Rieser Nachrichten

Glauben Sie an die Liebe? Wenn ja – an welche?

Zwischen Herrschaft, Romantik und Pragmatism­us: Die Geschlecht­erbeziehun­gen haben sich gewandelt. Ein Blick in ihre Geschichte verdeutlic­ht, wo die ewigen Probleme liegen – und neue Chancen zu deren Lösung

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Wochenend-Journal).

Natürlich, da ist der Weltfriede­n. Und die Frage nach Gott. Aber spätestens dann kommt in der Rangliste der komplizier­testen Probleme der Welt die Liebe ( gleichauf vielleicht: der Urknall). Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass die Sache mit den Männern und Frauen auch im 21. Jahrhunder­t mindestens so ungelöst und verwirrend ist wie eh und je, hier einige Indizien: Bei einer aktuellen Studie in Deutschlan­d stimmten fast 90 Prozent der 3100 Befragten der Aussage zu: „Das Gefühl der Liebe ist das höchste Gut.“Nur zehn Prozent fanden richtig: „Für jede Lebensphas­e gibt es einen passenden Partner.“Unter fünf Prozent sagten ja zu: „Man kann gut mehrere Liebesbezi­ehungen gleichzeit­ig haben.“Man kann trotz aller Scheidungs­rekorde sagen: Wir glauben an die Liebe.

Und jetzt der Anteil an den Millionen von Menschen, die über die Dating-App Tinder auf der Suche nach Bekanntsch­aften und Abenteuern sind und zugleich in Ehe oder einer langjährig­en Beziehunge­n leben: 42 Prozent. Die Soziologin Eva Illouz, renommiert­e Partnersch­aftsforsch­erinnen aus Jerusalem und Autorin des Buchs „Die neue Liebesordn­ung“, schreibt: „Das langlebigs­te Ideal unserer Zivilisati­on, der Sinn unseres Lebens, die Liebe, ist kläglich gescheiter­t.“Halten wir also bloß träumerisc­h den Glauben an die Illusion der Liebe aufrecht – handeln aber tatsächlic­h längst eh so, als wäre sie tot?

Nun ist dieser offenkundi­ge Widerspruc­h ja längst nicht das Abenteuerl­ichste, was sich aus der Geschichte der Geschlecht­erbeziehun­gen erzählen lässt. Es gab da zum Beispiel mal Zeiten, in denen ein Mann die Liebe zu seiner Frau auch darin zeigte, dass er des späteren Abends, wenn sie schon zu Bett gegangen war, mit Freunden in ihr Schlafzimm­er kam, um diesen die Reize der Dame offenzuleg­en, nach dem Motto: Decke hoch, seht an, solch ein Prachtexem­plar nenne ich die Meine. Das war im Mittelalte­r, in der Ära der kleinen und großen Burgherren. Aber dann kamen ja auch die Zeiten, in denen sich bei Hof das Leben ballte, kam die Ära der Vergesells­chaftung – da wurden die Herrschaft­en zivilisier­t, gezähmt, die Damen übernahmen mit sanftem Druck und mit Etikette das Sagen…

Es geht in solchen Geschichte­n, wie so oft in den Beziehunge­n der Geschlecht­er, um Macht. Und unweigerli­ch ist ein Buch wie die aktuelle „Geschichte der Liebe“des Innsbrucke­r Erziehungs­wissenscha­ftlers Bernhard Rathmayr eine Fundgrube solcher Verschiebu­ngen zwischen Mann und Frau. Daraus zu schließen, diese Geschichte der Liebe selbst wäre im Wesentlich­en eine Geschichte der Macht, wäre aber wohl ein grobes Missverstä­ndnis. Statt um das Ringen gegeneinan­der geht es doch eigentlich um die Gründe für ein Miteinande­r.

Für Rathmayr gibt es historisch zwei wesentlich­e Fundamente für das, was wir Liebe nennen. Das eine ist das genealogis­che, das andere das romantisch­e Prinzip. Die genealogis­chen Liebe gehorcht dem Kalkül und wählt den Partner aus Erwägungen zur Nützlichke­it. Die Versorgung der Familie, der Fortbe- stand einer Handwerkst­radition, das Überleben einer Adels- und Herrscherd­ynastie, der Ausbau der Macht des eigenes Hauses – es ist das Modell einer Verbindung, die möglichst beiden Partnern und möglichst den Sippen beider nutzt. So was lässt sich arrangiere­n.

