Was Türken im Kreis zu Erdogan sagen
Das Referendum zur Verfassungsänderung spaltet auch noch eine Woche nach der Abstimmung. Warum manche Deutschtürken Angst haben
Ein Friseurladen im Landkreis: Dort treffen sich viele Türken – auch, um zu reden. Um zu diskutieren, über die aktuelle politische Lage in ihrem Heimatland. Die anfängliche Bereitschaft, die persönliche Meinung über die Politik Erdogans kundtun zu wollen, wich nach nur einer Nacht Bedenkzeit misstrauischen Blicken und Zweifeln. Diese führten letztlich dazu, dass niemand mehr mit der Presse sprechen wollte. Bei der Recherche zum Referendum in der Türkei häuften sich solche Situationen. Beispiele wie dieses zeigen: Die Abstimmung zur Verfassungsänderung von einer parlamentarischen Demokratie zum Präsidialsystem ist ein heikles Thema.
So heikel, dass ein in Donauwörth lebender Türke anonym bleiben möchte. Er habe „ein bisschen Angst“vor möglichen Konsequenzen, sagt er, während er unsicher zu Boden blickt. Bei der Abstimmung vor Wochenfrist hat er mit Nein gestimmt – und das, obwohl er vor einigen Jahren noch pro Erdogan war. „Ich hatte gehofft, dass er Frieden und Gleichberechtigung bringt. Aber genau das Gegenteil war der Fall“, sagt der Donauwörther sichtlich enttäuscht. Das Problem sei, dass alle Machtinstanzen hinter dem Präsidenten stünden und somit Druck auf die Bevölkerung ausüben können. Deshalb sei er sich auch sicher, dass die Abstimmung nicht korrekt abgelaufen sei. Was den EU-Beitritt seines Heimatlandes be- trifft, hat der gebürtige Türke wenig Hoffnung: „Es arbeiten Millionen Türken in Europa. Eigentlich muss das Land zur EU gehören, aber mit dieser Regierung wird das sehr schwierig.“Für die Menschen in der Türkei wünsche er sich ein friedvolles Miteinander.
Sener Sahin aus Wallerstein ist einer der wenigen, die offen ihre Meinung sagen. Der 41-Jährige hat mit Interesse das Referendum verfolgt. „Ich wusste, dass es knapp wird. Dass am Ende ein paar Prozent den Unterschied machen. Aber das Ergebnis war abzusehen“, sagt Sahin.
Die Partei des amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat die Abstimmung also gewonnen. Seitdem wird in der türkischen Gemeinde vor allem darüber diskutiert, ob die Wahl sauber war. „Ich glaube schon, dass die Wahl korrekt ablief“, erklärt Sahin. Er selbst besitzt nur einen deutschen Pass und durfte daher keine Stimme abgeben. Sein Bekanntenkreis wählte größtenteils pro Erdogan, wie Sahin erfahren hat: „In Deutschland gibt es viele Erdogan-Fans. Er ist ein taktisch kluger Politiker, der genau weiß, was die Leute hören wollen.“
Zu hören bekamen die Türken von ihrem Staatspräsidenten vor allem, dass sie der Westen nicht wolle. In die Karten spielten Erdogan dabei auch die verbotenen Wahlkampfauftritte in Deutschland und den Niederlanden, wie Sahin vermutet: „Bei der türkischen Bevölkerung hat sich eine Art Trotz entwickelt. Mittlerweile haben sie die Hoffnung aufgegeben, in die EU aufgenommen zu werden. Deshalb ist ihnen jetzt vieles egal.“Davon, dass Wähler gezielt von ErdoganAnhängern unter Druck gesetzt wurden, hat Sahin nichts mitbekommen. „Bei uns in der Gemeinde ist das auf keinen Fall passiert. In Großstädten findet eventuell ein bisschen Gehirnwäsche statt.“
Der Wallersteiner selbst hätte mit Nein abgestimmt, „schließlich hätte Erdogan all seine Vorhaben auch ohne Systemwechsel durchsetzen können“. Der Politik Erdogans steht der Fußballtrainer zwiegespalten gegenüber: „Ich habe Respekt vor seiner politischen Leistung. Er hat die Wirtschaft angekurbelt, die Infrastruktur ausgebaut. Den Leuten ging es insgesamt besser.“Die Entscheidungen der vergangenen zwei Jahre seien aber nicht mehr mit Sahins Werten vereinbar.
„Erdogan hat sich sehr verändert, lässt Leute einfach einsperren. Sein Vorgehen hat manchmal einen komischen Beigeschmack. Mir gefällt seine Denkweise nicht mehr.“Seine zweite Heimat sieht der 41-Jährige an einem Scheideweg. Die Türkei müsse sich entscheiden, ob sie demokratisch bleiben will oder eben nicht. Sahin hoffe zwar nicht, dass sich die Türkei in die arabische Richtung entwickelt, stellt aber auch klar, dass sich Deutschland aus dieser Entscheidungsphase raushalten müsse. „In Syrien und im Irak wurde alles noch viel schlimmer, als sich der Westen eingemischt hat. Wenn die Wahl demokratisch ablief, hat man das zu akzeptieren.“Zudem sei der wirtschaftliche Aufschwung abgeebbt. Ob Erdogan unter diesen Voraussetzungen bei der nächsten planmäßigen Wahl 2019 überhaupt wiedergewählt werde, sei ohnehin fraglich, so Sahin.
Turan Yilmaz aus Asbach-Bäumenheim ist besorgt über das Ergebnis der Abstimmung: „Ich möchte eine demokratische Türkei, jetzt besteht die Gefahr, dass eine Diktatur entsteht.“Mit einem Großteil seines alevitischen Kulturvereins war der 45-Jährige sogar in München. Er selbst durfte nicht wählen, dafür aber seine Bekannten: „Alle haben mit Nein gestimmt.“Für die Vielzahl der Deutschtürken, die mit Ja gestimmt haben, hat Yilmaz kein Verständnis: „Alle, die mit Ja gestimmt haben, sollten wieder in die Türkei. Dann sehen sie den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur.“Auch die Person Erdogan bewertet der Bäumenheimer kritisch. „Seine Außenpolitik ist nicht gut. Er droht Menschen, hetzt sie gegeneinander auf.“Der Präsident sei sogar alleine dafür verantwortlich, dass die Türkei nicht in die EU aufgenommen wird, denn mit dem Volk selbst gebe es keine Probleme.
Yilmaz befürchtet außerdem, dass die Todesstrafe, die Erdogan einführen will, einzig dem Zweck diene, die politischen Gegner des Staatspräsidenten aus dem Weg zu räumen.
Erdogan weiß, was die Leute hören wollen