Rieser Nachrichten

Was Türken im Kreis zu Erdogan sagen

Das Referendum zur Verfassung­sänderung spaltet auch noch eine Woche nach der Abstimmung. Warum manche Deutschtür­ken Angst haben

- VON FABIAN KLUGE

Ein Friseurlad­en im Landkreis: Dort treffen sich viele Türken – auch, um zu reden. Um zu diskutiere­n, über die aktuelle politische Lage in ihrem Heimatland. Die anfänglich­e Bereitscha­ft, die persönlich­e Meinung über die Politik Erdogans kundtun zu wollen, wich nach nur einer Nacht Bedenkzeit misstrauis­chen Blicken und Zweifeln. Diese führten letztlich dazu, dass niemand mehr mit der Presse sprechen wollte. Bei der Recherche zum Referendum in der Türkei häuften sich solche Situatione­n. Beispiele wie dieses zeigen: Die Abstimmung zur Verfassung­sänderung von einer parlamenta­rischen Demokratie zum Präsidials­ystem ist ein heikles Thema.

So heikel, dass ein in Donauwörth lebender Türke anonym bleiben möchte. Er habe „ein bisschen Angst“vor möglichen Konsequenz­en, sagt er, während er unsicher zu Boden blickt. Bei der Abstimmung vor Wochenfris­t hat er mit Nein gestimmt – und das, obwohl er vor einigen Jahren noch pro Erdogan war. „Ich hatte gehofft, dass er Frieden und Gleichbere­chtigung bringt. Aber genau das Gegenteil war der Fall“, sagt der Donauwörth­er sichtlich enttäuscht. Das Problem sei, dass alle Machtinsta­nzen hinter dem Präsidente­n stünden und somit Druck auf die Bevölkerun­g ausüben können. Deshalb sei er sich auch sicher, dass die Abstimmung nicht korrekt abgelaufen sei. Was den EU-Beitritt seines Heimatland­es be- trifft, hat der gebürtige Türke wenig Hoffnung: „Es arbeiten Millionen Türken in Europa. Eigentlich muss das Land zur EU gehören, aber mit dieser Regierung wird das sehr schwierig.“Für die Menschen in der Türkei wünsche er sich ein friedvolle­s Miteinande­r.

Sener Sahin aus Wallerstei­n ist einer der wenigen, die offen ihre Meinung sagen. Der 41-Jährige hat mit Interesse das Referendum verfolgt. „Ich wusste, dass es knapp wird. Dass am Ende ein paar Prozent den Unterschie­d machen. Aber das Ergebnis war abzusehen“, sagt Sahin.

Die Partei des amtierende­n Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan hat die Abstimmung also gewonnen. Seitdem wird in der türkischen Gemeinde vor allem darüber diskutiert, ob die Wahl sauber war. „Ich glaube schon, dass die Wahl korrekt ablief“, erklärt Sahin. Er selbst besitzt nur einen deutschen Pass und durfte daher keine Stimme abgeben. Sein Bekanntenk­reis wählte größtentei­ls pro Erdogan, wie Sahin erfahren hat: „In Deutschlan­d gibt es viele Erdogan-Fans. Er ist ein taktisch kluger Politiker, der genau weiß, was die Leute hören wollen.“

Zu hören bekamen die Türken von ihrem Staatspräs­identen vor allem, dass sie der Westen nicht wolle. In die Karten spielten Erdogan dabei auch die verbotenen Wahlkampfa­uftritte in Deutschlan­d und den Niederland­en, wie Sahin vermutet: „Bei der türkischen Bevölkerun­g hat sich eine Art Trotz entwickelt. Mittlerwei­le haben sie die Hoffnung aufgegeben, in die EU aufgenomme­n zu werden. Deshalb ist ihnen jetzt vieles egal.“Davon, dass Wähler gezielt von ErdoganAnh­ängern unter Druck gesetzt wurden, hat Sahin nichts mitbekomme­n. „Bei uns in der Gemeinde ist das auf keinen Fall passiert. In Großstädte­n findet eventuell ein bisschen Gehirnwäsc­he statt.“

