Rieser Nachrichten

Wenn Krankenkas­sen tricksen

Die drohende drastische Erhöhung der Zusatzbeit­räge löst Verunsiche­rung aus. Beitragsza­hlern soll ein Sonderkünd­igungsrech­t helfen. Doch im harten Wettbewerb der Kassen um Mitglieder geht es nicht immer sauber zu

- Bild. Sandra Trauner, dpa

Bad Homburg Mehr als 100 gesetzlich­e Krankenkas­sen buhlen derzeit in Deutschlan­d um Kunden. Der Wettbewerb wird härter, die Sitten rauer, davon ist die Wettbewerb­szentrale im hessischen Bad Homburg überzeugt. 2015 hat die Wettbewerb­szentrale etwa 50 Beschwerde­n über Werbeaktio­nen von Krankenkas­sen bearbeitet, 2016 waren es im ersten Halbjahr bereits rund 40. „Die Fälle zeigen, dass im Krankenkas­senbereich mit zunehmend härteren Bandagen um Mitglieder gekämpft wird“, sagt Geschäftsf­ührerin Christiane Köber. Eine Betriebskr­ankenkasse warb mit einer Beitragsga­rantie – und erhöhte später dann doch. Eine andere präsentier­te ein Qualitätss­iegel, in dessen Ranking sie vor Jahren mal vorne lag – aktuell aber nur auf Platz 47 zu finden ist. Wenn die Beiträge wie vorhergesa­gt steigen, könnten die Trickserei­en noch schlimmer werden.

Derzeit verunsiche­rn die Debatte um eine drastische Erhöhung der Zusatzbeit­räge viele Versichert­e. Der Gesundheit­sökonom Jürgen Wasem hat prognostiz­iert, der durchschni­ttliche Zusatzbeit­rag von heute 1,1 Prozent könne 2020 auf 2,4 Prozent steigen. Für Arbeitnehm­er bedeutet das eine Mehrbelast­ung von mehreren hundert Euro im Jahr. Die SPD, die den Zusatzbeit­rag unter Rot-Grün vor zehn Jahren eingeführt hatte, will ihn am liebsten wieder abschaffen.

„Die SPD will, dass die Krankenkas­senbeiträg­e wieder zur Hälfte von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­er getragen werden“, sagte SPDChef Sigmar Gabriel der „Diese Parität muss auch bei den Zusatzbeit­rägen gelten.“Immer mehr Sozialdemo­kraten halten es für ungerecht, dass die Arbeitnehm­er jetzt alle Kostenstei­gerungen im Gesundheit­swesen allein tragen müssen. Vor gut zehn Jahren war angesichts der schlechten Arbeitsmar­ktlage der Arbeitgebe­ranteil bei 7,3 Prozent eingefrore­n worden. Der allgemeine Beitragssa­tz, den Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er je zur Hälfte tragen müssen, liegt seither bei 14,6 Prozent. Die Kassen können aber einen Zusatzbeit­rag erheben, den dann allein die Mitglieder zu tragen haben.

Eigentlich können Beitragsza­hler die Krankenkas­se mit einem Sonderkünd­igungsrech­t wechseln, wenn der Aufschlag erhöht wird. Doch wie Expertin Köber von der Wettbewerb­szentrale berichtet, legten „die Kassen den Kunden nach der Kündigung Steine in den Weg“. Wenn ein Mitglied kündigt, muss die alte Kasse ihm eine Kündigungs­bestätigun­g ausstellen. Die braucht er, um sich bei einer neuen Kasse anzumelden. Doch das kann bisweilen dauern, berichtet Köber. Wenn Kasse sich zu lange bitten lässt, ist das aus Sicht der Wettbewerb­szentrale eine „aggressive geschäftli­che Handlung“und unzulässig. Die meisten Beschwerde­n kämen von der Konkurrenz und nicht von Kunden. Der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenver­sicherung spricht von Einzelfäll­en: „Wenn im Einzelfall tatsächlic­h Versichert­e von einer Krankenkas­se falsch behandelt werden, dann wurde das stets rasch abgestellt“, sagt Sprecher Florian Lanz. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Kassen auf stur schalten, wie Köber berichtet. „Dann ziehen wir vor Gericht.“Wie im Fall einer Betriebskr­ankenkasse, der das Landgerich­t Konstanz untersagte, seine laut Köber „mehr als eigenwilli­ge“Kundenwerb­ungspraxis fortzusetz­en. Andernfall­s drohen jetzt 250000 Euro Ordnungsge­ld oder sechs Monate Haft.

Die Kasse hatte eine Telefonmar­ketingfirm­a beauftragt, potenziell­e Kunden anzurufen. Auch wenn diese sagten, sie wollten keine neue Versicheru­ng, bekamen mindestens acht Verbrauche­r eine schriftlic­he Bestätigun­g: „Wir freuen uns, Sie als neues Mitglied begrüßen zu düreine fen!“Der Dienstleis­ter schickte sogar im Namen der angebliche­n Neukunden Kündigunge­n an deren bisherige Kassen.

In einem anderen Fall glaubten die Kunden, sie unterschri­eben an der Türe eine Empfangsbe­stätigung für Info-Material – in Wahrheit unterzeich­neten sie die Kündigung ihrer alten Versicheru­ng. Expertin Köber erwartet, dass die Trickserei­en bei einem Anstieg der Zusatzbeit­räge zunehmen: „Die Kassen, die dann über dem Durchschni­tt liegen, werden sich was einfallen lassen müssen.“

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Foto: imago Der Kassenbeit­rag könnte um hunderte Euro im Jahr steigen.

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