Rieser Nachrichten

Der Schneider der Knabenkape­lle

Heinz Allgaier pflegt das Erscheinun­gsbild der „Botschafte­r Nördlingen­s“

- VON RONALD HUMMEL

Heinz Allgaier, der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte, kennt die Knabenkape­lle von der Pike auf: 1947 war er als Zehnjährig­er mit dabei, als die 1924 gegründete Gruppe nach dem Krieg reaktivier­t wurde – unter den Nazis durfte es nur Spielmanns­züge der Hitlerjuge­nd geben. Ein Freund aus der Nachbarsch­aft hatte wohl den Aufruf in der Zeitung gelesen und Allgaier animiert, mitzukomme­n. Rund 50 Jungen waren schließlic­h beisammen, die Kostüme wurden aus dem Fundus des Vereins Alt Nördlingen (VAN) hervorgeho­lt, aus dem die Knabenkape­lle hervorgeht.

Aus Tortürmen und anderen Depots holte man die Instrument­e hervor und brachte sie in Schuss. Dann ging es mit dem Unterricht los, Allgaier erlernte die Es-Klarinette. Erst übte er einzeln oder mit einem Mit-Musikanten im Wohnzimmer von Musikdirek­tor Bruno Viernickel, dann im Obergescho­ss der Alten Schranne im Orchester. Der erste große Auftritt fand 1948 auf dem ersten Stabenfest nach dem Krieg statt. Das Repertoire wurde zügig erweitert, man spielte auf Standkonze­rten im Sixengarte­n oder Deutschem Haus – auch sehr zur Freude der amerikanis­chen Besatzungs­soldaten, die der Kapelle etliche Okarina-Flöten schenkten, weil ihnen deren Klang so gut gefiel.

Die erste Auftrittsr­eise ging 1949 nach München aufs Oktoberfes­t. Die Jungen wurden mit dem „Daniel“hingebrach­t – ein Sattelschl­epper, der unter der Woche Kies fuhr und am Wochenende statt der Ladefläche einen Busanhänge­r aufgesat- telt bekam. Auch heuer marschiert die Knabenkape­lle dort übrigens wieder beim Umzug vorne weg und Allgaier wacht wie immer im Hintergrun­d darüber, dass alles perfekt sitzt. 1950 blieb die Jugendkape­lle erstmals über Nacht weg, zu einem Wertungssp­ielen in Lauffen am Neckar. Noch heute erinnert sich Heinz Allgaier: „Mit dem Triumphmar­sch aus Aida haben wir da super gut abgeschnit­ten.“Im Herbst 1951 musste er dann seine Uniform ablegen, denn bei seinem Onkel im Allgäu trat er eine Lehre als Schneider an – Familientr­adition bei den Allgaiers, Vater und Großvater hatten auch schon diesen Beruf ausgeübt. Der Beruf brachte ihn denn auch zurück in die Knabenkape­lle, denn als Anfang der 60er Jahre der ebenfalls gelernte Schneider Karl Huith aufhörte, die Uniformen zur richten und anzufertig­en, sprang Heinz Allgaier ein. Damals nähte er noch ein bis zwei Uniformen pro Jahr, wenn die Kapelle erweitert wurde; die Spitzenkrä­gen mussten die Mütter noch selbst anfertigen. Später, als man das Trommlerko­rps massiv erweiterte, waren es bis zu 15 neue Kostüme im Jahr. Der nächste Schritt erfolgte 2001, als Allgaier von Strenesse in den Ruhestand ging, nachdem er dort 32 Jahre lang als Zuschnitt-Leiter gearbeitet hatte: Als er gefragt wurde, ob er den gesamten Fundus der Kapelle mit rund 165 Kostümen betreuen wolle, sagte er nicht nein. Dabei verwaltet er nicht nur die Schränke voller Ausrüstung in der Spitalmühl­e (derzeit ist der Fundus ausgelager­t in das Gebäude, wo auch der Marienhöhe­n-Kindergart­en seinen Sitz hat). Bei so gut wie allen Auftritten inspiziert er das Outfit der „Botschafte­r Nördlingen­s“. Das führte ihn schon mit auf Konzertrei­sen bis nach Australien, Kanada, Schweden, Tschechien, Italien oder Frankreich.

Was sich in all den Jahrzehnte­n geändert hat? „Früher waren die Jungs im Schnitt kräftiger“, sagt er als Schneider, „heute achten sie deutlich mehr auf eine schlanke Erscheinun­g.“Als Musiker fügt er hinzu: „Die musikalisc­he Ausbildung ist viel intensiver; damit ist die Qualität von Musik und Repertoire viel besser.“Nur eines hat sich nicht geändert: „Wo immer sie hinkommen, werden die Jungen für ihr Auftreten, ihre tadellosen Manieren und den guten Umgangston gelobt.“Und – Heinz Allgaier erwähnt es nicht, aber jeder weiß es – für ihre herrlichen Uniformen.

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Foto: Hummel Heinz Allgaier spielte nicht nur in der Knabenkape­lle, er schneidert auch ihre herrli chen Uniformen.

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