauen Haar und dem Trachtenanzug über die von ihm erworbene Kunst, seien es spätimpressionistische, herrlich verwischte Arbeiten des Allgäuer Malers Kilian Lipp oder fantasievoll-skurrile Seelen-Landkarten des ebenfalls aus dem Allgäu stammenden, international geachteten Stephan Huber. Manch Bierfahrer, der solche Werke begutachtet, soll frotzelnd fragen: „Was isch denn des?“
Und Weiß, Chef der mittelständischen Brauerei Meckatzer Löwenbräu, sagt auch noch: „Gelebte Werte und Ästhetik sind für mich wichtig. Ich bin eher ein Kultur-Beauftragter, der Bier verkauft.“Das kann Gäste schon irritieren. Denn allzu oft werden einem bei der Besichtigung einer Brauerei als Erstes stolz die zahlreichen DLG-Prämierungen in Gold, Silber und Bronze vorgeführt. Dann ist von Ausstoß, Hektolitern und anderen Erfolgskennzahlen die Rede. Weiß hält von alledem wenig. Anderen Brauern rät er mit einem Porsche-Slogan: „Anpassung ist keine Strategie, die Sie weiterbringt.“Wer nun glaubt, einem Idealisten zu begegnen, dem Gewinne egal sind, täuscht sich. Vor einem steht der Brauer, der in Deutschland im Getränkefachhandel mit 17,40 Euro pro Kasten für sein Weiss-Gold den nach eigenen Angaben höchsten Preis erlöst und insgesamt „auskömmliche Erträge“erwirtschaftet.
Das alles auch noch in einer Branche, die seit Jahren von einem deutlich rückläufigen Bierabsatz und einem brutalen Preiskampf in den genommen wird. Dazu muss man nur die Sonderangebote der Getränkefachmärkte studieren. Hier wird schon mal ein Kasten Franziskaner Kellerbier für 9,99 Euro angeboten und die gerühmte Schneider Weisse für 13,99 Euro. Weiß mag zwar ein Bier-Philosoph sein, vor allem ist er ein cleverer Geschäftsmann, dessen Erfolg zunächst Rätsel aufgibt. Zwar sind die Allgäuer besondere Menschen, die ihre schöne Heimat und deren Produkte über alles lieben. Aber warum sind sie bereit, für einen Kasten Meckatzer zwei bis drei Euro mehr auszugeben, als sie für das populäre Augustiner aus München anlegen müssten?
Weiß kommt einem in der Frage marken-philosophisch: „Die Menschen sehnen sich nach kultivierten Angeboten, die ihnen das Gefühl ‘Das bin ich mir wert’ vermitteln.“Verbraucher liebten Authentizität, „ein Trend, der guten Mittelständlern, die in ihrer Region fest verankert sind, entgegenkommt“. Davon ist er fest überzeugt. Das ist die Kernthese seiner Marken-Philosophie. Weiß hat das Bedürfnis der Menschen nach bodenständigen Werten und glaubwürdigen Produkten in einer globalisierten und unübersichtlich gewordenen Wirtschaftswelt früh erkannt. Von 2002 bis 2013 war er Präsident des Bayerischen Brauerbundes und VizeChef des Bundesverbandes, was sich für einen Mann, der zu reden und aufzutreten weiß, anbietet.
