Philipp Kohlschreiber – ein Unvollendeter
Der Augsburger war viele Jahre der beste deutsche Tennisspieler. Er galt als schwierig und eigenwillig. Nächste Woche in München will er wieder zeigen, dass er reifer geworden ist – und weiter seinen Traum verfolgen
Besuch in Oberhaching. Die Sonne brennt vom stahlblauen Himmel. Es ist einer der ersten warmen Frühlingstage. Philipp Kohlschreiber rinnt der Schweiß über die Stirn. Der 33-Jährige trainiert Auf- schläge. Konzentriert. Präzise. Explosiv. Knapp drei Stunden steht der gebürtige Augsburger unter den Augen seines Trainers und Managers Stephan Fehske auf dem Platz.
Die beiden sind auch abseits des Platzes gut befreundet. „Ich brauche eine gute Beziehung zu meinem Woche schon in der ersten Runde. Nun wird er ab nächster Woche in München versuchen, seinen Titel bei den BMW Open zu verteidigen. Dort könnte er auch auf die neue deutsche Nummer eins Alexander Zverev treffen. Ganz sicher treffen wird er einen alten Bekannten aus Augsburger Tagen. Steffen Haufe war einer von Kohlschreibers Jugendtrainern beim TC Augsburg. Er erinnert sich noch gut an seinen einstigen Schützling. „Philipp war immer voller Ideen und sehr umtriebig“, erzählt er mit einem Schmunzeln. „Ihm hat der nötige Ernst bisweilen gefehlt.“
An eine große Tenniskarriere, wie sie Kohlschreiber später dann gelang, sei damals noch nicht zu denken gewesen. „Sicherlich hatte Philipp ein gutes Händchen und Gefühl. Aber dass er einmal so gut wird, hat man damals noch nicht sehen können“, sagt Haufe. Beim TCA lernte Kohlschreiber die Grundlagen des Tennisspielens. Mit 14 Jahren ging er dann nach München auf ein Internat. „Schon vorher hat mich mein Papa drei-, viermal zum Training rübergefahren“, erzählt Kohlschreiber. In Augsburg habe es nicht mehr die richtigen Trainingspartner gegeben. „Für meine Mutter war es unglaublich schwer, ihr einziges Kind nach München abzugeben. Sie hat viel von meiner Entwicklung nicht mitbekommen.“Nur noch an den Wochenenden sei er ab und zu nach Hause gefahren, „wenn gerade kein Turnier anstand“.
Am Ende seiner Schulzeit habe er dann aber gemerkt, dass er Profi werden wolle. „Die mittlere Reife habe ich noch gemacht – dank meiner Mama, die darauf bestanden hat. Dafür bin ich ihr dankbar, denn ich sehe es ja an meinen früheren Spielkameraden: Wie viele haben es geschafft? Die meisten nicht.“
Kohlschreiber schaffte den Durchbruch mit seinem ersten Sieg in München 2007. „Das hat mir einen riesigen Push gegeben. Der Sieg hat mir gezeigt, dass ich tatsächlich so ein Turnier gewinnen kann. Das war ein echter Meilenstein.“Kohlschreibers Karriere ist aber auch geprägt von großen Niederlagen. Mancher sagt, in den entscheidenden Situationen habe ihm das gewisse Etwas gefehlt, um ein ganz Großer zu werden.
2008 etwa bei den Australian Open. Sensationell setzte sich Kohlschreiber dort gegen Andy Roddick durch – und verlor dann im AchtelTeam. finale gegen den vermeintlich schwächeren Jarkko Nieminen. „Das hat mir damals sehr wehgetan. Das Ding hätte ich einfach gewinnen müssen. Vielleicht wäre dann noch mehr passiert in meiner Karriere – hätte, wenn und aber. Ich bin trotzdem ein in mir ruhender Mensch.“
Seinen bislang größten Erfolg schaffte Kohlschreiber 2012, als er in Wimbledon ins Viertelfinale einzog, wo er Jo-Wilfried Tsonga unterlag. In der Weltrangliste arbeitete er sich bis auf Rang 16 vor. Bis heute seine beste Platzierung – und gleichzeitig größte Motivation. „Einmal noch einstellig stehen ist ein großer Traum von mir. Ohne solche Ziele ist es schwer, sich jeden Tag im Training zu quälen. Und ich habe einfach noch Bock auf Tennis. Mir macht es Spaß, Veränderungen in meinem Spiel zu sehen.“
Drei, vielleicht vier Jahre will Kohlschreiber noch spielen. Und dann? „Ich würde gerne im Tennis bleiben, aber ich glaube nicht, dass ich ausschließlich Trainerstunden geben will. Mich würde es reizen, meine ganzen Erfahrungen an Jugendliche weiterzugeben und zu schauen, ob ich da was bewirken kann.“Dann könnte er auch davon erzählen, welche Entbehrungen mit einer Profikarriere verbunden sind. „Wenn meine Freunde in der Schulzeit zum Feiern gegangen sind, bin ich auf ein Turnier gefahren. Da verliert man schnell den Anschluss. Ich bin froh, dass ich eine Handvoll guter Kumpels habe. Aber natürlich ist mein Freundeskreis nicht riesengroß.“Bis zu 38 Wochen ist Kohlschreiber im Jahr unterwegs. Seinen Wohnort Kitzbühel sieht er nur selten. „Man sieht auch die Familie wenig, wenn man wochenlang unterwegs ist. Und man hat kein richtiges Zuhause. Ich lebe viel aus der Tasche.“
Seinen Kollegen auf der Tour geht es genauso, und im Laufe der Jahre hat sich da eine „riesige freundschaftliche Clique“entwickelt. „Man trifft sich ja auch ständig. Man trainiert zusammen.“Kohlschreiber ist ein beliebter Trainingspartner der absoluten Topspieler. Boris Becker holte ihn oft, als er noch Trainer von Novak Djokovic war. „Ich konnte von seinem Know-how profitieren, er hat mir immer wieder super Tipps gegeben. Ich würde mir wünschen, dass er wieder mit jemandem auf der Tour ist. Für mich ist er wahrscheinlich ein bisschen zu teuer.“Ein TennisProfi funktioniert als Ein-MannUnternehmen, der sich und sein Team finanzieren muss. Inzwischen ist das für Kohlschreiber kein Problem mehr. Zehn Millionen Dollar hat er in seiner Karriere allein an Preisgeldern schon eingespielt.
Gut möglich, dass in den kommenden Wochen der ein oder andere Dollar dazukommt. Nach München folgen die Turniere in Rom und Genf oder Lyon. Dann die French Open. Danach geht es auf Rasen weiter. Stuttgart, Halle, eine Woche frei, Wimbledon. Das Beste kommt zum Schluss des Sommers. Warum auch nicht für Philipp Kohlschreiber?
„Man sieht auch die Familie wenig, wenn man wochen lang unter wegs ist. Und man hat kein richti ges Zuhau se.“