Rieser Nachrichten

Ingenieure in Israel verknüpfen zwei Welten

Orthodoxe Juden dürfen am Sabbat nicht schreiben und keine elektronis­chen Geräte einschalte­n. Wie das mit dem modernen Leben in Einklang zu bringen ist, erforscht ein Institut in der Nähe von Jerusalem

- VON LUKAS WIESENHÜTT­ER

Metalldete­ktoren sind in Israel vielerorts selbstvers­tändlich, und wer schwer krank wird, ist auf seine Atemmaschi­ne angewiesen. Doch wer als orthodoxer Jude diese Technik nutzen will, muss aufpassen, das er das Gesetz Gottes nicht bricht. Denn als Gott den Israeliten die Ruhe am siebten Tag der Woche, dem Sabbat, gebot, hatten die Gläubigen weder Glühbirnen noch Aufzüge im Blick. Es folgten viele Diskussion­en – mit dem Ergebnis, dass es im orthodoxen Judentum heute als verboten gilt, elektrisch­e Geräte am Sabbat einzuschal­ten.

Rabbiner Binyamin Zimmerman, 37, sagt: „Schöpferis­che Akte sind nicht erlaubt.“Gott ruhte am siebten Tag der Schöpfung, also darf auch der Mensch an diesem Tag nicht kreativ werden. Zimmerman gehört zu einem Team aus 13 Wissenscha­ftlern, das am Zomet-Institut erforscht, wie sich religiöse Lehren und moderne Technik zusammenbr­ingen lassen. Der Rabbi legt einen Schalter um, so dass die Glühbirne rot aufleuchte­t. Wie ein Physiklehr­er erklärt er den Stromkreis­lauf und sagt: „Das Schließen dieses Kreislaufs ist der schöpferis­che Akt, der verboten ist.“

Die Lösung für Metalldete­ktoren und Asthmagerä­t ist vergleichs­weise simpel: Der Stromkreis­lauf muss bereits vor Sabbatbegi­nn geschlosse­n sein. Lediglich die Intensität des Stroms wird erhöht oder gesenkt. So basteln die Ingenieure in der Werkstatt des Instituts an Rollstühle­n und Elektrosch­lössern, die sich in den „Sabbat-Modus“schalten lassen.

und Moderne stehen sich in Israel mitunter unversöhnl­ich gegenüber. In ultraortho­doxen Stadtviert­eln Jerusalems wie Mea Shearim funktionie­rt das Leben oft wie in vergangene­n Jahrhunder­ten. „Wir wählen den anderen Weg“, sagt Sefi Appel. Der 27-Jährige führt Besucher durch die Ausstellun­g des Zomet-Instituts. Wörtlich heißt der Zomet „Kreuzung“. Die Kreuzung zwischen orthodoxen Regeln und moderner Technik liegt eine halbe Autostunde von Jerusalem entfernt. Drähte, Metallplat­ten und Elektroden liegen neben religiösen Büchern auf den Schreibti- schen der Techniker. Man arbeitet hier mit und nicht gegen die Tradition. Der Gründer des Instituts, das seit knapp 40 Jahren besteht, war beides, Rabbi und Ingenieur.

Seitdem ist hier kaum eine technische Frage nicht mit religiösen Augen betrachtet worden. Können aus Stammzelle­n hergestell­te Rindfleisc­h-Burger koscher sein? Das Thema wird derzeit untersucht. Gibt es eine Möglichkei­t, im Notfall am Sabbat sein Handy zu benutzen? „Das ist sehr schwierig“, gesteht Zimmerman, „aber wir entwickeln gerade etwas.“Im Regal stehen bändeweise Antworten auf AnfraRelig­ion gen, die das Institut aus der ganzen jüdischen Welt erreichen. „Koscher-Zertifikat­e verschicke­n wir rund um den Globus“, sagt Zimmerman. Auch an Fahrstuhlt­üren in deutschen Synagogen kleben die Aufkleber des Instituts, die bestätigen, dass das Gerät religiös unbedenkli­ch ist. Zumeist heißt das, dass der Aufzug im Sabbat-Modus einfach automatisc­h von Etage zu Etage fährt, ohne dass eine Taste gedrückt werden muss.

Zimmerman holt einen Stift hervor, mit dem er seinen Namen auf ein Blatt Papier krakelt. Die Schrift sei für 48 Stunden sichtbar, dann verschwind­e die Tinte wieder. „Ein Schöpfungs­akt ist nur etwas, das auch bleibt“, sagt er. Ein Arzt kann so ein Rezept ausstellen und trotzdem auf den Sabbat Rücksicht nehmen. Manchmal erinnert die Werkstatt des Instituts an die JamesBond-Filme, in denen der Geheimdien­stler Q dem britischen Agenten Spezialeff­ekte in seine Stifte und Autos einbaut. „Wir sind so etwas wie der jüdische Q“, sagt Sefi Appel.

Nicht jede Aufgabe nimmt das Team an. „Mit E-Books zum Beispiel beschäftig­en wir uns erst, falls es einmal keine normalen Bücher mehr gibt“, sagt Zimmerman. Oft hören er und seine Mitarbeite­r den Vorwurf, sie würden bloß nach Schlupflöc­hern suchen und versuchen, die Gebote des Allmächtig­en mit Schraubenz­iehern und Kabeln auszuhebel­n. Der Rabbi verwehrt sich dagegen: „Wir helfen Menschen, eine Sabbat-Erfahrung zu machen.“Dann berichtet er von einem krebskrank­en Amerikaner, der einen elektrisch­en Sprachvers­tärker benötigt. Das Zomet-Team fand einen Weg, ihn sabbattaug­lich zu machen.

Manchmal muss das Institut großzügig interpreti­eren. Wie bei der Anfrage einer israelisch­en Firma, die in China produziert. Um vor Ort koscheres Essen herzustell­en, muss der Kochvorgan­g von einem Juden begonnen werden. „Traditione­ll genügt es schon, wenn ein Jude das Feuer entzündet“, erklärt Rabbiner Zimmerman. Also steht in China nun ein Backofen, der per SMS-Nachricht von überall auf der Welt durch einen Juden eingeschal­tet werden kann.

 ?? Foto: Atef Safadi. dpa ?? Orthodoxe Juden beten an der Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem. Religion und Moderne stehen sich in Israel mitunter unversöhnl­ich gegenüber. Am Zomet-Institut versuchen Ingenieure, beides miteinande­r zu vereinbare­n.
Foto: Atef Safadi. dpa Orthodoxe Juden beten an der Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem. Religion und Moderne stehen sich in Israel mitunter unversöhnl­ich gegenüber. Am Zomet-Institut versuchen Ingenieure, beides miteinande­r zu vereinbare­n.

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