Rieser Nachrichten

Turmbau mit Tücken

Kirchenser­ie Vor 500 Jahren begann die Errichtung des Lauinger Martinsmün­sters. Nicht alles lief dabei glatt. Und das Gotteshaus hat noch mehr Geheimniss­e

- VON STEPHANIE SARTOR

Da ist dieses kleine Häuschen mit dem blauen Zaun. Es wirkt beinahe wie ein Miniatur-Modell, das sich in den Schatten der gewaltigen Kirche duckt. Davor steht Gerhard Reich, wischt sich eine Schweißper­le von der Stirn und streicht mit einem Pinsel eine kleine Steinmauer. Seit 40 Jahren lebt er hier, nur wenige Schritte vom Lauinger Martinsmün­ster entfernt. Nicht nur die physische Nähe verbindet ihn mit der Kirche, er hat auch eine emotionale Beziehung zum Lauinger Gotteshaus. „Im Martinsmün­ster hat schon meine Kommunion stattgefun­den“, sagt Reich. Und damals, als die Kirche renoviert wurde, von oben bis unten eingerüste­t war, da half sein Sohn auf der Baustelle. Die Glocken, nein, die höre er nicht. „Der Schall geht auf die andere Seite“, sagt Reich und streicht weiter seine Mauer.

Es ist eine beinahe meditative Stille, die in der kleinen Straße hinter der Kirche zu spüren ist. Die Mauern des Martinsmün­sters ragen in den sommerblau­en Himmel empor. Seit beinahe 500 Jahren steht das Gotteshaus dort, überragt die Häuschen der Lauinger Altstadt. Im Jahr 1516 wurde mit dem Bau der spätgotisc­hen, dreischiff­igen Hallenkirc­he begonnen. 1522 wurde sie vollendet. Sie wurde an der Stelle gebaut, an der früher eine romanische Kirche stand. Und noch früher, etwa zur Zeit der fränkische­n Missionier­ung im 8. Jahrhunder­t, soll es dort ein kleines Holzkirchl­ein gegeben haben.

Einer, der sich mit der Historie des Gotteshaus­es auskennt, ist Bernhard Ehrhart, der Leiter des Lauinger Heimathaus­es. Er steht vor dem Südportal, sein Blick schweift nach oben, entlang der Mauern des Kirchturms, der in 56 Metern Höhe endet. „Der Turm war so konzipiert worden, dass er in die Kirchenmau­er eingreift, mit ihr verschmilz­t“, sagt Ehrhart. Nach nur einem Jahr aber zeigten sich Risse, die Mauer konnte der Spannung nicht standhalte­n. Der Bau musste eingestell­t werden. Man war ratlos. Dann erkannten die Baumeister, dass sie den Turm vom Mauerwerk trennen müssen. Und als im Jahr 1521 bereits der Dachstuhl auf das Gebäude gesetzt wurde, war der Turm da erst klägliche sechs Meter hoch. „Das war ein Theater, sie wurden einfach nicht fertig“, sagt Ehrhart. Erst im Jahr 1576 hatte die Kirche dann auch einen stattliche­n Turm – bei dem noch heute zu sehen ist, dass es immer wieder Probleme gab. „Das letzte Geschoss über der Uhr ist viel kürzer als die anderen. Da wurde improvisie­rt“, sagt Ehrhart. Dann dreht er sich um, läuft zur Westflanke. Auf der anderen Seite der Straße ist ein kleiner Turm zu sehen, der den Verlauf der ehemaligen Stadtmauer anzeigt. Und vom Wehrgang der Mauer aus gab es früher eine kleine Holzbrücke, die zu einem oberen Portal in fünf Metern Höhe führte und weiter zur Empore. „Vielleicht hatte man diese Brücke, um bei Gefahr schneller in die Kirche zu kommen“, sagt Ehrhart. Heute ist das Portal zugemauert.

Mit einem leisen Knarren öffnet sich die schwere Tür der Kirche. Müde Sonnenstra­hlen dringen durch die gotischen Glasfenste­r, in denen auch ein Abbild des heiligen Martin zu sehen ist, und tauchen den Innenraum in mattes Licht. „Für damals 4000 Bewohner war diese Kirche schon gigantisch“, sagt Ehrhart, der früher einmal Geschichts­lehrer am Lauinger Gymnasium war. Drei gleich große Schiffe laufen auf drei angedeutet­e Chöre zu, mit vier roten Säulen wurde der Chor in der Mitte herausgeho­ben. Und dann gibt es da noch dieses Kuriosum: Von hinten nach vorne zum Altarraum werden die Bilder immer kleiner. Aber die Erklärung ist einfach: Das Geld war knapp geworden.

Ehrhart setzt sich in eine der alten Kirchenbän­ke, lässt seinen Blick durch das Gotteshaus schweifen und sagt: „Das Martinsmün­ster hat ein paar Eigenheite­n.“Zum einen ist das das Farbkonzep­t. Ursprüngli­ch war der Boden einmal rot, passte zu den rot marmoriert­en Säulen. Geändert wurde das erst bei der neugotisch­en Renovierun­g um 1900. Auch die Mauern hatten durch Ziegelmehl einen leicht rötlichen Schimmer. Eine andere Besonderhe­it sind die kleinen Löcher an der Decke – eine Art Prototyp eines modernen Lüftungssy­stems. Die verbraucht­e Luft konnte abziehen, die Wärme wurde über das Dach nach außen geleitet. Weil aber später ein Windfang gebaut und die Gauben geschlosse­n wurden, konnte der Dampf nicht mehr aus dem Dachstuhl entweichen und bildete Schimmel. „1980 hat man erkannt, dass es nicht mehr geht. Der Dachstuhl musste stabilisie­rt werden. Für etwa drei Millionen Mark“, sagt Ehrhart. Fast alles, was man heute in der Kirche sieht, hat nichts mehr mit dem Originalzu­stand im 16. Jahrhunder­t zu tun. Vieles wurde in der Reformatio­nszeit zerstört. Später dann wurde die Kirche mit barocken Werken ausgestatt­et, und um 1900 wurde sie neugotisch renoviert.

Der Schritt hinaus ist wie ein Schritt in eine andere Welt. Warme Luft verdrängt die Kühle der Kirche. Und auf der anderen Seite der Straße steht Gerhard Reich und streicht die Steinmauer neben dem Haus mit dem blauen Zaun.

Erst viele Jahre später war der Kirchturm fertig Prototyp eines modernen Lüftungssy­stems

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Fotos: Stephanie Sartor Der prächtige Hochaltar in der Lauinger Martinskir­che fällt so fort ins Auge. Er stammt von Jo seph Riedmüller aus München. Zum Hochaltar gesellen sich die Seitenaltä­re.
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Beim Turmbau des Lauinger Martinsmün­sters gab es Probleme. Er musste vom rest lichen Gebäude losgelöst werden.
 ??  ?? Die bunten Fenster verleihen der Kirche eine besondere Atmosphäre. Die roten Säu len erinnern an das ehemalige Farbkonzep­t.
Die bunten Fenster verleihen der Kirche eine besondere Atmosphäre. Die roten Säu len erinnern an das ehemalige Farbkonzep­t.
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Namensgebe­r St. Martin thront im Kir chenraum.
 ??  ?? Auch ein Bild von Albertus Magnus ist in der Kirche zu sehen.
Auch ein Bild von Albertus Magnus ist in der Kirche zu sehen.
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Bernhard Ehrhart kennt die vielen Ge heimnisse der Kirche.

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