Böser Biber?
Die CSU will nicht nur dem streng geschützten Nager, sondern auch dem Kormoran an den Kragen. Worüber Landwirte und Fischzüchter schimpfen, wie groß die Schäden in Bayern sind und warum Tierschützer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen
Die Fotos auf dem Küchentisch von Willi Stadelmeier erzählen eine Geschichte. Es ist die Geschichte eines Konflikts. Zwischen Mensch und Tier. Zwischen Stadelmeier und dem Biber. Der 59-Jährige sitzt auf seiner Eckbank in Oberringingen, einem winzigen Dorf im Landkreis Dillingen, in dem es statt Straßennamen nur Hausnummern gibt. Durch das Fenster mit den roten Vorhängen fällt eine müde Frühlingssonne. Stadelmeier zeigt auf eines der Fotos, die auf der grün-weiß gemusterten Tischdecke liegen, und sagt: „Auf einmal hat es gerumst.“
Auf dem Bild ist sein Traktor zu sehen. Das rechte Hinterrad hängt in der Luft, das linke Vorderrad ist vollständig im weichen Wiesenboden versunken. Stadelmeier und sein Gefährt waren eingebrochen, weil der Untergrund von einem Biber unterhöhlt worden war. Fast wäre er vom Fahrersitz geflogen. „Und fast wäre der ganze Traktor umgekippt“, sagt er. Der Unfall war für Stadelmeier der unangenehme Höhepunkt im Konflikt mit dem Biber. Für ihn gibt es keine Wahl: „Irgendwie muss man ihn aufhalten.“
Die Wiese, auf der Stadelmeiers Traktor vor drei Jahren im Boden einbrach, ist nur wenige Minuten vom Hof entfernt. Der Mann steht am Ufer der Kessel, die sanft vor sich hin plätschert. Eine buschige grau-schwarze Bisamratte taucht ein paar Meter von ihm entfernt unter. Doch die Ratten, die sind hier nicht das Problem. Sondern die Biber. „Ich habe an meinem Abschnitt schon sechs Stück gesehen“, sagt der Oberringinger. Ein kalter Wind zerzaust sein Haar, lässt das winterblasse Schilf am Ufer zittern. Stadelmeier deutet auf braune Flecken auf dem Gras, die alle paar Meter das Wiesengrün unterbrechen. „Da habe ich überall schon Löcher aufgefüllt“, sagt er. Das Grundstück hat der ehemalige Landwirt verpachtet. „Wenn ich mich nicht um die Löcher kümmere, kann der Pächter die Fläche nicht bewirtschaften – und dann zahlt er nichts.“
Der Eingang zu den Biberbauten liegt im Fluss, unter Wasser, um zu vermeiden, dass Füchse oder Dachse hineingelangen. Vom Eingang aus graben sich die Nager nach oben, Richtung Wiese. Und weil so der Boden immer mehr unterhöhlt wird, gibt er irgendwann nach. Der ein oder andere Spaziergänger habe sich schon in einem tiefen Loch wiedergefunden. „Und auch hier am Ufer bricht die Erde weg“, sagt Stadelmeier und kickt mit seiner Fußspitze ein paar dunkle Brocken zur Seite.
Landwirte in ganz Bayern haben mit Schäden zu kämpfen, die durch Biber verursacht werden. Der Bauernverband verweist auf aktuelle Zahlen aus dem Umweltministerium. Demnach haben bayerische Land-, Forst- und Teichwirte im Jahr 2016 Schäden in Höhe von 610128 Euro gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Immer wieder brechen, wie im Fall von Willi Stadelmeier, Traktoren ein. Äcker und Wiesen werden überschwemmt, Bäume knicken um. Weil der Freistaat aber nur 450 000 Euro zum Schadensausgleich zur Verfügung stellt, können mit dem sogenannten Biberfonds längst nicht alle Schäden beglichen werden.
Ein weiterer Haken ist: Schäden, die der öffentlichen Hand, etwa Kommunen, entstehen, werden überhaupt nicht ausgeglichen. Die Gemeinden bleiben auf mitunter hohen Kosten für Wartungs- und Reparaturarbeiten an den Flüssen sitzen. Aber nicht nur Kommunen und Landwirte haben wegen des Nagers immer wieder Probleme. In der Oberpfalz kippte ein von einem Biber angeknabberter Baum auf einem Spielplatz um, eine Frau und ein Kind wurden dabei verletzt. In Niederbayern krachte ein Baum, der ebenfalls von einem Biber angenagt worden war, in eine Stromleitung, und im Allgäu kam es zu einem Verkehrsunfall, nachdem ein Baum auf eine viel befahrene Straße gestürzt war.
