Rieser Nachrichten

Geflohen aus der Türkei

Hasan Saglam war in Istanbul ein bekannter Musiker und Autor. Die Protestlie­der des Kurden wurden ihm zum Verhängnis und er musste fliehen – und landete in Nördlingen

- VON BARBARA WILD

Hasan Saglam war in Istanbul ein bekannter Musiker. Die Protestlie­der wurden ihm zum Verhängnis und er musste fliehen – und landete in Nördlingen.

Nördlingen/Donauwörth Es gab eine Zeit, da war es für Hasan Saglam kaum möglich, bei einer Tasse Kaffee in einem Straßencaf­é zu sitzen und nichts befürchten zu müssen – keine Beschimpfu­ng oder Bedrohung, keine Verfolgung durch die Polizei. 2011 drohte ihm Gefängnis in seiner Heimat, der Türkei. Und sie würde ihm auch jetzt noch drohen, wenn er seinen Fuß auf türkisches Staatsgebi­et setzt. Heute aber sitzt er in einem Café in Donauwörth und erzählt seine Geschichte: warum er aus der Türkei fliehen musste, wie er im Landkreis DonauRies gelandet ist und, was er über die neuesten Ereignisse in der Türkei denkt.

Hasan Saglam war in seiner Heimat erfolgreic­her Liedermach­er und Autor. Er kritisiert­e in seinen Songs, wie Kurden in der Türkei behandelt werden, dass sie ihre Kultur, ihre Religion und ihre Geschichte nicht frei leben dürfen. Stattdesse­n müssen die Kinder in die Koranschul­e gehen, die Frauen Kopftuch tragen, sich an den Ramadan halten. „So wollen wir nicht leben“, sagt Hasan Saglam. „Wir wollen frei leben, in einer toleranten Welt.“

Seine Protestlie­der werden im Radio und Fernsehen übertragen. Er singt sie in der Türkei, geht auf Konzertrei­sen durch das Land und sogar nach Europa. Auch seine Bücher über die Geschichte seines Volkes sind erfolgreic­h. Ein Roman über den Massenmord an den verschiede­nen ethnischen Gruppen und die Verschlepp­ung von hunderten Mädchen in seiner Heimatregi­on Dersim (offiziell Tunceli) sorgen aber für Wirbel.

Zudem hatte er sich in jungen Jahren politisch bei der kurdischen Partei HTP engagiert. „Irgendwann wurde mir klar gemacht, dass meine Worte nicht gewollt werden“, sagt der 44-Jährige, selbst Kurde, der zuletzt zehn Jahre in Istanbul lebte und arbeitete. Die Radiostati­onen dürfen seine Songs nicht mehr spielen, er erhält ein Berufsverb­ot, wird mit dem Tode bedroht und er- mahnt, sich zurückzuha­lten. „Es gab für mich keine Möglichkei­t mehr, normal zu leben und zu arbeiten“, sagt er. Als er mal wieder von einer Konzertrei­se aus der Schweiz zurückkomm­t, wird ihm per Brief erstmals eine Haftstrafe angedroht. Doch mit Hilfe seines Anwalts und noch ohne Ausreiseve­rbot kann er fliehen.

Ein Jahr mit Stationen in der Schweiz, Berlin und München folgt, bis die Ausländerb­ehörde ihn nach Nördlingen schickt, wo er als politisch Verfolgter Asyl erhält und bis heute lebt. 2013 ziehen seine Kinder und seine Frau nach, denn auch sie werden in Istanbul bedroht. Polizisten kommen immer wieder und fragen nach dem Vater. Jetzt sind alle in Sicherheit, die Kinder gehen in Nördlingen auf die Schule, sprechen fließend Deutsch.

Für Hasan Saglam ist die Zeit sei- nes Protestes nicht vorbei. Nachdem die politische­n Magazine in der Türkei, für die er immer noch Gedichte verfasste, in den Folgen des Putschvers­uch vor einem Monat verboten wurden, mehr denn je. Er veröffentl­icht seine Lieder auf Youtube, schreibt für Zeitschrif­ten, die in Deutschlan­d erscheinen. Er verfolgt aufmerksam die Entwicklun­g der Türkei, erzählt von befreundet­en Künstlern, die in Angst leben. Wenn er Nachrichte­n seiner Familienmi­tglieder aufs Handy erhält, werden diese sofort gelöscht – sie haben Angst vor Kontrolle. „Die Türkei wird immer gefährlich­er“, sagt er offen.

Die Islamisier­ung schreite immer mehr voran. Präsident Recep Tayyip Erdogan hält er für einen skrupellos­en Machtmensc­hen.„Er hat so viel Macht, weil er Angst verbreitet“, sagt Saglam

Dabei heißt Saglam den Putschvers­uch des Militärs nicht gut, bezweifelt aber, dass die darauf folgenden Massenentl­assungen und Inhaftieru­ngen nicht vorbereite­t gewesen wären. Mit seiner Meinung eckt Saglam auch bei Türken in Deutschlan­d an.

Er kann nicht verstehen, dass sie selbst hier für Erdogan auf der Straße demonstrie­ren. „Ich frage sie, warum sie in Deutschlan­d leben, wenn in der Türkei doch alles so gut sein soll.“Meist erhalte er darauf keine Antwort. Für ihn gibt es derzeit keinen Weg zurück. „Wenn es so weiter geht, sehe ich dafür keine Chance, auch wenn ich meine Familie und unsere Kultur vermisse.“

Er wünsche sich eine Türkei mit einer Demokratie, die für alle Gruppen und Minderheit­en gelte. „Das geht aber nur ohne Erdogan“, sagt Hasan Saglam.

 ?? Foto: Barbara Wild ?? Der kurdische Liedermach­er Hasan Saglam floh 2011 aus der Türkei, weil er wegen seiner Protestson­gs inhaftiert werden sollte. Seit 2012 lebt er mit seiner Familie im Landkreis, aber die Entwicklun­gen in seiner Heimat beunruhige­n ihn.
Foto: Barbara Wild Der kurdische Liedermach­er Hasan Saglam floh 2011 aus der Türkei, weil er wegen seiner Protestson­gs inhaftiert werden sollte. Seit 2012 lebt er mit seiner Familie im Landkreis, aber die Entwicklun­gen in seiner Heimat beunruhige­n ihn.

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