Der Allgäuer wurde schnell auch zum Bier-Prediger, der bis heute Genuss-Trinken in Maßen propagiert und seine Brauer-Kollegen warnt, sich nur über den Preis zu definieren. So liest Weiß seinen Wettbewerbern schon mal die Leviten, indem er sie provokativ fragt: „Weshalb sind Menschen bereit, für Autos oder Weine unvernünftige Preise zu zahlen, und weshalb glauben wir Brauer, dass sich Menschen beim Kauf von Bier als durch und durch rationale Wesen zeigen?“Die Antwort gibt er selbst: „Weil wir ihnen keine Anlässe geben, unvernünftig zu handeln.“
Der Allgäuer Brauer setzt jedenfalls auf Emotionen. Im kleinen Ort Meckatz, nicht weit weg von Österreich, dem Bodensee und BadenSchwitzkasten Württemberg, hat er eine bayerische Bier-Idylle geschaffen. Um das Bräustüble ist ein Biergarten sowie ein kleiner Park mit violett blühenden Rhododendren und Liegestühlen für Gäste entstanden. Gegenüber der Straße wohnt Weiß mit seiner Familie in der vom Großvater erbauten Villa. Besuchergruppen, an diesem Tag eine Runde mit jungen fröhlichen Frauen, schlängeln sich durch das Meckatzer-Reich. Auf einem großen Platz vor dem wie eine moderne Kirche gestalteten Hauptgebäude finden Kulturveranstaltungen statt. Am letzten Wochenende gab es ein großes Chortreffen mit Gottesdienst. Auch Alphornbläser spielten hier. Und von der Ferne sind die Glocken der hübschen Allgäuer Kühe zu hören.
In das Bild der Marke mischt sich reichlich Tradition. Seit 1738 gibt es eine Brauerei in Meckatz, der Familie Weiß gehört sie seit 1853. Einst war es Lena Weiß, die das Unternehmen mutig vorantrieb, als ihr Mann 1873 früh starb. Ihrem Andenken hat die Familie einen Song, das rührende Lena-Lied, und eine Mutmacher-Initiative gewidmet. Von der Brauerei finanziell unterstützt konnten hier Jugendliche schon Selbstverteidigungskurse absolvieren. Auch ein Jobideen-Wettbewerb wurde gesponsert.
In Meckatz machen sie Gutes und reden darüber, auch dass die Beschäftigten übertarifliche Leistungen erhalten und sie dem Bier, was es teurer macht, hochwertige Zutaten aus kontrolliert-integriertem Anbau und vor allem viel mehr Ruhe als in „Gerstensaft-Raffinerien“gönnen. Bis zu 42 Tagen lassen sie ihrem Produkt als „Slow Brewer“Zeit, bei industriellen Erzeugern geht das schon mal in zehn Tagen. All das hat natürlich seinen Preis. Dafür bekommen die Meckatzer-Trinker Familienanschluss.
Weiß, der seinen Beruf „nicht als Arbeit, sondern Berufung sieht“, mischt sich bei Festen und Kulturereignissen gerne unter das Volk.
Die Brauerei hat sogar einen Fan-Club
Was kaum zu glauben ist: Die Allgäuer Brauerei hat einen Fan-Club mit bundesweit gut 8500 Mitgliedern. Die Anhänger zahlen einen Jahresbeitrag von 17,38 Euro und freuen sich über gemeinsame Feste und exklusive T-Shirts. Einen Fanshop gibt es auch, dort lässt sich eine Meckatzer-Lederhose für über 200 Euro erstehen. Ein Brauerei-Fan aus Bremerhaven hat Weiß einmal anvertraut: „Wissen Sie, bei uns gibt es so etwas nicht mehr, diese Tradition, dieses menschliche Miteinander, dieses Bier.“Das gefällt dem obersten Meckatzer-Kulturbeauftragten natürlich, der über Bier reden kann, als ginge es um ein Mozart-Klavierkonzert oder ein Bild von Lovis Corinth.
Neun Jahre will Weiß noch als Chef weitermachen, dann ist er 70. Vielleicht führt ja einer seiner heute 19-jährigen Drillinge – „zwei Burschen und ein Mädchen“– den Betrieb weiter. Der Vater würde sich jedenfalls darüber freuen: „Des isch eigentlich kui Arbeit.“
Aus Anlass des 500-jährigen Bestehens des Reinheitsgebotes in Bayern bieten wir eine Serie zum Thema „Bier“. Unsere Reporterinnen und Reporter versuchen den Geheimnissen des Gerstensaftes in der Region auf die Spur zu kommen.