Geflohen aus der Türkei
Hasan Saglam war in Istanbul ein bekannter Musiker und Autor. Die Protestlieder des Kurden wurden ihm zum Verhängnis und er musste fliehen – und landete in Nördlingen
Hasan Saglam war in Istanbul ein bekannter Musiker. Die Protestlieder wurden ihm zum Verhängnis und er musste fliehen – und landete in Nördlingen.
Nördlingen/Donauwörth Es gab eine Zeit, da war es für Hasan Saglam kaum möglich, bei einer Tasse Kaffee in einem Straßencafé zu sitzen und nichts befürchten zu müssen – keine Beschimpfung oder Bedrohung, keine Verfolgung durch die Polizei. 2011 drohte ihm Gefängnis in seiner Heimat, der Türkei. Und sie würde ihm auch jetzt noch drohen, wenn er seinen Fuß auf türkisches Staatsgebiet setzt. Heute aber sitzt er in einem Café in Donauwörth und erzählt seine Geschichte: warum er aus der Türkei fliehen musste, wie er im Landkreis DonauRies gelandet ist und, was er über die neuesten Ereignisse in der Türkei denkt.
Hasan Saglam war in seiner Heimat erfolgreicher Liedermacher und Autor. Er kritisierte in seinen Songs, wie Kurden in der Türkei behandelt werden, dass sie ihre Kultur, ihre Religion und ihre Geschichte nicht frei leben dürfen. Stattdessen müssen die Kinder in die Koranschule gehen, die Frauen Kopftuch tragen, sich an den Ramadan halten. „So wollen wir nicht leben“, sagt Hasan Saglam. „Wir wollen frei leben, in einer toleranten Welt.“
Seine Protestlieder werden im Radio und Fernsehen übertragen. Er singt sie in der Türkei, geht auf Konzertreisen durch das Land und sogar nach Europa. Auch seine Bücher über die Geschichte seines Volkes sind erfolgreich. Ein Roman über den Massenmord an den verschiedenen ethnischen Gruppen und die Verschleppung von hunderten Mädchen in seiner Heimatregion Dersim (offiziell Tunceli) sorgen aber für Wirbel.
Zudem hatte er sich in jungen Jahren politisch bei der kurdischen Partei HTP engagiert. „Irgendwann wurde mir klar gemacht, dass meine Worte nicht gewollt werden“, sagt der 44-Jährige, selbst Kurde, der zuletzt zehn Jahre in Istanbul lebte und arbeitete. Die Radiostationen dürfen seine Songs nicht mehr spielen, er erhält ein Berufsverbot, wird mit dem Tode bedroht und er- mahnt, sich zurückzuhalten. „Es gab für mich keine Möglichkeit mehr, normal zu leben und zu arbeiten“, sagt er. Als er mal wieder von einer Konzertreise aus der Schweiz zurückkommt, wird ihm per Brief erstmals eine Haftstrafe angedroht. Doch mit Hilfe seines Anwalts und noch ohne Ausreiseverbot kann er fliehen.
Ein Jahr mit Stationen in der Schweiz, Berlin und München folgt, bis die Ausländerbehörde ihn nach Nördlingen schickt, wo er als politisch Verfolgter Asyl erhält und bis heute lebt. 2013 ziehen seine Kinder und seine Frau nach, denn auch sie werden in Istanbul bedroht. Polizisten kommen immer wieder und fragen nach dem Vater. Jetzt sind alle in Sicherheit, die Kinder gehen in Nördlingen auf die Schule, sprechen fließend Deutsch.
Für Hasan Saglam ist die Zeit sei- nes Protestes nicht vorbei. Nachdem die politischen Magazine in der Türkei, für die er immer noch Gedichte verfasste, in den Folgen des Putschversuch vor einem Monat verboten wurden, mehr denn je. Er veröffentlicht seine Lieder auf Youtube, schreibt für Zeitschriften, die in Deutschland erscheinen. Er verfolgt aufmerksam die Entwicklung der Türkei, erzählt von befreundeten Künstlern, die in Angst leben. Wenn er Nachrichten seiner Familienmitglieder aufs Handy erhält, werden diese sofort gelöscht – sie haben Angst vor Kontrolle. „Die Türkei wird immer gefährlicher“, sagt er offen.
Die Islamisierung schreite immer mehr voran. Präsident Recep Tayyip Erdogan hält er für einen skrupellosen Machtmenschen.„Er hat so viel Macht, weil er Angst verbreitet“, sagt Saglam
Dabei heißt Saglam den Putschversuch des Militärs nicht gut, bezweifelt aber, dass die darauf folgenden Massenentlassungen und Inhaftierungen nicht vorbereitet gewesen wären. Mit seiner Meinung eckt Saglam auch bei Türken in Deutschland an.
Er kann nicht verstehen, dass sie selbst hier für Erdogan auf der Straße demonstrieren. „Ich frage sie, warum sie in Deutschland leben, wenn in der Türkei doch alles so gut sein soll.“Meist erhalte er darauf keine Antwort. Für ihn gibt es derzeit keinen Weg zurück. „Wenn es so weiter geht, sehe ich dafür keine Chance, auch wenn ich meine Familie und unsere Kultur vermisse.“
Er wünsche sich eine Türkei mit einer Demokratie, die für alle Gruppen und Minderheiten gelte. „Das geht aber nur ohne Erdogan“, sagt Hasan Saglam.