Die romantisch­e Liebe ist das Gegenteil. Sie folgt gerade nicht dem Kalkül und dem Nutzen, kennt als Kriterium nur das Gefühl des Einzelnen und die Sehnsucht nach Erfüllung. Und sie wächst mitunter eben auch daran, dass sie dem genealogis­chen Prinzip widerspric­ht, also eigentlich als unmöglich gelten sollte. So wurde sie schließlic­h auch zum Emanzipati­onskeim für die Romane lesenden Frauen des 19. Jahrhunder­ts.

Nach Bernhard Rathmayr ist diese Liebe eine Erfindung der Troubadour­e und Minnesänge­r des Mittelalte­rs, die ja Frauen verehrten, die für sie unerreichb­ar waren. So sei nicht nur das Gedicht aus der unerfüllte­n Sehnsucht entstanden, sondern eigentlich alle Romantik. Im Moment ihrer Erfüllung wird diese Liebe eigentlich zum Widerspruc­h. Und eines der schönsten und berühmtest­en Liebesgedi­chte des 20. Jahrhunder­t, Erich Frieds „Was es ist“, sagt auch kaum etwas Anderes:

Es ist Unsinn sagt die Vernunft Es ist was es ist sagt die Liebe

...

Es ist lächerlich sagt der Stolz Es ist leichtsinn­ig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich sagt die Erfahrung Es ist was es ist sagt die Liebe

Die glücksverh­eißende Unvernunft der romantisch­en Liebe steht im ewigen Widerspruc­h zu Vernunft der genealogis­chen Liebe. Aber es gibt einen großen Entwurf, der in dieser Spaltung zu vermitteln versucht: die christlich­e Ehe. Ursprüngli­ch erhob sie die Vernunft zum Sakrament und stellte die Unvernunft unter Strafe Gottes und der Priester. Dann aber ermöglicht­e sie auch den Beginn einer neuen Genealogie aus Romantik – wenn die Partner nur bereit waren, sich ewige Treue vor Gott zu schwören. Und so legte die Ehe auch das Fundament für eine Art Nachfolgem­odell, die bürgerlich­e Häuslichke­it, die nicht mehr an ein einendes Sakrament gebunden ist, sondern an ein unmittelba­res Heiligtum: die Familie, die Mutter und Vater verbinden. Mit der Familienli­ebe war also etwas Drittes aufgetrete­n.

Und heute? Rathmayr spricht von einem „Babylon der Liebe“, das im Entstehen sei. Eine Vielgestal­theit der Vorstellun­gen der Liebe also, die kaum noch zu ordnen sei. Bestimmend dafür sei nach sexueller Befreiung und Jahrzehnte­n des Wohlstands das Zeitalter des Individual­ismus. Keine Not drängt mehr zur Partnersch­aft, es herrscht das Lust-Prinzip, ein Für-sich statt eines Miteinande­rs: „ein Babylon der Liebe …, das sich aller Verspreche­n der Geschichte der Liebe bedient um das höchste der Gefühle zu erreichen – die Bestätigun­g des eigenen Selbst durch den Anderen, die Andere.“

Als größte Verheißung pflanzt sich auch durch zahllose Kino-Aktualisie­rungen die romantisch­e Idealvorst­ellung fort. In Netzwerken mit Namen wie „Elite-Partner“oder „Parship“werden gezielt Menschen aus dem gleichen Milieu gesucht – ein Wiederaufl­eben des genealogis­chen Prinzips. Ähnlich dem Ansatz der Familienli­ebe ist auch das, was die Soziologin Eva Illouz beobachtet: einen zunehmende­n Pragmatism­us in der Partnersch­aft, auch ohne Kinder. Freunde, die ein Leben teilen. Zumindest für gewisse Zeit Verbindlic­hkeit.

Das birgt Chancen für den Einzelnen und Probleme für Familien. Ist das nun ein Fortschrit­t? Die Autoren jedenfalls sind sich einig: Es ist halt ein Stadium. Auf dem Weg zur Reife. Zur Liebe aus Freiheit zwischen Gleichbere­chtigten. So könnte eines der komplizier­testen Probleme der Welt dereinst gelöst werden. Manche sagen, dass es eigentlich nur noch an einem mangelt: den Männern. Aber das ist ein anderes Thema (nächstes Wochenende im

Führt nun Vernunft oder Unvernunft zum Glück?

Bernhard Rathmayr: Geschichte der Liebe. Wilhelm Fink Verlag, 317 Seiten, 39,90 ¤

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