Der Biberbestand im Freistaat wird auf etwa 16000 Tiere geschätzt. Und vielen davon will die CSU nun an den Kragen. Der Schutz des Nagetieres soll weiter aufgeweicht werden. Mehrere Landtagsabgeordnete verlangen in einem Antrag eine Verlängerung der sogenannten Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung, nach der die Biber getötet werden dürfen, wenn sie in einem Gebiet besonders schwere Schäden anrichten oder eine Gefahr darstellen, etwa für den Verkehr oder für Wanderer. Die Verordnung läuft eigentlich im Juli dieses Jahres aus – nach dem Willen der CSU soll sie nun um zehn Jahre verlängert werden. Außerdem sollen die bisherigen Bestimmungen dahingehend geändert werden, dass begründete Anträge auf „Entnahme“– was oft nichts anderes als die Tötung der Biber bedeutet – künftig nicht mehr nur genehmigt werden können, sondern genehmigt werden sollen. Bislang entscheiden die Landratsämter selbst, ob Biber auf Antrag in bestimmten Regionen gejagt werden dürfen. In Zukunft soll, so will es die CSU, in ganz Bayern die gleiche Praxis für die Jagd und die Tötung der Biber angewandt werden. „Ich möchte, dass der mögliche Rahmen ausgeschöpft wird“, sagt der CSU-Landtagsabgeordnete Klaus Steiner. Im Klartext heißt das: Mehr Biber sollen abgeschossen werden. Steiner geht sogar noch einen Schritt weiter: „Man muss überlegen, ob man diese UnterSchutz-Stellung nicht generell aufhebt.“Es gehe ihm nicht nur um die vielen Biberschäden, sondern auch um den ökologischen Aspekt. „Ich kenne Bachläufe, wo der schützenswerte Auwald vom Biber schwer beschädigt wurde.“
Mittlerweile sind die Anträge vom Umweltausschuss beschlossen worden. Jetzt wird im Agrarausschuss darüber beraten. Wenn auch der zustimmt, sei die Sache durch, sagt Steiner.
Angesichts solcher Pläne kann Dieter Leippert, Vorsitzender des Bund Naturschutz im Landkreis Dillingen, nur den Kopf schütteln. Er sieht im Vorstoß der CSU die Gefahr, dass Biber in Bayern bald generell, ohne Wenn und Aber, abgeschossen werden. Leippert steht auf einer matschigen Wiese zwischen dürren, hüfthohen Grashalmen hinter dem Sportplatz der Stadt Höchstädt, nur 15 Fahrminuten von Willi Stadelmeiers Grundstück entfernt. Ein Biberproblem gibt es seiner Meinung nach nicht. Er dreht den Spieß sogar um: „Das Problem sind wir“, sagt er und stapft entlang eines schmalen Flusses, der durch einen Biberdamm aufgestaut ist. „Wir haben die Gewässer selbst kaputt gemacht und den Lebensraum für die Tiere immer mehr eingeengt“, sagt Leippert. Einen Großteil des Konflikts könne man schon allein dadurch entschärfen, wenn die Felder und Wiesen nicht mehr bis unmittelbar ans Ufer bewirtschaftet würden, meint der Tierschützer.
Dann deutet er nach rechts, ein Stück weit den Bach hinauf. Eine kunstvolle Kuppel aus Ästen und Zweigen erhebt sich aus dem Wasser: die Biberburg, wo das Elternpaar seine Jungen aufzieht. Der Wind frischt auf. Die Schilfrohre rascheln in der kühlen Abendluft, jeder Schritt auf dem braunen, trockenen Gras knirscht, als würde man auf Kartoffelchips treten. Leippert zieht seinen grauen Schal enger um seinen Hals. Er ärgert sich, dass viele Menschen nicht gut genug über den Biber informiert sind und nicht wissen, wie nützlich er für die Natur ist. „Etwa 27 Arten profitieren vom Biber“, sagt er. So gebe es in seinem Lebensraum mehr Amphibien wie etwa die Gelbbauchunke. Außerdem entstünden durch die Aufstauung durch Biberdämme ruhigere Bereiche im Wasser, die ideal für junge Fische seien. Gleichzeitig könnten sich im stehenden Flusswasser mehr Insekten ansiedeln. Und das wiederum bedeute mehr Nahrung für die Vögel.
