Der traurige Zwilling
Jaroslaw Kaczynski ist Polens graue Eminenz. Er will keine Flüchtlinge. Er baut Freiheitsrechte ab. Er mag die EU nicht. Doch er hat noch ein ganz anderes Problem
Trauer bestimmt sein Leben seit jenem grauen Apriltag vor sieben Jahren, an dem im russischen Smolensk ein Flugzeug mit nahezu der gesamten polnischen Staatsführung an Bord abstürzte. Alle 96 Insassen starben, und Jaroslaw Kaczynski, der Chef der Partei „Recht und Gerechtigkeit“(PiS), verlor bei diesem Unglück seinen Zwillingsbruder Lech Kaczynski, den Staatspräsidenten. Seit jenem Tag trägt Jaroslaw Schwarz als Zeichen der Trauer. Gleichzeitig kämpft er weiter fanatisch darum, sein Land so zu prägen, wie sich das sein Bruder und er vorgestellt hatten: nationalistisch, konservativ, autoritär, katholisch, europakritisch, fremdenfeindlich und homophob.
Sonderlich populär ist Jaroslaw Kaczynski in Polen nicht. Als er nach dem Tod seines Bruders selbst Präsident werden wollte, scheiterte er in der Stichwahl. Deswegen zieht der nur 1,57 Meter große Mann lieber die Strippen im Hintergrund. Die PiS benannte 2015 unbekannte Politiker als Kandidaten für Präsidentenamt und Regierungsvorsitz – und gewann mit Andrzej Duda und Beata Szydlo beide Positionen.
Den Ton gibt weiter Kaczynski an: Er steht hinter dem strikten Kurs Warschaus, keine Flüchtlinge aufzunehmen. Er, der sich als Bewunderer des umstrittenen ungarischen Regierungschefs Victor Orbán bekennt, ist verantwortlich für Einschränkungen der Pressefreiheit und die Schwächung des Verfassungsgerichtshofs.
Das missfällt in vielen europäischen Hauptstädten, aber auch in der EUZentrale. Dass dort mit dem Liberalen Donald Tusk einer der härtesten innenpolitischen Gegner Kaczynskis EU-Ratspräsident ist, gibt dem Konflikt eine pikante Note. Beim EU-Gipfel am Donnerstag musste Szydlo in Kaczynskis Auftrag gegen die Wiederwahl von Tusk stimmen, was den Gipfel beinahe platzen ließ. Tusk hatte Kaczynski bei der Parlamentswahl 2007 als Regierungschef abgelöst. Zu seiner Amtszeit wurde der Untersuchungsbericht über die Flugzeugkatastrophe von Smolensk vorgelegt. Danach trug die Besatzung der Maschine die Hauptschuld, weil sie im dichten Nebel zur Landung ansetzte, obwohl die Fluglotsen ihnen Ausweichflughäfen genannt hatten. Das will Kaczynski bis heute nicht akzeptieren. Er sieht in dem Absturz ein Verbrechen.
Einst hatten die Zwillinge alles gemeinsam gemacht: Sie traten als Gaunerpärchen Placek und Jacek im Kinderfilm „Die zwei Monddiebe“auf. Sie studierten beide Jura. Sie waren zu kommunistischen Zeiten im Untergrund für Lech Walesa und die Gewerkschaft Solidarnosc tätig. Sie gründeten gemeinsam die nationalkonservative PiS-Partei. In ihrem Privatleben unterschieden sie sich freilich: Während Lech verheiratet und Vater einer Tochter war, lebte Jaroslaw mit seiner Mutter bis zu deren Tod 2013 zusammen.
Spaß vertrugen die Zwillinge aber nicht: Als sie von der deutschen Zeitung taz als „Kartoffeln“karikiert wurden, zogen die gelernten Juristen vor Gericht.