Fan-Irrsinn auf neuem Niveau
Der Typ (vermutlich männlich) trägt ein grünes Ganzkörperkostüm. An einer steilen Rampe hampelt er vor einem Pulk Radprofis herum, winkt, schreit, schlägt den Fahrern auf die Schulter. In der Hand, die nicht auf die bedauernswerten Sportler einprügelt, hält er ein Handy und filmt sich selbst. Alltag auf der Tour de France. Auf fast jeder Bergetappe drängeln sich an den Anstiegen die Zuschauer in dichten Reihen. Für die Fahrer bleibt nur ein schmaler Streifen Straße, auf dem sie sich den Berg hinaufkämpfen. Umtobt von einer Meute außer Rand und Band.
Vielleicht trügt der Eindruck, aber es scheint, als habe dieser Wahnsinn ein neues Niveau erreicht. Distanz und Respekt den Sportlern gegenüber? Mitnichten. Es geht darum, den Akteuren möglichst nahe zu sein. In keiner anderen Sportart bieten sich den Fans mehr Möglichkeiten dazu, was ein Stück weit auch die Faszination der Tour ausmacht.
Das allerdings war auch früher schon so. Was heute dazukommt, ist der schwer nachvollziehbare Drang einiger, sich einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit präsentieren zu wollen. Oft geht es nur darum, ein möglichst spektakuläres Handy-Video zu drehen, das wenige Minuten später bei Facebook hochgeladen wird. Das kann witzig sein, ist meist aber nur nervig, manchmal sogar gefährlich. Was in den Köpfen der Fahrer vorgeht, wenn ihnen wieder mal ein maskierter Clown vor dem Lenker herumspringt, kann man sich vorstellen. Christopher Froome, Topfavorit und momentan im Gelben Trikot, verpasste jüngst einem allzu aufdringlichen Fan eine linke Gerade. Am Anstieg zum Mont Ventoux war er am Donnerstag dann unmittelbar Leidtragender des Zuschaueransturms. Als das vorausfahrende Motorrad im allgemeinen Chaos stark bremsen musste, prallten er und zwei Kollegen dagegen. Da sein Rad dabei zu Bruch ging, musste Froome ein Stück weit laufen. Die Bilder vom Mann in Gelb, der den Berg hinaufrennt, gingen um die Welt.
Das Problem an der Entwicklung ist, dass es kein Gegenmittel gibt. 3519 Kilometer sind die Fahrer quer durch Frankreich unterwegs. Diese Strecke komplett mit Zäunen abzusperren ist unmöglich. In Zeiten des Terrors haben die Behörden ohnehin ganz andere Sorgen. 23 000 Polizisten und Gendarmen sind im Einsatz, um einen Anschlag auf das größte Radrennen der Welt zu verhindern. Um nervige Zuschauer können sie sich nicht auch noch kümmern. Den Fahrern werden diese also nicht erspart bleiben. Fast möchte man deshalb Sympathien hegen für einen wie Froome, der bei Bedarf zum Boxer wird.