Wenn Krankenkassen tricksen
Die drohende drastische Erhöhung der Zusatzbeiträge löst Verunsicherung aus. Beitragszahlern soll ein Sonderkündigungsrecht helfen. Doch im harten Wettbewerb der Kassen um Mitglieder geht es nicht immer sauber zu
Bad Homburg Mehr als 100 gesetzliche Krankenkassen buhlen derzeit in Deutschland um Kunden. Der Wettbewerb wird härter, die Sitten rauer, davon ist die Wettbewerbszentrale im hessischen Bad Homburg überzeugt. 2015 hat die Wettbewerbszentrale etwa 50 Beschwerden über Werbeaktionen von Krankenkassen bearbeitet, 2016 waren es im ersten Halbjahr bereits rund 40. „Die Fälle zeigen, dass im Krankenkassenbereich mit zunehmend härteren Bandagen um Mitglieder gekämpft wird“, sagt Geschäftsführerin Christiane Köber. Eine Betriebskrankenkasse warb mit einer Beitragsgarantie – und erhöhte später dann doch. Eine andere präsentierte ein Qualitätssiegel, in dessen Ranking sie vor Jahren mal vorne lag – aktuell aber nur auf Platz 47 zu finden ist. Wenn die Beiträge wie vorhergesagt steigen, könnten die Tricksereien noch schlimmer werden.
Derzeit verunsichern die Debatte um eine drastische Erhöhung der Zusatzbeiträge viele Versicherte. Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem hat prognostiziert, der durchschnittliche Zusatzbeitrag von heute 1,1 Prozent könne 2020 auf 2,4 Prozent steigen. Für Arbeitnehmer bedeutet das eine Mehrbelastung von mehreren hundert Euro im Jahr. Die SPD, die den Zusatzbeitrag unter Rot-Grün vor zehn Jahren eingeführt hatte, will ihn am liebsten wieder abschaffen.
„Die SPD will, dass die Krankenkassenbeiträge wieder zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmer getragen werden“, sagte SPDChef Sigmar Gabriel der „Diese Parität muss auch bei den Zusatzbeiträgen gelten.“Immer mehr Sozialdemokraten halten es für ungerecht, dass die Arbeitnehmer jetzt alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein tragen müssen. Vor gut zehn Jahren war angesichts der schlechten Arbeitsmarktlage der Arbeitgeberanteil bei 7,3 Prozent eingefroren worden. Der allgemeine Beitragssatz, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte tragen müssen, liegt seither bei 14,6 Prozent. Die Kassen können aber einen Zusatzbeitrag erheben, den dann allein die Mitglieder zu tragen haben.
Eigentlich können Beitragszahler die Krankenkasse mit einem Sonderkündigungsrecht wechseln, wenn der Aufschlag erhöht wird. Doch wie Expertin Köber von der Wettbewerbszentrale berichtet, legten „die Kassen den Kunden nach der Kündigung Steine in den Weg“. Wenn ein Mitglied kündigt, muss die alte Kasse ihm eine Kündigungsbestätigung ausstellen. Die braucht er, um sich bei einer neuen Kasse anzumelden. Doch das kann bisweilen dauern, berichtet Köber. Wenn Kasse sich zu lange bitten lässt, ist das aus Sicht der Wettbewerbszentrale eine „aggressive geschäftliche Handlung“und unzulässig. Die meisten Beschwerden kämen von der Konkurrenz und nicht von Kunden. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung spricht von Einzelfällen: „Wenn im Einzelfall tatsächlich Versicherte von einer Krankenkasse falsch behandelt werden, dann wurde das stets rasch abgestellt“, sagt Sprecher Florian Lanz. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Kassen auf stur schalten, wie Köber berichtet. „Dann ziehen wir vor Gericht.“Wie im Fall einer Betriebskrankenkasse, der das Landgericht Konstanz untersagte, seine laut Köber „mehr als eigenwillige“Kundenwerbungspraxis fortzusetzen. Andernfalls drohen jetzt 250000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monate Haft.
Die Kasse hatte eine Telefonmarketingfirma beauftragt, potenzielle Kunden anzurufen. Auch wenn diese sagten, sie wollten keine neue Versicherung, bekamen mindestens acht Verbraucher eine schriftliche Bestätigung: „Wir freuen uns, Sie als neues Mitglied begrüßen zu düreine fen!“Der Dienstleister schickte sogar im Namen der angeblichen Neukunden Kündigungen an deren bisherige Kassen.
In einem anderen Fall glaubten die Kunden, sie unterschrieben an der Türe eine Empfangsbestätigung für Info-Material – in Wahrheit unterzeichneten sie die Kündigung ihrer alten Versicherung. Expertin Köber erwartet, dass die Tricksereien bei einem Anstieg der Zusatzbeiträge zunehmen: „Die Kassen, die dann über dem Durchschnitt liegen, werden sich was einfallen lassen müssen.“