Von einer rasanten Bibervermehrung könne nicht die Rede sein, sagt Leippert. „Die Zahlen haben sich kaum verändert. Auch wenn der Bauernverband das nicht glauben mag.“Ein Biberpaar braucht etwa eine Strecke von zwei Kilometern. In diesem Bereich lassen es die Tiere nicht zu, dass sich andere Artgenossen ansiedeln. „Und nachdem es nicht mehr Flüsse als früher gibt, gibt es auch nicht mehr Biber. Sie regulieren sich von selbst. Viele sterben bei dem Versuch, sich in einem fremden Revier niederzulassen“, erklärt der Naturschützer.
Bereits jetzt werden im Landkreis Dillingen pro Jahr etwa 30 Biber „abgefangen“. Noch so ein Begriff, der meist den Abschuss der Tiere meint. Das geschieht etwa dann, wenn große Löcher in der Nähe von Kindergärten entdeckt werden oder die Gefahr besteht, dass eine Straße absackt. „Und dagegen wehren wir uns auch gar nicht“, sagt Leippert. Doch wenn die Tötung künftig erleichtert wird, befürchtet er, dass der Biber in Bayern bald wieder ausgerottet sein könnte.
So wie damals, Mitte des 19. Jahrhunderts, als der zweitgrößte Nager der Welt, der bis zu 1,3 Meter lang werden kann, von der Bildfläche verschwand. Sein Pelz, sein Fleisch und das Bibergeil, ein fetthaltiges Sekret aus den Drüsensäcken, waren heiß begehrt. Erst Mitte der 1960er Jahre kam der Biber wieder zurück nach Bayern.
Der pelzige Nager ist nicht das einzige streng geschützte Tier, das der CSU ein Dorn im Auge ist. Auch auf den Kormoran, oft als Fischdieb verschrien, haben es die Christsozialen abgesehen. Auch für ihn soll die Artenschutzrechtliche Ausnahmeverordnung um zehn Jahre verlängert werden. Auch er soll künftig weiter abgeschossen werden dürfen.
Ein richtiger Schritt, findet Armin Endhart, der in Dickelsmoor im Landkreis Aichach-Friedberg eine Fischzucht betreibt. Er steht in dunkelgrünen Gummistiefeln am Ufer eines seiner Teiche, aus denen hin und wieder ein Platschen zu hören ist, wenn eine Forelle an die Oberfläche kommt. „Jeder Kormoran vertilgt etwa 1,5 Kilogramm Fisch pro Tag“, erzählt er. Hinzu kommt, dass viele Fische durch den Vogel verletzt werden und dann verenden. „Außerdem herrscht so permanent Stress im Teich.“
Endhart hat noch zwei weitere Fischzuchtanlagen, eine in Wabern im Landkreis Landsberg, eine andere in Hattenhofen, ebenfalls im Landkreis Landsberg. Dort habe er oft rund 25 Kormorane zu Besuch, auch Netze könnten die Vögel nicht abwehren. Der Schaden summiere sich mittlerweile auf mehrere tausend Euro pro Jahr. „So geht es fast allen gewerbsmäßigen Fischzüchtern“, sagt er.
Dabei sorgt er sich nicht nur um seine eigene Zucht, sondern auch um die vielen bayerischen Flüsse. „Der Staat gibt hunderttausende Euro aus, um Fische wieder anzusiedeln. Und dann sind die Flüsse wieder komplett leer und die Arbeit von vielen Jahren wurde zunichtegemacht“, sagt er. Dann betritt er einen kleinen Raum, in dem Mitarbeiter gerade Fische auseinandernehmen. Auf einem Schreibtisch liegen Fotos. Sie zeigen einen toten Kormoran, der eine etwa 700 Gramm schwere Bachforelle im Schnabel hat. Der Vogel wurde von einem Jäger erschossen und Endhart wollte ein Beweisfoto. „Denn es heißt ja immer, so große Fische fressen sie nicht.“
Der Fischzüchter betrachtet das Foto mit dem großen toten Vogel, schüttelt kurz den Kopf und legt dann die Bilder zurück auf den Schreibtisch. Die Bilder, die auch hier eine Geschichte erzählen. Die Geschichte eines Konflikts. Zwischen Mensch und Tier.
Etwa 16 000 Biber leben im Freistaat Tausende Euro Schaden durch den Kormoran