Merkels Testlauf in Trudering
Die Kanzlerin im bayerischen Bierzelt. Erst gibt es „Hau ab“-Rufe vor der Tür. Dann viel Applaus für das Thema Europa. Und schließlich zitiert der Gast sogar eine CSU-Legende
Von Taormina nach Trudering ist es ein weiter Weg. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt dies an diesem Sonntagmittag nicht nur räumlich: Tags zuvor war sie noch auf dem G7-Gipfel auf Sizilien gewesen, hatte dort die großen Themen der Welt mit den Wichtigen und Mächtigen diskutiert.
Einen Tag später steht ein Bierzelt-Auftritt auf einem Mini-Volksfest im kargen Münchner Osten auf dem Programm. Autohäuser, Tankstellen, Schnellrestaurants prägen die Nachbarschaft. „Gartenstadt“nennt sich der Münchner Stadtteil Trudering hochtrabend – weil es noch ein paar übrig gelassene Wiesen gibt und ein paar Reihenhäuser.
Für Merkel ist es eine Art Wahlkampfauftakt. Und wohl auch ein Testlauf für die Parteistrategen in CDU und CSU, wie es denn so klappt mit der Kanzlerin und den CSU-Anhängern in Bayern. Nach dem ganzen Streit um die Asylpolitik und Obergrenzen, auch den gegenseitigen Demütigungen von Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, den vielen Schlagzeilen über das vermeintlich zerrüttete Verhältnis der beiden.
Dass Merkel der Termin wichtig ist, zeigt sich allein daran, dass sie nach der Absage des Auftritts wegen des Terroranschlags von Manchester nur fünf Tage später nach Trudering gekommen ist. „Wir hätten verstanden, wenn unsere Kanzlerin nach den Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten eine Erholungspause eingelegt hätte“, sagt Seehofer mit einem typischen Seehofer-Witz.
Merkel scheint tatsächlich Spaß zu haben – selbst an Seehofers Witzchen. Wenn man sich die letzten Tage mit dem türkischen und dem amerikanischen Präsidenten herumgeschlagen habe, erscheine ein Termin mit Horst Seehofer wohl plötzlich wie ein Wellness-Tag, scherzt einer aus dem CSU-Team.
Dass die Zeit bis zum Wahltag am 24. September für Merkel aber wohl kein Wellness-Wahlkampf werden wird, zeigt sich auch in Trudering: Lautstarke Demonstranten von der AfD und von ganz rechts außen sind gekommen. Sie strecken Merkel Mittelfinger entgegen und rufen „Hau ab“und „Lüge, Lüge“. Von solchen Zwischenfällen abgesehen läuft der Truderinger Testlauf für Merkel aber ganz gut. Der Applaus für die Kanzlerin ist groß. Seehofer hält sich lammfromm an die Schulterschluss-Vorgabe. Die Bayern – also auch er – seien ohnehin „prinzipiell ein friedfertiges Volk“. Und Deutschland gehe es dank Merkel „so gut wie nie zuvor in seiner Geschichte“. Merkel will nicht nachstehen: „Ich hole mir Rat bei Franz Josef Strauß, da bin ich auf der richtigen Seite“, schmeichelt sie und zitiert den CSU-Urvater: „Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts.“In dieser Weisheit finde auch sie sich politisch wieder.
Der Streit mit der CSU um die Flüchtlingspolitik 2015? „Das war eine Sondersituation“, wischt Merkel das Thema vom Tisch. Überhaupt habe man längst viel „geändert und gesteuert“. Das muss reichen an Kanzlerinnen-Demut für ein bayerisches Bierzelt. Lieber spricht Merkel über die innere Sicherheit – da könne Deutschland noch viel von Bayern lernen. Der größte Applaus brandet im Bierzelt aber auf, als Merkel vom „Schatz Europa“spricht: Es lohne sich doch, „für dieses Europa des Friedens und der Freiheit zu kämpfen“, ruft sie der jubelnden Menge zu. Vielleicht ist Trudering ja doch gar nicht so weit von Taormina.