Das Treffen der schweren Jungs
In diesem Sport sind (fast) alle wegen Dopings vorbestraft. Auch in Rio geben ihre Weltrekorde Anlass zu Misstrauen. Warum sie überhaupt starten konnten und wie ein deutscher Sportler das Problem lösen will
Rio de Janeiro Die Kolosse sind angetreten. Elf Mann mit dem einzigen Auftrag, schwere Hanteln in die Höhe zu stemmen. Mittendrin steht Almir Velagic aus Heidelberg. „Ich bin mit 34 der Älteste und ich bin sauber.“
Das können nicht alle Kolosskollegen in der Klasse über 105 Kilogramm von sich behaupten. Einige von ihnen mussten bereits Dopingsperren absitzen. Es gibt ellenlange Listen des Gewichtheber-Weltverbandes, welche Länder in den vergangenen Jahren besonders negativ in Erscheinung getreten sind.
Velagic interessiert das an diesem Abend nicht. Er weiß, er muss wahrscheinlich in den Bereich seiner Zweikampfbestleistung (433 Kilo) kommen, wenn er sich gegenüber den Olympischen Spielen in Peking 2008 und London 2012 (jeweils Rang acht) verbessern will. Dementsprechend aggressiv muss er in das Höhen-Pokerspiel einsteigen.
Doch beim Reißen kann er nur 188 Klo meistern, im Stoßen muss er sich mit 232 Kilo begnügen. Als er im letzten Versuch an 242 scheitert, hebt er anschließend entschuldigend die Arme. Er hat alles versucht, doch es reicht mit 420 Kilo in der Addition nur zu Rang neun. „Aber selbst mit einer neuen Bestleistung wäre ich vorne nicht dabei gewesen“, tröstet er sich.
Velagic hätte eine Lösung, wie zu ermitteln wäre, ob bei den anderen alles mit rechten Dingen zugeht. „Am besten wäre es, wenn sie uns ein halbes Jahr irgendwo einsperren, und dann schauen wir, wer aufs Podium kommt. Ich glaube, da würden wir kein schlechtes Bild abgeben.“
So aber ist Velagic, der mit seiner bosnischen Familie früher in Kaufbeuren lebte, nur Zuschauer in einem spektakulären Kampf um die Medaillen. Zunächst verbessern der Georgier Lasha Talakhadze (215) und der Iraner Behdad Salimikordasiabi (216) in der aufgeheizten Stimmung des Pavillon Nummer zwei des Riocentro jeweils den Weltre- kord im Reißen. Vor allem die iranischen Zuschauer sind vollkommen aus dem Häuschen.
Die Begeisterung schlägt einige Minuten später in Wut um. Ihr Idol, der Olympiasieger von London, bringt im Stoßen zwar zweimal 245 Kilo nach oben. Doch einmal gibt das Kampfgericht den Versuch ungültig, den zweiten Versuch hält die Jury unter Leitung von Karl Rimböck (Oberopfingen, Kreis Biberach) für regelwidrig, weil der Iraner nachgedrückt habe.
Völlig entnervt scheitert Salimikordasiabi im letzten Durchgang. Die Zuschauer toben, der Heber und seine Trainer wollen mit der Jury ins Gespräch kommen. Alles vergeblich. „Wenn der, der gerade Weltrekord gerissen hat, drei ungültige Versuche im Stoßen hat, kochen die Emotionen hoch – vor allem wenn ein Iraner beteiligt ist“, meint Christian Baumgartner aus Bad Grönenbach, der Präsident des deutschen Gewichtheberverbandes BVDG. „Aber es ist ja alles friedlich abgelaufen.“Wenn die Jury einstimmig eingreife, könne man davon ausgehen, dass die Entscheidung in Ordnung ist.
Auf alle Fälle ist der Weg frei für den Georgier Talakhadze. Der 22-jährige Vizeweltmeister stößt noch kurzerhand 258 Kilo und gewinnt mit dem Weltrekord von 473 Kilo Gold.
„Er war auch schon zwei Jahre wegen Dopings gesperrt“, sagt Almir Velagic, der noch nicht weiß, ob er weiter an der Hantel bleibt. BVDG-Präsident Baumgartner ist in diesen Tagen nicht gut auf das Internationale Olympische Komitee zu sprechen. „Das IOC hat mit den Doping-Nachtests früherer Spiele eine Lawine losgetreten und sich nicht darum gekümmert, was es für Konsequenzen für Rio hat. Das wird das nächste Mal nicht mehr passieren.
Wenn man die Länder, die nun aufgrund dieser Nachtests gesperrt werden, aus den Ergebnislisten streichen würde, hätte man ein ganz anderes Bild. Man könnte sagen, das Timing des IOC war völlig unprofessionell.“Wenn man die Proben so kurz vor den Spielen analysiert, sei klar, dass das Verfahren gegen die Sportler nicht rechtzeitig abgeschlossen werden kann.