Glauben Sie an die Liebe? Wenn ja – an welche?
Zwischen Herrschaft, Romantik und Pragmatismus: Die Geschlechterbeziehungen haben sich gewandelt. Ein Blick in ihre Geschichte verdeutlicht, wo die ewigen Probleme liegen – und neue Chancen zu deren Lösung
Natürlich, da ist der Weltfrieden. Und die Frage nach Gott. Aber spätestens dann kommt in der Rangliste der kompliziertesten Probleme der Welt die Liebe ( gleichauf vielleicht: der Urknall). Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass die Sache mit den Männern und Frauen auch im 21. Jahrhundert mindestens so ungelöst und verwirrend ist wie eh und je, hier einige Indizien: Bei einer aktuellen Studie in Deutschland stimmten fast 90 Prozent der 3100 Befragten der Aussage zu: „Das Gefühl der Liebe ist das höchste Gut.“Nur zehn Prozent fanden richtig: „Für jede Lebensphase gibt es einen passenden Partner.“Unter fünf Prozent sagten ja zu: „Man kann gut mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig haben.“Man kann trotz aller Scheidungsrekorde sagen: Wir glauben an die Liebe.
Und jetzt der Anteil an den Millionen von Menschen, die über die Dating-App Tinder auf der Suche nach Bekanntschaften und Abenteuern sind und zugleich in Ehe oder einer langjährigen Beziehungen leben: 42 Prozent. Die Soziologin Eva Illouz, renommierte Partnerschaftsforscherinnen aus Jerusalem und Autorin des Buchs „Die neue Liebesordnung“, schreibt: „Das langlebigste Ideal unserer Zivilisation, der Sinn unseres Lebens, die Liebe, ist kläglich gescheitert.“Halten wir also bloß träumerisch den Glauben an die Illusion der Liebe aufrecht – handeln aber tatsächlich längst eh so, als wäre sie tot?
Nun ist dieser offenkundige Widerspruch ja längst nicht das Abenteuerlichste, was sich aus der Geschichte der Geschlechterbeziehungen erzählen lässt. Es gab da zum Beispiel mal Zeiten, in denen ein Mann die Liebe zu seiner Frau auch darin zeigte, dass er des späteren Abends, wenn sie schon zu Bett gegangen war, mit Freunden in ihr Schlafzimmer kam, um diesen die Reize der Dame offenzulegen, nach dem Motto: Decke hoch, seht an, solch ein Prachtexemplar nenne ich die Meine. Das war im Mittelalter, in der Ära der kleinen und großen Burgherren. Aber dann kamen ja auch die Zeiten, in denen sich bei Hof das Leben ballte, kam die Ära der Vergesellschaftung – da wurden die Herrschaften zivilisiert, gezähmt, die Damen übernahmen mit sanftem Druck und mit Etikette das Sagen…
Es geht in solchen Geschichten, wie so oft in den Beziehungen der Geschlechter, um Macht. Und unweigerlich ist ein Buch wie die aktuelle „Geschichte der Liebe“des Innsbrucker Erziehungswissenschaftlers Bernhard Rathmayr eine Fundgrube solcher Verschiebungen zwischen Mann und Frau. Daraus zu schließen, diese Geschichte der Liebe selbst wäre im Wesentlichen eine Geschichte der Macht, wäre aber wohl ein grobes Missverständnis. Statt um das Ringen gegeneinander geht es doch eigentlich um die Gründe für ein Miteinander.
Für Rathmayr gibt es historisch zwei wesentliche Fundamente für das, was wir Liebe nennen. Das eine ist das genealogische, das andere das romantische Prinzip. Die genealogischen Liebe gehorcht dem Kalkül und wählt den Partner aus Erwägungen zur Nützlichkeit. Die Versorgung der Familie, der Fortbe- stand einer Handwerkstradition, das Überleben einer Adels- und Herrscherdynastie, der Ausbau der Macht des eigenes Hauses – es ist das Modell einer Verbindung, die möglichst beiden Partnern und möglichst den Sippen beider nutzt. So was lässt sich arrangieren.
