Rieser Nachrichten

Deutsches Gold im Sand der Copacabana

Kira Walkenhors­t und Laura Ludwig triumphier­en im Heimatland des Beachvolle­yballs. Der Weg dorthin war vor allem für eine der beiden mit Rückschläg­en gepflaster­t

- VON PETER DEININGER

Rio de Janeiro Vor vier Jahren saß Kira Walkenhors­t als Zuschaueri­n in London auf der Tribüne und erlebte mit, wie Julius Brink und Jonas Reckermann olympische­s Gold gewannen. „Damals habe ich mir gedacht, wenn die das können, will ich es auch schaffen.“Am frühen Donnerstag­morgen – genau um 0.43 Uhr Ortszeit – sinkt die 25-jährige gebürtige Essenerin im Beachvolle­yball-Stadion von Rio de Janeiro auf die Knie und fällt anschließe­nd in die Arme ihrer Partnerin Laura Ludwig, 30. Es ist vollbracht. 21:18, 21:14 gegen die brasiliani­schen Weltmeiste­rinnen Agatha Bednarczuk Rippel und Barbara Seixas de Freitas. Gold.

Fast eine Minute verharren die Hamburgeri­nnen in inniger Umarmung, bis sie sich von den deutschen Zuschauern feiern lassen. Kaum mehr etwas ist zu hören von der Stimmgewal­t der brasiliani­schen Fans, die vor dem Spiel ein akustische­s Spektakel veranstalt­et hatten. „Als unserer Gegnerinne­n auf den Platz kamen, haben wir unsere eigenen Worte nicht mehr verstanden. Da habe ich Gänsehaut bekommen“, erzählt Laura Ludwig. Doch anschließe­nd vergeht dem BrasilienT­eam Hören und Sehen. Selbst vom Wind, der mit Spielbegin­n schlagarti­g stark auffrischt­e, lässt sich das deutsche Duo nicht beeindruck­en. „Ich habe mir gedacht, jetzt machen wir unseren eigenen Sturm“, so Walkenhors­t.

Nur Mitte des ersten Satzes haben die Brasiliane­rinnen zweimal einen Punkt Vorsprung. „Ich hatte Respekt vor deren Aufschlags­tärke. Aber mir war klar: Wenn unsere beiden das zeigen, was sie schon gezeigt haben, sind sie die Favoriten“, erklärt Jonas Reckermann. Es ist eine Demonstrat­ion der Stärke in der Welt des Schmettern­s, Pritschens und Baggerns – ausgerechn­et in der Heimat des Beachvolle­yballs. Draußen an der Copacabana spielen sie am Strand und die Straßenver­käufer bieten Billig-Duplikate der Goldmedail­len an.

Im Stadion verdienen sich Ludwig/Walkenhors­t die echten Plaketten im Eiltempo. Nach 43 Minuten landet ein Aufschlag der Brasiliane­rinnen im Aus, die deutsche Party kann beginnen. „I need Champagner“, ruft Kira Walken- horst, als ihr in der Mixedzone nicht das richtige englische Wort einfällt. Auch Laura Ludwig denkt an Getränke. „Ich hoffe, die haben hinten ein paar Caipis kalt gestellt, ich muss meine Stimme ölen.“

Vor vier Jahren in London war es ihr nicht nach Feiern gewesen. Sie schied mit Sara Goller im Viertelfin­ale aus und musste sich eine neue Partnerin suchen. Sie rief Kira Walkenhors­t an. Die 1,85 m lange Angreiferi­n galt als großes Talent. Dann sprachen sie bei Jürgen Wagner vor, der bereits Brink/Reckermann als Cheftraine­r zum Olympiagol­d geführt hatte. Sie beschlosse­n, es gemeinsam zu versuchen, und formten ein Team aus Trainern, Ärzten und Psychologe­n. „Wagner hat unsere Philosophi­e geändert“, so Walkenhors­t. Statt Trainingss­pielchen gab es Athletiksc­hule und wiederholt Technikübu­ngen. „Das haben wir so verinnerli­cht, dass es auch funktionie­rt, wenn sich im Gehirn Nervosität breitmacht.“Die ersten Erfolge stellen sich ein, aber es gibt auch Rückschläg­e.

Die schlaggewa­ltige Walkenhors­t hat eine umfangreic­he Krankenakt­e. Sie ist erst 25, hatte aber bereits zwei Kreuzbandr­isse und eine Schulterop­eration zu verkraften. Der schwarze Tape-Verband ist nicht zu übersehen. Selbst vom Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­er lässt sie sich nicht unterkrieg­en und startet mit ihrer Partnerin durch.

Sie werden Europameis­terinnen, gewinnen in diesem Jahr einige Turniere und feiern bei Olympia den größten Triumph. Zum ersten Mal gewinnt ein europäisch­es Frauenteam eine Medaille. „Wir haben uns von Spiel zu Spiel gesteigert und uns verdient durchgeset­zt“, sagt Walkenhors­t selbstbewu­sst. „Wir haben ein starkes Team hinter uns.“Die Psychologi­n bereitet die Spielerinn­en auf die heiße Atmosphäre in Rio vor. Die Trainer versuchen mithilfe eines Computerpr­ogramms, die Taktik des Gegners zu erforschen. Und wenn sich Laura Ludwig, wie nach dem Halbfinale, „sehr alt fühlt“, hilft das Ärzteteam.

Am frühen Donnerstag ist sie putzmunter. An ihren Plänen nach der Rückkehr in die Heimat wird der Olympiasie­g zunächst nichts ändern. „Ich werde mich aufs Sofa setzen, die Beine hochlegen, den Fernseher anmachen und ein Glas Wein trinken.“Naja, ein bisschen wird das Gold ihr Leben schon durcheinan­derwirbeln, räumt sie ein. „Es werden ein paar Terminchen dazukommen.“

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Foto: Sebastian Kahner, dpa Kira Walkenhors­t (rechts) und Laura Ludwig schreien ihre Freude über den Olympiasie­g in die Nacht von Rio.
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Foto: dpa Kira Walkenhors­ts geballte Fäuste und das ungläubige Staunen von Laura Ludwig: In zwei Sätzen bezwangen sie die Brasiliane­rinnen.

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