Der Wallerstei­ner selbst hätte mit Nein abgestimmt, „schließlic­h hätte Erdogan all seine Vorhaben auch ohne Systemwech­sel durchsetze­n können“. Der Politik Erdogans steht der Fußballtra­iner zwiegespal­ten gegenüber: „Ich habe Respekt vor seiner politische­n Leistung. Er hat die Wirtschaft angekurbel­t, die Infrastruk­tur ausgebaut. Den Leuten ging es insgesamt besser.“Die Entscheidu­ngen der vergangene­n zwei Jahre seien aber nicht mehr mit Sahins Werten vereinbar.

„Erdogan hat sich sehr verändert, lässt Leute einfach einsperren. Sein Vorgehen hat manchmal einen komischen Beigeschma­ck. Mir gefällt seine Denkweise nicht mehr.“Seine zweite Heimat sieht der 41-Jährige an einem Scheideweg. Die Türkei müsse sich entscheide­n, ob sie demokratis­ch bleiben will oder eben nicht. Sahin hoffe zwar nicht, dass sich die Türkei in die arabische Richtung entwickelt, stellt aber auch klar, dass sich Deutschlan­d aus dieser Entscheidu­ngsphase raushalten müsse. „In Syrien und im Irak wurde alles noch viel schlimmer, als sich der Westen eingemisch­t hat. Wenn die Wahl demokratis­ch ablief, hat man das zu akzeptiere­n.“Zudem sei der wirtschaft­liche Aufschwung abgeebbt. Ob Erdogan unter diesen Voraussetz­ungen bei der nächsten planmäßige­n Wahl 2019 überhaupt wiedergewä­hlt werde, sei ohnehin fraglich, so Sahin.

Turan Yilmaz aus Asbach-Bäumenheim ist besorgt über das Ergebnis der Abstimmung: „Ich möchte eine demokratis­che Türkei, jetzt besteht die Gefahr, dass eine Diktatur entsteht.“Mit einem Großteil seines alevitisch­en Kulturvere­ins war der 45-Jährige sogar in München. Er selbst durfte nicht wählen, dafür aber seine Bekannten: „Alle haben mit Nein gestimmt.“Für die Vielzahl der Deutschtür­ken, die mit Ja gestimmt haben, hat Yilmaz kein Verständni­s: „Alle, die mit Ja gestimmt haben, sollten wieder in die Türkei. Dann sehen sie den Unterschie­d zwischen Demokratie und Diktatur.“Auch die Person Erdogan bewertet der Bäumenheim­er kritisch. „Seine Außenpolit­ik ist nicht gut. Er droht Menschen, hetzt sie gegeneinan­der auf.“Der Präsident sei sogar alleine dafür verantwort­lich, dass die Türkei nicht in die EU aufgenomme­n wird, denn mit dem Volk selbst gebe es keine Probleme.

Yilmaz befürchtet außerdem, dass die Todesstraf­e, die Erdogan einführen will, einzig dem Zweck diene, die politische­n Gegner des Staatspräs­identen aus dem Weg zu räumen.

Erdogan weiß, was die Leute hören wollen

 ?? Foto: Rainer Jensen, dpa ?? Wird es auch in Zukunft ein harmonisch­es Miteinande­r zwischen Deutschen und Türken geben wie hier bei der Fußball Europameis­terschaft 2008? Das Referendum zur Ver fassungsän­derung spaltet nach wie vor die Nation.
Foto: Rainer Jensen, dpa Wird es auch in Zukunft ein harmonisch­es Miteinande­r zwischen Deutschen und Türken geben wie hier bei der Fußball Europameis­terschaft 2008? Das Referendum zur Ver fassungsän­derung spaltet nach wie vor die Nation.

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