Die romantische Liebe ist das Gegenteil. Sie folgt gerade nicht dem Kalkül und dem Nutzen, kennt als Kriterium nur das Gefühl des Einzelnen und die Sehnsucht nach Erfüllung. Und sie wächst mitunter eben auch daran, dass sie dem genealogischen Prinzip widerspricht, also eigentlich als unmöglich gelten sollte. So wurde sie schließlich auch zum Emanzipationskeim für die Romane lesenden Frauen des 19. Jahrhunderts.
Nach Bernhard Rathmayr ist diese Liebe eine Erfindung der Troubadoure und Minnesänger des Mittelalters, die ja Frauen verehrten, die für sie unerreichbar waren. So sei nicht nur das Gedicht aus der unerfüllten Sehnsucht entstanden, sondern eigentlich alle Romantik. Im Moment ihrer Erfüllung wird diese Liebe eigentlich zum Widerspruch. Und eines der schönsten und berühmtesten Liebesgedichte des 20. Jahrhundert, Erich Frieds „Was es ist“, sagt auch kaum etwas Anderes:
Es ist Unsinn sagt die Vernunft Es ist was es ist sagt die Liebe
...
Es ist lächerlich sagt der Stolz Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht Es ist unmöglich sagt die Erfahrung Es ist was es ist sagt die Liebe
Die glücksverheißende Unvernunft der romantischen Liebe steht im ewigen Widerspruch zu Vernunft der genealogischen Liebe. Aber es gibt einen großen Entwurf, der in dieser Spaltung zu vermitteln versucht: die christliche Ehe. Ursprünglich erhob sie die Vernunft zum Sakrament und stellte die Unvernunft unter Strafe Gottes und der Priester. Dann aber ermöglichte sie auch den Beginn einer neuen Genealogie aus Romantik – wenn die Partner nur bereit waren, sich ewige Treue vor Gott zu schwören. Und so legte die Ehe auch das Fundament für eine Art Nachfolgemodell, die bürgerliche Häuslichkeit, die nicht mehr an ein einendes Sakrament gebunden ist, sondern an ein unmittelbares Heiligtum: die Familie, die Mutter und Vater verbinden. Mit der Familienliebe war also etwas Drittes aufgetreten.
Und heute? Rathmayr spricht von einem „Babylon der Liebe“, das im Entstehen sei. Eine Vielgestaltheit der Vorstellungen der Liebe also, die kaum noch zu ordnen sei. Bestimmend dafür sei nach sexueller Befreiung und Jahrzehnten des Wohlstands das Zeitalter des Individualismus. Keine Not drängt mehr zur Partnerschaft, es herrscht das Lust-Prinzip, ein Für-sich statt eines Miteinanders: „ein Babylon der Liebe …, das sich aller Versprechen der Geschichte der Liebe bedient um das höchste der Gefühle zu erreichen – die Bestätigung des eigenen Selbst durch den Anderen, die Andere.“
Als größte Verheißung pflanzt sich auch durch zahllose Kino-Aktualisierungen die romantische Idealvorstellung fort. In Netzwerken mit Namen wie „Elite-Partner“oder „Parship“werden gezielt Menschen aus dem gleichen Milieu gesucht – ein Wiederaufleben des genealogischen Prinzips. Ähnlich dem Ansatz der Familienliebe ist auch das, was die Soziologin Eva Illouz beobachtet: einen zunehmenden Pragmatismus in der Partnerschaft, auch ohne Kinder. Freunde, die ein Leben teilen. Zumindest für gewisse Zeit Verbindlichkeit.
Das birgt Chancen für den Einzelnen und Probleme für Familien. Ist das nun ein Fortschritt? Die Autoren jedenfalls sind sich einig: Es ist halt ein Stadium. Auf dem Weg zur Reife. Zur Liebe aus Freiheit zwischen Gleichberechtigten. So könnte eines der kompliziertesten Probleme der Welt dereinst gelöst werden. Manche sagen, dass es eigentlich nur noch an einem mangelt: den Männern. Aber das ist ein anderes Thema (nächstes Wochenende im
Führt nun Vernunft oder Unvernunft zum Glück?
Bernhard Rathmayr: Geschichte der Liebe. Wilhelm Fink Verlag, 317 Seiten, 39,90 ¤