Unfair wie nie
Die Zuschauer an den Wettkampfstätten in Rio fallen immer wieder durch unsportliches Verhalten auf. Überall wird gebuht und gepfiffen. Das hat jetzt selbst den IOC-Boss verärgert
Rio de Janeiro Die brasilianische Zuschauerkultur ist geprägt von „Rei Futebol“, von König Fußball. Deshalb feuern die brasilianischen Fans bei Olympia an, als wären es alles Fußball-Spiele. Da wird der Gegner schon mal massiv ausgebuht. So wie am späten Mittwochabend beim Beachvolleyball-Länderspiel Brasilien gegen Deutschland – Agatha und Barbara sowie Laura Ludwig und Kira Walkenhorst spielten in der Arena von Rio an der Copacabana um olympisches Gold. Immer wieder ging ein „Buuuuh“-Sturm über die Deutschen nieder, wenn sie beim Aufschlag waren. „Zum Glück konnten wir das ausblenden“, sagte Laura Ludwig. Alles noch im Rahmen (siehe eigenen Bericht zu dem Spiel auf der ersten Sportseite).
Aber schon mehrfach sind brasilianische Zuschauer mit ihrem Verhalten völlig aus dem Rahmen gefallen: unterbrachen immer wieder mit Pfiffen und Rufen die Startvorbereitungen wie etwa beim Schwimmen und brachen den französischen Stabhochspringer Renaud Lavillenie. Erst beim Wettbewerb, den sensationell der Brasilianer Thiago Braz da Silva gewann. Dann einen Tag später bei der Siegerehrung. Mit Pfiffen und Buhrufen. Schwer vorstellbar, dass es jemals ein noch unfaireres Publikum in einem olympischen Gastgeberland gegeben hat.
Mario Andrada, Sprecher des brasilianischen Olympia-Organisationskomitees, hatte vor ein paar Tagen noch lapidar gesagt: „Buhrufe sind eine Form, die Leidenschaft auszudrücken, wenn auch nicht die allereleganteste. Und Leidenschaft ist das, was wir von den Olympia-Fans wollen.“Ein paar beschämende Buh-Fälle später teilte er aber mit: „Pfiffe und Buhrufe sind kein korrektes Verhalten, selbst nicht in Eins-gegen-eins-Wettkämpfen und mit einem Brasilianer, der Chancen auf den Olympiasieg hat.“
Zumindest Andrada gab sich also reumütig. Freilich nicht ohne Druck von oben. Denn der in seiner Wortwahl sonst so bedächtige Thomas Bach hatte doch auch einmal Klartext geredet. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees teilte nämlich mit, dass es ein „schockierendes Verhalten des Publikums“gewesen sei, Renaud Lavillenie auszubuhen. „Inakzeptabel bei Olympia.“
Das sehen die brasilianischen Athleten nicht anders. Schwimmerin Joana Maranhão sagte nach dem frühen Aus über 200 Meter Schmetterling unter Tränen dem Sender
„Brasilien ist ein sehr rassistisches, sehr machistisches und sehr homophobes Land. Es kommt aus einer Fußball-Kultur und die Leute denken, sie haben bei einer olympischen Sportart das Recht, uns zu behandeln wie einen Fußballer. Das haben Fußballer nicht verdient und wir auch nicht.“Ein Problem dabei ist, dass die Brasilianer etliche Sportarten nicht richtig kennen, nicht wissen, was sich dort gehört. Und was sich eben nicht gehört.
Auch Michel Vesper, Chef de Mission der deutschen Olympiamannschaft, hat so seine Erfahrungen mit dem Publikum der Gastgeber gemacht: „Die Brasilianer feuern in besonderer Weise brasilianische Sportler an“, sagte er auf Anfrage dieser Zeitung. Die Frage sei, wie man sich Athleten aus anderen Ländern gegenüber verhalte. „Und da gab es solche und solche Momente. Auch deutsche Sportler wurden ausgepfiffen. Aber ich habe auch erlebt, dass deutsche Athleten besonders fair behandelt wurden.“Er merkte noch mit einem Schmunzeln an: Ob das mit der 1:7-Niederlage der brasilianischen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM vor zwei Jahren zusammenhänge, wisse er nicht.
Die brasilianisch-deutschen Finaltage in Rio gehen jedenfalls weiter. Morgen (22.30 Uhr) geht es im Maracanã bei den Fußballern um Gold. Und darum, wie sich das brasilianische Publikum verhält.